Günther Frühmorgen

ESCAPER Stories / Band 1


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über eine Betonmauer ins rauschende Leerschusswasser des Kanals unterhalb des Uppenbornwerks. Hinter ihm summte und wummerte der riesige Backsteinbau, seine hohen Fenster standen in mattem Licht. Daneben flirrte und zirpte das dunkle Umspannwerk.

      Die Scheinwerfer des Lloyd wischten schwach durch eine rabenfinstere Landschaft. Häuser hockten dunkel. Büsche davor flackten schwarz wie Kohlebrocken. Wenige Autos kamen ihm entgegen, schroff scheinwerfend. Der Lloyd zog dahin mit einem singenden hellen Wimmern. Hans hatte das Rätsel der Außerirdischen gelöst. Ein oder kann in kosmischen Dimensionen ebenso ein und sein. Das Universum ist unendlich und endlich. Ich liebe meine Mutter und Marianne. Über kurz und lang werden sie kommen! Wie einfach und genial.

      Sein Einfamilienhaus stand da zapenduster. Er schaltete den Motor vor der Garage ab, schob den Lloyd in die Garage. Vor dem Haus stehend wunderte er sich über die im Finstern stockende Welt. Er blickte in den Himmel, in dem keine Sterne steckten. Dunkelheit überall. Als er durch die Haustür trat, schepperte er gegen die blecherne Milchkanne, die seine Frau dort abgestellt hatte.

      "Wir ham koa Licht!" Marianne, seine Ehefrau, war bereits im Schlafzimmer im 1. Stock und rief erregt herunter. Er beschwichtigte sie. Als er sich beugte, um die Schnürsenkel aufzuziehen, fand er sich plötzlich in taggrellem Schein. Er bolzte hoch. Draußen war ein gelbes Gleissen. Dann urplötzlich wieder Finsternis. Hans äugte durch das Haustürfenster. Wartete. Dann leuchtete, aber weiter weg, wieder dieses gelbgrüne Aufscheinen im Himmel. Hans Hummel röchelte leise. Sie kommen! Schon!

      "Wetterleuchten!" rief seine Frau von oben.

      Hans musste lächeln ob solcher Naivität seiner Ehefrau. Selten, dass er gelächelt hatte in seinem Leben. Sein grimmigstes Lächeln steckte hinter Glas im Wohnzimmerbuffet. Eine ganze Stunde lang hatte der Photograph mit ihm geübt und Hunderte von Photos verschossen, bis etwas zustande kam, wovon nun alle Verwandtschaft sagen konnte, es wäre ein sauberes Hochzeitsbild. Er konnte sich auch nicht erinnern, jemals gelacht zu haben, nicht einmal, als sie als Lehrlinge eine Schwachstromleitung im Toilettensitz der Firma installiert hatten. Sein Berufsmotto war von Anfang an gewesen: Als Elektriker steht man immer schon mit einem Fuß im Zuchthaus. Bislang war Hans der Polizei nie in die Quere geraten. Einmal nur, als er mit einem Lloyd Alexander in wütende Schüsse aus einem Polizeischießstand geraten war, den man ohne Ankündigung in Richtung auf die Feldstraße verlegt hatte, die er manchmal als Abkürzung zur Arbeit befuhr.

      Plötzlich warf ihn ein neues grelles Leuchten schier um, taumelnd sah er sich sekundenlang im Flurspiegel, entsetzte sich über sein Aussehen: sein Bartschatten leuchtete grün. Der Lichtschein verschwand im Dunkeln, Hans hielt sich steif an der Wand. Sein Nacken brannte, sein Atem kam stockend. Er wagte es nicht zu denken, was ihm nun in den Kopf kam: Was, wenn er bereits in ihrem Griff war? Wenn nicht er durch seinen freien Willen den Angriff ausgelöst hatte, sondern sie ihn wie eine Marionette benutzten? Wie lange schon? Oder er war von ihnen gezüchtet worden, sein ganzes Leben lang? Hans röchelte. Als Zweitgeborener war er ihr perfektes Opfer geworden, denn der erstgeborene Bruder bekam den Hof vom Vater. Wieso wurde er Elektriker, wo doch Triebwagenführer sein innigster Berufswunsch war? Wieso spielte man ihm diese Radiosendungen über Außerirdische vor? Marianne wollte nie auch nur einen Ton davon hören.

      War er nun einer von ihnen? Dieses Grün, in dem sich sein Gesicht nun offenbarte? Blaubart hatten sie ihn genannt, wegen seines blauen Bartschattens, und dass er wohl aus Transilvanien käme? Wobei er aber in Grünseiboldsdorf auf die Welt gekommen war. Großer Gott – Grünseiboldsdorf! Hans tappte wie benommen herum, schepperte wieder an die Milchkanne, fand die Varta-Taschenlampe, an der Wand hängend. Er leuchtete sich den Weg ins Badezimmer. Er hielt sich benommen am Türrahmen fest, der Spiegelreflex blendete ihn. Er schloß die Augen. Nun konnte er in Ruhe warten, bis sie ihn holen kämen. Natürlich würden die anderen, die Menschen, gaffen, morgen bei Tag, wenn die Raumschiffe über ihnen schwebten, groß wie Gewitterambosse. Er legte die Vartalampe auf den Hocker vor der Badewanne, zog sich die Hosen aus, wusch sich gründlich. Dann cremte er sich sorgsam ein. So, nur im Hemd und in Socken stieg er die Treppe zum 1. Stock hinauf, lurte durch in die halboffene Schlafzimmertür. Er leuchtete seine Frau an, die aufrecht und schimpfend im Federbett saß, dick und rund wie die Boje, mit der man die Einfahrt zum Hamburger Hafen markiert.

