Susanne Kowalsky

Sluga - Immer für Dich da


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mit kleinem Garten. Wahre Liebe. Kinder. Wir haben so lange auf Cassandra gewartet.

      «Bist du schon wieder da?»

      «Naya kommt jeden Tag.»

      «Du warst vorhin schon mal da.»

      «Negativ. Alles muss immer sauber sein. Die Wäsche, die Zimmer, die Medikamente.»

      «Was meinst du mit negativ? Saubere Medikamente? Du spinnst wohl. Geh weg!»

      «Naya geht weg, wenn alles sauber ist.»

      «Rede keinen Unsinn!»

      «Du meinst Sluga. Sluga redet Unsinn. Naya nicht. Ich bin Naya.»

      «Wo ist Inge?»

      Naya filterte die Datenbank der Beschäftigten sowie der Bewohner nach deren Vornamen mit einer Relation zu Norbert. Seine Pillen legte sie in die soeben von ihr frisch sterilisierte Schale.

      «Ich habe dich was gefragt! Wo Inge ist, will ich wissen.»

      «Inge ist nicht existent. Du kannst dich darauf verlassen.»

      «Inge hat mich nicht verlassen! Von mir ist sie gegangen. Gelitten hat sie wie keine andere.»

      «Die Einträge sind fehlerfrei. Die Schnittstelle zu meinem Modul arbeitet korrekt. Ich habe das gerade überprüft.»

      «Inge? Inge!» Wie kann dieses, dieses, was auch immer, behaupten, meine Inge sei nicht, wie war das noch? Ich roch ihr Parfüm, spürte ihre Wärme, ihre Umarmung, ihren Atem. Mein Gott! Ich sitze hier. Ich heule wie ein Schlosshund. Ich, ein Vorbild für viele Schülerinnen und Schüler. Damals. Beschützt habe ich sie. Ich war der beste Schülerlotse überhaupt. Da bin ich mir sicher. Mein Schluchzen erfüllte mein neues Zuhause. Ist es das? Niemals, nein. Vorbei das einstige Glück, vorbei die Nähe der Kinder, aus. Nichts bleibt. Meine Sinne schwinden langsam. Was ist Wirklichkeit? Was lebt nur in meiner Erinnerung? Wo ist die Grenze? Scheiß Demenz. Was macht das Gehirn mit mir? Wieso habe ich keinen Einfluss darauf? Und das mir, ausgerechnet mir.

      Cassandra hat mich hergebracht, weil sie meint, ich käme allein nicht mehr zurecht. Möglicherweise stimmt das. Aber wohl eher nicht. Ich bin ja immer klar gekommen. Es gab überhaupt keinen Grund, mich aus meiner gewohnten Umgebung zu reißen, nur, weil der Kopf von Zeit zu Zeit Achterbahn fährt. Da draußen laufen genug Bekloppte rum. Wenn man denen allen die Wohnung wegnehmen würde ...

      «Naya? Welche Tabletten muss ich denn nehmen? Sind die schon für morgen früh oder noch für heute Abend?»

      Wieso ist dieser Pillenroboter wieder weg? Von wegen, unbeschwert leben. Was mache ich nur mit den ganzen Medikamenten? Ein leises Klopfen an der Tür. Besuch? Jetzt, um diese Zeit? Wie spät ist es? Eine weitere Schreckensgestalt trat ein, diesmal eine mit Brille.

      «Hallo. Da bin ich. Wie geht es dir?»

      «Gut, dass du wieder da bist. Ich weiß gar nicht, was ich jetzt einnehmen soll».

      «Was?»

      «Die hier. Die Tabletten. Für wann sind die?»

      «Das weiß Rabota nicht. Rabota wäscht dich, putzt dir die Zähne, zieht dich um, sorgt für eine gute Nacht. Komm. Komm mit mir ins Badezimmer.»

      Ich ließ die Prozedur über mich ergehen. Mir blieb gar nichts Anderes übrig. Wenn doch nur Inge hier wäre. Niemals hätte ich gedacht, dass ich sie mal so vermissen würde. Mit dem Waschlappen rubbelte die Schießbudenfigur über meinen Hintern. Ich hielt mich am Griff neben dem Waschbecken fest.

      «Lass kurz los. Es passiert nichts. Versprochen.»

      Die Stellen unter den Armen waren dran. Wieder festhalten. Besser. Seife. Waschhandschuh, Brust, Bauchnabel. Nein! Doch. Selbst über das längst nicht mehr so gute Stück schrubbte Rabota hinweg. Wenn Inge mich dort angefasst hatte, war es anders. Vor allem tat es nicht weh. Der Himmel auf Erden. Gibt es so was? Vielleicht ja, vielleicht nein, aber sicher nicht hier, nicht jetzt, nicht in einer Zeit, in der Roboter jegliches Privatleben ignorieren. Wenn ich im Himmel bin, werde ich keinen rein lassen außer meiner lieben Frau, vielleicht noch meine Tochter, bestimmt aber die Herren von der Copacabana und ihren Bossanova. «Wie hießen die noch?»

