Susanne Kowalsky

Sluga - Immer für Dich da


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wünschen übrig, wenn Sie wissen, was ich meine.» Ute Fuchs ließ sich über sämtliche Missstände, die es gibt oder je geben könnte, aus. «Aber das werden die Roboter den anderen schon austreiben. Die sind perfekt. Die lassen keine Schlampigkeiten zu.»

      Gisela nahm einen Schluck von ihrem Kaffee, den sie sich von dem Teewagen neben dem Eingang zum Aufenthaltsraum geholt hatte. «Bis jetzt finde ich hier alles recht ordentlich. Nachlässig scheint keiner zu sein.»

      «Ach, Gisela. Wenn Sie wüssten!»

      «Was denn?»

      «Die nehmen keine Rücksicht darauf, ob man sich uneingeschränkt bewegen kann oder nicht oder ob man schnell blaue Flecke bekommt.»

      «Haben die Pfleger Ihnen denn schon mal weh getan?»

      «Na ja, eher indirekt. Ich erinnere mich trotzdem nicht gern daran.» Ute erzählte Gisela davon, wie ihr beim Mittagessen ein Missgeschick passiert war. «Damit muss man leider leben. Aber es fängt dann an zu riechen. In Grund und Boden habe ich mich geschämt. Sie haben mich da sitzen lassen. Überaus peinlich. Nachher hat sich dann einer erbarmt. Ich erzähle Ihnen lieber nicht, wie die mit mir auf der Toilette umgegangen sind und anschließend unter der Dusche. Das mit den blauen Flecken sagte ich vorhin ja schon.»

      «Nein, wirklich? Also haben die Ihnen doch weh getan. Unmöglich. Ich hab da mal was über Gewalt in Pflegeheimen gelesen. Aber hier? Andererseits hoffen wir ja alle darauf, dass uns die Roboter besser umsorgen, perfekt eben.»

      «So soll es sein. Sie können froh sein, dass Sie direkt ins Kollektiv gekommen sind.»

      «Ja, das bin ich, Ute. Das bin ich.»

      Gerda Maiers Träume sorgten für einen unruhigen Schlaf: der 2. Weltkrieg, Erinnerungen an den kältesten Winter des 20. Jahrhunderts, der Tod des Vaters als sie erst Mitte 30 war. Alles längst vergessen und doch wieder da. Sidelka schloss die Tür hinter sich. Keine Aktion erforderlich, nicht bei einer leichten Unruhe. Der Nachtwachenautomat schwebte durch die Gaudiumebene zum nächsten Bewohner. Die Anderen hingen an den Ladestationen, räumten ihre Speicher auf, leerten die Cacheordner und bereiteten sich auf den korrekten Umgang mit Mängeln der menschlichen Spezies vor: unlogische Erwartungen, inexakte Aufträge, Divergenzen.

      Dr. Matthiesen kam zum ersten Mal mit seinem Fragebogen auf Gerdas Zimmer.

      «Hallo Gerda, ich darf Sie doch Gerda nennen?»

      «Aber sicher, mein Lieber. So heiße ich ja.»

      Der Doktor lächelte übers ganze Gesicht. «Können wir mit den angekündigten Fragen anfangen?»

      «Ja, gerne.»

      «Hat Ihnen einer der Roboter weh getan?»

      «Ich habe immer an die Zukunft geglaubt, an technische Errungenschaften, an die Intelligenz der Ingenieure und Gelehrten.»

      «Was ist mit den Robotern?»

      «Ich habe nie einen Unterschied gemacht zwischen philosophischen, ethischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen.»

      «Gerda.»

      «Entschuldigung, wie war die Frage?»

      «Ob Ihnen einer der Roboter weh getan hat.»

      «Nein. Das nicht direkt.»

      «Aber?»

      «Nein. Mir hat keiner weh getan.»

      «Bestimmt nicht?»

      Gerda zögerte. «Nein.»

      «Hat Ihnen ein Roboter widersprochen?»

      «Nein, ich glaube nicht, nein, bestimmt nicht.»

      «Hat Sie einer der Roboter verängstigt?»

      Wiederum zögerte Gerda. «Nein.»

      «Warum haben Sie gezögert?»

      Gerda erzählte Dr. Matthiesen davon wie der Doktor sie in der Vorstellungsrunde verängstigt hatte. Sie könne sich selbst nicht erklären, wodurch. Sie habe sich auch mit jemand anderem darüber unterhalten. «Wie hieß der noch?»