      Hans zog eine wilde Grimasse. War er also nur Marionette! Dann könne man ihm auch keinerlei Verantwortung aufhalsen für sein Tun, was auch immer. Dann konnte er nun auch die haarsträubendsten Dinge machen. Schaudernd trat er an den Bettrand heran. Seine Frau belferte in hohen Tönen. Hans knipste die Varta aus. Nun würde er etwas tun, was er nach der Hochzeitsnacht beschlossen hatte, nie mehr zu vollziehen, aus Angst vor dem Gerede der Leute, wenn sie Vierlinge oder Fünflinge bekämen.

      Supermarkt

      Der Supermarkt mit dem Parkplatz. Ziemlich voll. Wie lange hat mich der cosmosschwarze Chrysler schon verfolgt? Ein Chrysler Imperial 5.4 Liter. Ich sah ihn die ganze Zeit im Rückspiegel. Ich drehe drei Runden und parke meinen Wagen abrupt links in eine Lücke zwischen einem tiefseeblauen Pontiac und einem fahlgelben Ford. Steige aus. Der cosmosschwarze Chrysler blubbert langsam an mir vorbei. Ein schwarzhaariges Girl am Steuer. Sie glitzert mich an mit Fischaugen.

      Oh boy, diese Asphaltmähne. Was für eine Schicksa. Yeah, damit Sie´s gleich wissen. Ich bin Privatdetektiv und gehe auf einem Parkplatz herum. Auf dem Parkplatz irgendeines billigen Supermarkts in einer billigen Stadt irgendwo in den USA.

      Damn! Was hupt der Kerl hier – ich wäre schon nicht über seine Kühlerhaube gefallen.

      Ein Freund von mir hat sich einen Timer an die Hupe bauen lassen. Nach einer halben Stunde geht die los. Wenn er dann gemütlich aus dem Supermarkt kommt, braucht er nur dorthin zu gehen, wo eine Traube von Leuten um seinen hupenden Wagen steht.

      Alles babyblau da oben. Die Wolken haben sich verzogen. Es ist Juni. Eine gute Zeit in Washington. Leere Luft.

      Ich beobachte das Fischaugengirl. Sie hat den Imperial ziemlich schräg geparkt. Sauschlampig, könnte man auch sagen. Sie steigt aus. Steht da in diesem Jeanskleid, das ziemlich eng an ihr dran ist. Aber das ist es nicht was mich beunruhigt. Eher, daß sie etwa 26 ist. Plus ungefähr 47 Tage, plus die vier, fünf Nächte, die sie ein für allemal versaut haben.

      Sie stakst zum Supermarkt. Tut, als ob sie nirgendwohin müßte. Als ob es ihr nur Spaß macht, das Kleid auszubeulen mit ihren Formen. Ich habe sie im Auge. Beobachten heißt jemanden kontrollieren. Ereignisse im Ausgang beeinflussen. Moderne Physik. Jede Katze weiß das. Würden sie sonst vor den Mauslöchern sitzen?

      Okay, eigentlich arbeite ich für die CIA. Nebenbei als Private Eye habe ich den Auftrag, eine Biene mit dem kurvigen Namen Susan Sanders zu beobachten. Ich nehme nur delikateste Fälle an. Nur Seitensprunggeschichten. Wobei ich hier nicht die Ehemänner observiere, sondern die Bienen. Das ist mein Trick. Ich würde niemals einen Auftrag von einem Ehemann annehmen, um seine Frau zu beschatten. Tatsächlich könnte sich herausstellen, dass es, ahem, meine Arme sind, in denen sie liegt.

      Sie sehen, ich bin eiskalter Profi. Ich schließe alle Eventualitäten von vornherein aus.

      Ich bewege mich parallel zu ihr, lasse immer einen Packen Autos zwischen uns. Damn. Dieses Gefühl. Ich spüre meinen Nacken heiß werden. Der Asphalt unter meinen Füßen wird weich, schwimmt auf und ab. Dann hebt sich der Boden. Ich stehe auf einer Rolltreppe.

      Irgendwie irrst Du im Supermarkt rum wie im Leben. Lauter bunte Reklameschilder, und Du weißt, dass Du doch nirgends einen Kuß umsonst kriegst. Und nun kommt die Schwarzlockige von links. Ist sie hinter mir her? Hey? Ihr Blick schlittert lässig die Regale entlang. Ich schnappe mir sofort einen Wagen, der da rumsteht. Sie soll nicht sehen, dass ich nur Photobatterien will. Unglaublich, was die Leute alles so kaufen. Pampers, Sardinen, Toast – und noch dazu der verkehrte. Ah – da beugt sie sich, steckt das Händchen, das sonst nur heiße Sachen machen kann, in dampfendes Trockeneis. Sie packt sich voll mit icecream. Vanille-Eis - eindeutig Vanille-Eis. Meine Droge. Ich tue alles dafür. Was die da macht, ist hyperprovokativ. Sowas machen nur Vollprofis. Damn.