Hugo von Velocia

Ein Lindwurm unter Wölfen


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Da der Wolf nicht wusste, was er sonst hätte tun sollen, folgte er weiter den Spuren. Sie wechselten ständig die Richtung und Formen. Velyne war sich seiner Sache schon lang nicht mehr sicher, aber er hatte keine bessere Idee als den vielen verschiedenen Spuren zu folgen.

      Der Lindwurm suchte sich einen guten Platz auf einem Hügel, von dem er die Umgebung gut überblicken konnte. Erst dort nahm er wieder seine normale Gestalt an und wartete auf Velyne. Allerdings machte er sich unsichtbar, denn vielleicht konnte er Velyne dann ein wenig erschrecken. Der Wolf schien die Spur tatsächlich noch immer nicht verloren zu haben und bald schon konnte der Lindwurm ihn näher kommen sehen.

      Velyne war schon etwas verwirrt, was die ganzen verschiedenen Spuren betraf. Dahinter war einfach keine Logik zu erkennen. Aber White Fang hatte seinem Bruder immer gesagt: „Folge deiner Nase und traue nicht immer den Augen.“ Vielleicht hatte er solche Situationen damit gemeint, dachte sich Velyne und schnüffelte an den Spuren, die auch jetzt noch immer wieder ihre Form veränderten. Ich frage mich, wie er seine Spuren so verändern kann, dachte sich der Wolf.

      Da kommt er ja schon, dachte sich der Lindwurm und wartete geduldig ab, bis Velyne in der Nähe war. Dann schlich er sich ganz leise von hinten an den Wolf an und folgte ihm. Er war gespannt, wie lange es wohl dauerte, bis Velyne merkte, dass der Lindwurm direkt hinter ihm war.

      Nun war Velyne an dem Punkt angekommen, wo die Spur endete und sich ein wenig hin und her verteilte. „Sieht aus als wären das hier wieder die Originalspuren, aber die gehen ja nur hin und her und nicht mehr weiter.“ Dann bemerkte Velyne, dass neue Spuren wieder in die Richtung führten, wo er herkam. „Die Spuren... denen bin ich nicht gefolgt. Er ist in meine Richtung gegangen, aber... ich hätte ihn treffen müssen“, sagte der Wolf verblüfft. „Aber ich bin auf dem Richtigen Weg. Ich finde dich schon“, fügte er motiviert hinzu und machte sich vergnügt auf den Weg zurück. Immer den Abdrücken nach, die diesmal auch zum Lindwurm passten.

      Der Lindwurm hatte Mühe, nicht zu kichern und blieb noch eine Weile direkt hinter dem Wolf. Doch nach einiger Zeit konnte er der Versuchung nicht widerstehen, ihm etwas an der Schweifspitze zu zupfen. Da er noch immer unsichtbar war, würde Velyne ihn nicht sehen können.

      Velyne zuckte erschrocken zusammen, als ihn der Lindwurm an seinem Schweif zupfte. Er drehte sich blitzartig um und da war... nichts, nur Luft. „Ich glaube langsam werde ich schon verrückt“, murmelte der Wolf. Er folgte den Spuren weiter bis er an dem Punkt ankam wo der Lindwurm auf Velyne getroffen war und ihn heimlich verfolgt hatte. „Was? Die Spuren ändern wieder die Richtung, und genau wieder in die Gegenüberliegende. Das ist genau die Richtung aus der ich gerade herkomme.“ Da der Lindwurm Velyne entgegenkam und ihn dann auch folgte, sieht es jetzt so aus als würde er hin und her gehen, aber ohne dass Velyne ihn jemals traf. „Huch.“ Velyne hörte ein leises glucksen, sprang in dessen Richtung und prallte an irgendwas ab. „Aua.“ Verwirrt rieb sich Velyne den Kopf.

      Velyne war plötzlich mit dem Lindwurm zusammengestoßen. Es war so schnell gegangen, dass der Lindwurm nicht mehr hatte ausweichen können. Doch nun machte sich der Lindwurm schnell wieder direkt vor Velynes Augen sichtbar. Es sah aus, als ob er aus dem Nichts plötzlich erschienen wäre. „BUUUUUH!“, brüllte er und begann zu lachen. „Hab ich dich erschreckt, Kleiner?“

      So schnell Velyne auch beim Lindwurm war, so schnell war er dann auch wieder weg. Mit einem Satz sprang er zurück und landete auf den Bauch. „Uff... oh... du... du hast mich vielleicht erschreckt. Ich hab es genau gesehen, du bist einfach so aufgetaucht. Ich hatte so ein Gefühl, dass du in meiner Nähe bist... aber ich konnte dich nicht sehen. Du warst wie unsichtbar. Wie hast du das gemacht?“, fragte der Wolf neugierig.

      „Hehehe. Du bist ziemlich gut, Kleiner. Aber die gefährlichsten Dinge sind immer die, die man nicht sehen kann. Merk dir das. Und ja, ich kann mich unsichtbar machen, wenn ich will. Da das aber nur durch ziemlich viel Konzentration möglich ist, kann ich das nicht zu oft machen.“ Der Lindwurm streichelte und tätschelte dem Wolf über den Kopf.

