Susanne Kowalsky

Sluga - Immer für Dich da


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      Gerda ging auf ihr Zimmer und machte es sich im Cocktailsessel bequem. Sie schätzte es, dass sie bei ihrem Einzug in Abendrot einige ihrer Lieblingsmöbel hatte mitbringen dürfen. Grund zur Klage gab es keinen, obwohl ihr das alt-englische Eisenbett fehlte und auch ihre übergroße, bequeme Couch. Das Zimmer im Heim glich eher einer Single-Wohnung als einem Raum in einer Pflegeeinrichtung, ein Flur mit Garderobe, ein Bad mit Wanne und Dusche, ein Wohnraum mit Kühlschrank. Das Pflegebett stand in einer Art Schlafzimmer ohne separierten Zugang, aber über Eck, sodass es weder vom Flur noch vom Wohnraum eingesehen werden konnte. Die Abendrot-Wohneinheit war identisch mit der Gaudium-Ebene sowie mit Herbstlaub, auf der Demenzkranke im fortgeschrittenen Stadium untergebracht wurden. Einziger Unterschied: ein Remember-Screen im Eingang. In ‹Panorama› kümmerte sich Heinz Vogt um elf Bettlägerige. Selbst sie wohnten in Einzelzimmern, die nicht viel mit einem Zimmer im Krankenhaus gemein hatten. Mit Ausnahme des Pflegebettes erinnerten sie an Hotelzimmer, alle bunt gestrichen, individuelle Bilder an den Wänden, entweder von den Akzeptoren gestiftet oder selbst mitgebracht oder sie entstammten Nachlässen, für die sich niemand sonst mehr interessierte. ‹Panorama› war dafür vorgesehen, als erste Ebene nach der Gaudium-Testphase komplett von den Robotern versorgt zu werden.

      Aus der Kommode gleich neben dem Bett kramte ich mein Tagebuch hervor. Ich setzte mich damit an den Sekretär unter dem Fenster.

      Die Neuen im Kollektiv sind recht nett. Joachim Schreiber ist enttäuscht, weil Dr. Aglus seine Frage nicht beantwortet hat. Ich weiß gar nicht mehr, was er gefragt hatte, aber ich weiß ganz genau, dass alle anderen aus unserer Wohnebene eher am Tagesablauf interessiert waren als an ...

      Schade, dass ich so vergesslich geworden bin. «Ja. Bitte? Herein!»

      «Rabynya kommt, um dich für die Nacht vorzubereiten.»

      «Eigentlich wollte ich noch gern ein paar Einträge in mein Tagebuch schreiben.»

      «Rabynya akzeptiert deinen Wunsch. Rabynya wollte nicht stören.»

      «Aber du störst doch nicht. Ich möchte nur noch nicht ins Bett. Mir geht noch so viel durch den Kopf. Bringe ich deinen Zeitplan durcheinander, wenn wir die Abendtoilette etwas verschieben?»

      «Rabynya ist für dich da, wann immer du willst. Rabynya gefällt es, wenn es dir gut geht. Drück auf den Pflege-Knopf unter dem Lichtschalter, wenn Rabynya zurückkommen soll.»

      «Ja, 㻳das mache ich, Liebes.»

      Ich schrieb weiter: Es ist wunderbar, dass sich nur jeweils zwei bis drei Bewohner einen Roboter teilen müssen. Die haben keinen Urlaub. Krankenscheine gibt es für die auch nicht. Man muss sich nicht täglich auf andere Pfleger einstellen. Ich bin froh, dass Rabynya zu mir kommt. Sie ist tüchtig und erfüllt mir absolut jeden Wunsch. Zu der lieben Frau Fuchs kommt ein Android namens Roberta. Sie sieht genauso aus wie Rabynya, die sehen überhaupt alle gleich aus, jedenfalls die, die in der Pflege sind. Wie die anderen aussehen? Welche gibt es da noch? Ich bin müde. Zeit, den Pflege-Knopf zu betätigen.

      «Du hast gerufen? Was kann Rabynya für dich tun?»

      «Schön, dass du da bist. Zieh mir doch bitte die Schuhe aus.»

      «Wird gemacht.»

      «Würdest du mir bitte auch die Haare bürsten? Das fällt mir jeden Tag schwerer, so dumm es sich auch anhört.»

      «Kein Problem. Rabynya bürstet dir die Haare. Setz dich bequem hin. Möchtest du die Füße hochlegen?»

      «Eine gute Idee!»

      «Rabynya macht das gern für dich.»