      «Kommen wir zum Thema zurück. Also. Gab es mit Sluga Verständigungsprobleme?»

      «Nein, nicht mit Sluga.»

      «Mit wem denn?»

      «Na ja. So generell. Weiß ich nicht genau.»

      «Denken Sie bitte darüber nach, Gerda.»

      «Es ist eben im Allgemeinen. Ich komme aus einfachen Verhältnissen. Bei uns hat man kein Hochdeutsch geredet.»

      «Platt?»

      «Nein. Wir hatten unser eigenes Vokabular. Ich konnte mich nie davon frei machen. Wieso auch? Bisher hat mich noch jeder verstanden. Mit den technischen Pflegern und dem Synthetikarzt ist es manchmal etwas schwierig. Lappalien, eine kleine Bemerkung hier, eine Erinnerung dort, und alles ist durcheinander.»

      «Was meinen Sie denn damit?»

      «Das weiß ich nicht genau.» Gerda überlegte kurz. Dann fiel ihr ein Beispiel ein. «Ich habe zu Rabynya gesagt Wer A sagt, mutt ok Eier leggen. Daraufhin hat sie mich gefragt, ob es immer o.k. ist, Eier zu legen, wenn jemand A sagt. Damit hat mich Rabynya verwirrt. Ich sie auch, glaube ich. Es ist eben schwierig, ab und zu jedenfalls.»

      «Hat Sluga Sie verärgert?»

      «Nein!»

      «Hat Naya Ihnen falsche Wäsche gebracht?»

      «Nein.»

      «Hat Dr. Aglus Sie bevormundet?»

      «Nun, ja. Nein.»

      «Ja oder nein?»

      «Dr. Matthiesen, Sie sind aber penetrant.»

      «Denken Sie doch bitte mal darüber nach.»

      Hierauf schilderte Gerda einen, wie sie meinte, eher unwichtigen Vorfall. «Ich bewunderte ein Blümchen, das mir die Bewohner aus Abendrot zum Umzug nach Gaudium geschenkt hatten. Dr. Aglus kam, um sich kurz mit mir unterhalten. Nur, um seine Patienten besser einschätzen zu können, so sagte er. Was ich an der Pflanze auf der Fensterbank fände, hat er gefragt. Ich entgegnete, dass ich das Geschenk meiner ehemaligen Mitbewohnerinnen und -bewohner sehr schätzte. Er erwiderte, Gefälligkeiten würden keinerlei Sinn erfüllen. Darum bestehe er auf einer Entsorgung der Pflanze. Naya müsse sonst zu viel desinfizieren. Objekte ohne Sinn seien prinzipiell zu beseitigen.»

      «Und dann?»

      «Mir standen die Tränen in den Augen. Es hatte gar keine Bedeutung. Ich habe es nur erwähnt, weil Sie danach gefragt haben.»

      «Wo ist Ihre Blume jetzt, Gerda?»

      «Naya hat sie weggenommen.»

      «Das tut mir leid. Möchten Sie eine Neue haben?»

      «Nein. Es wäre nicht dasselbe.»

      «Sind Sie sicher?»

      «Ja.»

      «Dann werde ich Sie jetzt wieder allein lassen, wenn das in Ordnung ist.» Dr. Matthiesen sah Gerda tief in die Augen und verließ dann ihr Zimmer. Sie kramte das Tagebuch heraus, einen Kugelschreiber und einen Kalender, weil sie in der letzten Zeit immer unsicherer wurde, um welchen Tag es sich gerade handelte.

      In der letzten Nacht habe ich schlecht geträumt. Mir ging so vieles durch den Kopf, von früher, von dem, was ist, was sein wird. Meine Tage sind gezählt. Das liegt auf der Hand.

      Die meisten meiner Freunde sind ohne einen Funken Würde von dieser Welt gegangen. Das will ich nicht. Ich möchte in den Genuss der Wunder unserer Zeit kommen. Ich glaube an das unendliche Universum der Wissenschaft. Doch irgendetwas führt der künstliche Arzt auf Gaudium im Schilde. Wenn ich nur wüsste, was er vorhat. Will er so etwas wie einen Krieg herbeiführen? Ich glaube, die Gedanken an Vater und den Zweiten Weltkrieg haben mich verwirrt. Oder es lag an Sluga?