      «Wie hieß wer noch?»

      «Was?»

      «Rabota möchte wissen, wen du meinst.»

      Ich konnte mich nicht erinnern, eine Frage gestellt zu haben. Selbst wenn. Was ging es dieses Schrubberdingsbums an? «Ich meine gar nichts. Bist du endlich fertig?»

      «Rabota mus noch deine Füße waschen.»

      «Nein.»

      «Doch. Wenn Rabota deine Füße nicht wäscht, bleiben sie dreckig.»

      «Die sind überhaupt nicht dreckig.»

      Rabota drängte mich auf den Duschstuhl. Gnadenlos drehte sie das Wasser auf. Sie schrubbte, schrubbte, schrubbte. «Aua!»

      «Was ist das für ein Wort?»

      «Du tust mir weh! Merkst du das denn nicht?»

      «Rabotas Auftrag ist es, dich zu reinigen. Sauberkeit schmerzt nicht. Sonst wäre ein Warnsignal hinterlegt.»

      Hoffentlich ist die Prozedur bald vorbei. Was hat Cassandra sich nur dabei gedacht, mich hier reinzustecken, in eine Mühle, aus der es kein Entrinnen gibt? Das ist keine Pflege. Das ist moderne Folter unter dem Deckmantel des Wohlwollens.

      KAPITEL 4

      Frau Fuchs war mit ihren 68 Jahren der junge Hüpfer auf Gaudium. Sie hatte die Nase voll von den anderen Ebenen in Residenzia. Professionell ausgebildete Pfleger? Antriebslose Stümper, sogenannte Fachkräfte, ohne Kompetenz. Keinem von ihnen traute sie über den Weg. Ganz zu schweigen von der schlechten Küche, die sie allerdings auch auf der neuen Ebene akzeptieren musste, denn das Essen war für alle gleich. Sie hätte sich elektronisch zubereitete Mahlzeiten gewünscht, die Zutaten abgewogen in Mikrogramm, in höchster Vollendung gleichmäßig vermengt. Planmäßiges Vorgehen, exakte Ordnung, penible Sauberkeit, Lebensqualität durch Technik. Das war ihre Welt. Dr. Aglus hatte ihr gefallen. Er war ein Garant dafür, dass die letzten Jahre ihres Lebens in geordneten Bahnen verlaufen würde. Sie freute sich auf die bevorstehende Zeit. Wenn doch nur der Rollstuhl nicht wäre. Kurz nach den Wechseljahren war es bei ihr los gegangen. Verspannungen im Nacken, Rückenschmerzen, jeder kennt das. Dann die zu spät gestellte, vernichtende Diagnose: Osteoporose im fortgeschrittenen Stadium. Mit der Präzision eines Roboterarztes wäre ihr das sicher nicht passiert. Zumal sie immer penibel auf ihre Gesundheit geachtet hatte.

      «Störe ich?»

      «Aber nein. Setzen Sie sich doch zu mir, Gisela. Wie fanden Sie die Vorstellungsrunde?»

      «Ich bin von der grenzenlosen Entwicklung der Menschheit vollkommen überzeugt.»

      «Wirklich? Im Grunde genommen gebe ich Ihnen schon recht. Aber grenzenlos?»

      «Dazu gehört die Verwirklichung denkender Maschinen. Sie sind das Ergebnis moderner Forschung.»

      «Denkende Maschinen?» Ute war von exakten Kalkulationen ausgegangen. Wenn-Dann. Ein simples Prinzip. Freies Denken weicht davon ab.

      «Entwicklung und Lernen stehen für mich auf derselben Stufe. Und Lernen darf man niemals eingrenzen. Selbst bei den Maschinen nicht.»

      «Wenn Sie Recht hätten, dann würden die Maschinen in letzter Konsequenz auch Gefühle erlernen. Hat Dr. Aglus bei seiner Rede nicht so was in der Art gesagt?»

      «Nein Ute. Das glaube ich nicht.»

      «Nicht?»

      «Lassen wir das. Sollen wir uns noch einen Kaffee gönnen?» Unbeabsichtigt hatte die 91-jährige Gisela damit das Gespräch in eine Richtung gelenkt, die Utes Leidenschaft, über jeden und alles zu lästern, entfachte.

      «Sie wollen einen weiteren Kaffee trinken?