      Das versprochene Rundum-Sorglos-Paket, bestens geschnürt. Für morgen stelle ich mir wieder den Wecker, denke an frostige Wintertage in der alten Zeit, an Verkehrsstaus, einen knurrigen Chef. Dann stelle ich den Wecker ab. Ich drehe mich um, döse bis es Frühstück gibt. Das muss ich mir nicht mal selbst machen.

      «Deine Haare sind glatt. Es sind keine Knoten mehr da. Was kann Rabynya jetzt für dich tun?»

      «Den Rest schaffe ich allein, danke.»

      «Rabynya wünscht dir eine gute Nacht.»

      «Warte, bitte.» Rabynya verharrte regungslos.

      «Rabynya?» Gerda schloss die Augen. Sekundenschlaf. Orientierungslosigkeit. Zurück in der Gegenwart. Rabynya stand noch an derselben Stelle. «Rabynya?»

      «Rabynya wartet auf deinen Befehl.»

      «Befehl? Oh nein, meine Liebe. Nur eine Bitte hätte ich. Erzählst du mir eine Geschichte?»

      «Rabynya geht. Rabynya schickt Sluga.»

      KAPITEL 3

      Hier liege ich. Auf meinem Bett. Eigentlich ist das Zimmer recht wohnlich. Mit dem alten Kasten wäre es noch schöner. Ein Tablett haben sie mir hingelegt. Da soll ich reingucken. Erst wischen, dann ... Vollkommener Blödsinn. Früher standen Gläser auf den Tabletts. Was denken die sich heutzutage? Denken die überhaupt? Die künstlichen Intelligenzbestien meine ich.

      Damals war alles besser. Bald wird es wieder so sein wie einst. Ich muss nur durchhalten. Will ich überhaupt durchhalten? Vielleicht mache ich die Augen zu. Ich lasse sie zu, für immer. Wenn sie mich beerdigt haben, wandel ich auf Serpentinen der Musik entgegen. Links und rechts stehen Kapellmeister. Sie bewundern mich, meine Schuhe, meinen elastischen Gang. Mit jedem Schritt komme ich meinen Träumen näher, dem Paradies. Im Himmel kann ich das Tanzbein schwingen, ganz genau so wie damals. Die alten Meister waren göttlich. Sie rissen das Publikum mit. Man flirtete auf der Tanzfläche, verabredete sich für den nächsten Musikabend, freute sich einen ganzen Monat lang darauf. Ich war ein vortrefflicher Tänzer, der König des Bossa Nova. Die Mädels rannten mir hinterher. Alle. Eine hat mir besonders gefallen.

      «Klopf, klopf, klopf. Halloho! Wie geht es dir? Willst du dich mit mir unterhalten?»

      Oh Schreck! Vor mir stand eine glatzköpfige Plastikfigur mit blauen Augen, wie Puppen sie meistens haben. Meine Tochter hatte so eine gehabt. Ihre Ohren lagen eng an. Die Lippen waren schmal und kurz, kaum breiter als die kleine Nase. Auf der faltenlosen Stirn war das Wort ‹Sluga› aufgedruckt.

      «Lass‘ mich in Ruhe. Wo ist Inge?»

      «Ich bin Sluga.»

      «Das weiß ich. Hältst du mich für blöd?»

      «Nein. Wer ist Inge? Sollen wir uns unterhalten?»

      «Das tun wir doch schon.»

      «Wer ist Inge?»

      «Sie war meine Frau.»

      «Inge war bestimmt schön.»

      «Woher will ein Plastikteil wie du das wissen?»

      «Ich bin Sluga. Sluga möchte sich mit dir unterhalten.»

      «Inge war mein ein und alles. Weißt du überhaupt, was das bedeutet?»

      «Ja. Du kanntest nur Inge. Sonst niemanden. Aber das macht nichts. Jetzt kennst du mich.»

      «Dich? Du hast ja keine Ahnung, wovon ich überhaupt rede. Du gehörst nicht mal zur Schöpfung.»

      «Warte bitte. Sluga denkt.» Verifiziere Schöpfung.

      «Und wie lange soll ich warten?» Keine Antwort. «Sluga? Ich dachte, du wolltest dich mit mir unterhalten.»

      Definition Schöpfung: von Menschen Geschaffenes.

      «Sluga? Was ist das überhaupt für ein Name? Sluga! Sag was!»

      «Entschuldige. Sluga ist immer für dich da. Für dich, immer. Sluga gehört zur Schöpfung.»

      «Hau ab! Du kommst auf keinen Fall in meinen Himmel. Verschwinde!»

      «Du möchtest, dass Sluga geht? Bis morgen.»

      Wenn doch nur meine Inge da wäre. Sie war ein Mensch