      Der kleine Wolf, lächelte überglücklich. Es schien als hätte er diese Aufgabe in etwa gemeistert. „Ja, das merke ich mir. Ab sofort werde ich genauer auf mein Umfeld achten“, sagte er und fing an zu hecheln. Dann drückte er den Lindwurm leicht, als Geste seiner Dankbarkeit und Freundschaft. Dies war so üblich bei manchen Wölfen und auch bei Velyne.

      Auch der Lindwurm schnurrte, bei dieser Berührung. „Ich hätte nicht gedacht, dass du überhaupt meinen Spuren folgen kannst. Immerhin habe ich mir viel Mühe gegeben, möglichst viel unterschiedliche Spuren zu hinterlassen. Ich habe wohl deinen Geruchssinn unterschätzt, Kleiner. Nächstes Mal werde ich es dir noch schwerer machen müssen“, erklärte der Lindwurm und kuschelte sich ein wenig an den Wolf.

      Ja ich konnte deine Fährte immer riechen. Diese vielen verschieden Spuren haben mich verwirrt, aber ich bin dann sozusagen immer der Nase nach“, erklärte Velyne und grinste frech. „Ach ja, wie hast du das mit den Spuren gemacht? Ich bin mir sicher, dass du die hinterlassen hast, aber da waren Wolfsspuren und ein paar sahen so aus, als wären sie von Drachen oder anderen Tieren.“

      „Hehehe. Ja, wir Lindwürmer haben eben viele Talente. Wie ich das gemacht habe, verrate ich dir jetzt noch nicht Aber vielleicht findest du es ja bald selbst mal heraus, Kleiner.“ Schnurrend schleckte der Lindwurm dem Wolf über sein Fell.

      Auch Velyne schnurrte ein wenig. Zumindest versuchte er es. Er liebte es, wenn der Lindwurm das tat. Insgeheim wartete er manchmal sogar darauf. „Okay, ich bin schon gespannt auf diese Fähigkeit“, sagte er und gluckste vergnügt, als ihm der Lindwurm nochmals über den Rücken schleckte.

      Da der Lindwurm noch nicht wirklich hungrig war, brauchte sich der Wolf auch vorerst noch keine Sorgen zu machen. Auch nicht, wenn der Lindwurm durch das Abschlecken auf den Geschmack kommen sollte. Doch der Lindwurm wusste, dass es ihm, wenn er wieder Hunger bekommen würde, sicher schwer fallen würde, den Wolf nicht als Beute zu betrachten. Vorher wollte er ihn allerdings noch ein wenig weiter auf seine Fähigkeiten testen. „Ihr Wölfe jagt doch normalerweise in Rudeln, oder?“

      „Ja, eigentlich schon. Aber ich war nie wirklich gern in einem Rudel. White Fang und ich... wir waren am liebsten allein unterwegs“, erklärte Velyne und lächelte den Lindwurm dabei an. "Und wie sieht es bei dir aus?"

      „Wir Lindwürmer jagen immer alleine. Wir wollen dabei keine Konkurrenten, die uns die Beute streitig machen könnten. Das liegt wohl auch daran, weil wir unsere Beute nicht, wie andere Raubtiere teilen können. Teilen ist nicht gerade einfach, wenn man seine Beute nur als Ganzes verschlingen kann. Aber vielleicht könntest du ja mal gemeinsam mit mir jagen gehen. Sicher könnte ich dir noch ein paar nützliche Dinge beibringen.“ Der Lindwurm dachte sich: Vielleicht kann ich ja ihn die Arbeit machen lassen und dann doch alles selbst fressen. Doch noch während dieses Gedankens schämte sich der Lindwurm dafür. Das wäre ziemlich gemein einem Freund gegenüber. Und Velyne war inzwischen sein Freund. Auch wenn der Lindwurm noch nie irgendwelche Freunde gehabt hatte, wusste er, dass Velyne ein Freund war.

      „Ja, das würde mich freuen“, sagte der Wolf glücklich. „Und... was ich dich nach all dem noch fragen wollte. Würdest du mich noch immer verschlingen ohne mich wieder rauszulassen? Ich meine... wenn wir bei der Jagd nichts erbeuten... muss ich mir dann Sorgen machen?“ Diese Frage beschäftigte den kleinen Wolf schon seit einiger Zeit. Was wird aus ihm, wenn der Lindwurm wieder Futter brauchte? Da er schon jetzt viel vom Lindwurm gelernt hatte, wollte er natürlich auch nicht, dass am Ende alles umsonst gewesen war.

      Der Lindwurm dachte einen Moment nach. Die Wahrheit war, dass er den Wolf eigentlich mochte und es ihm schwer fallen würde, ihn zu fressen. Er hatte schon lange beschlossen, Velyne nicht zu fressen. Doch Velyne sollte den Lindwurm auch nicht für zu harmlos und ungefährlich halten. Deshalb erwiderte er: „Nun... wenn wir zusammen beim Jagen ein gutes Team sind und reichlich Beute machen, dann könnte ich vielleicht darauf verzichten. Aber ich muss zugeben, dass du für mich eine sehr leckere Beute wärst. Ich habe schon sehr viele Wölfe gefressen. Ganze Rudel von Wölfen. Aber du bist anders. Ich mag dich, Kleiner. Und nicht nur, wegen deinem leckeren Geschmack. Deshalb werde ich natürlich immer versuchen, dich zu verschonen. Aber so ab und zu mal zum Spaß würde ich dich schon mal verschlingen