Marina Selle

Weil du nur einmal lebst


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ab und an der linken Wand stand eine alte Treppe. Sie war breit und hatte ein verschnörkeltes Geländer, das perfekt in dieses Haus zu passen schien.

      „Die unteren Räume sind alle schon fertig renoviert, nur die Einrichtung fehlt noch. In der oberen Etage sind alle Räume noch unfertig, also noch keine Tapete noch keine fertigen Böden und so weiter. Und der Rohrbruch war zum Glück nur im Keller, hat also nicht wirklich viel Schaden angerichtet. In den Keller kommt man übrigens nur von außen. Willst du mal eine der Zimmer sehen?“, fragte mich Maddie und zeigte auf eine der weißen Türen.

      „Klar“, sagte ich und nickte.

      Wir gingen zu einer der Türen und Maddie öffnete sie.

      „Also, der Plan ist, in jedem der sechs Zimmer einen Schlafbereich, einen kleinen Wohnbereich, ein Badezimmer und eine kleine Kochzeile bereit zu stellen. Die Gäste können sich dann selbst etwas zu Essen machen oder alternativ auch in den Ort fahren, wo es ein paar wundervolle Restaurants gibt“, erklärte Maddie begeistert und zeigte mir, wo welche Möbel stehen sollten.

      „Wenn man reinkommt, dann soll erst einmal ein kleiner Schrank hier an der Wand stehen, wo man seine Sachen verstauen kann. Hier geht es dann ins Bad, wenn du möchtest kannst du da auch mal reinschauen, da ist aber auch noch nichts drin, außer der Fliesen.“ Ich warf einen kurzen Blick in den großzügig geschnittenen Raum und lief dann wieder meiner Tante hinterher, die gar nicht aufgehört hatte, zu reden.

      „Hier um die Ecke soll dann ein schönes, großes Doppelbett stehen, vielleicht ein

      Himmelbett, was meinst du?“

      Ich nickte und stellte es mir bildlich vor. Ja, das würde wirklich toll aussehen. „So und hier soll dann ein kleines Zweiersofa und ein schöner Sessel stehen. Hier vielleicht ein kleiner Fernseher und dort vorne an der Wand die Kochecke. Essen kann man entweder auf der Terrasse, oder man setzt sich auf Hocker, die ich an die Küchenzeile stellen möchte, sodass man sie gleichzeitig auch als Tisch benutzen kann. Wenn man im Obergeschoss wohnt, dann kann man natürlich auch auf dem Balkon essen, den jedes Zimmer dort hat.“

      Wow, das waren viele Informationen auf einmal.

      „Das hört sich wirklich großartig an, Mad.“

      Sichtlich erleichtert lächelte Maddie mich an.

      „Danke“, sagte sie und fuhr sich durch ihre Haare.

      „Ich freue mich schon auf den Moment, wenn ich die ersten Möbel aufbauen und an ihren Platz stellen kann. Dann wird es nicht mehr lange dauern, bis endlich alles fertig sein wird und die ersten Gäste kommen können.“

      Ich nickte. Ich konnte mir gut vorstellen, dass es nicht besonders einfach war, so ein großes Haus zu renovieren und vollkommen umzukrämpeln. Aber es passte zu Maddie, sich ein solch großes und Kreativität forderndes Projekt zu suchen. Sie liebte die Herausforderung und sie brauchte immer eine Aufgabe, der sie nachgehen konnte, sonst wurde sie unzufrieden und ein bisschen verrückt. Na ja, verrückt vielleicht micht unbedingt, aber so hat es meine Mom jedenfalls ausgedrückt.

      „Die anderen Räume zeige ich dir dann ein anderes Mal, wenn es dort schon etwas zu sehen gibt, in Ordnung? Ich habe nämlich ziemlich Hunger und ich würde sagen, zur Feier des Tages gehen wir beide jetzt erst einmal in einem tollen Restaurant zu Abend essen.“

      „Das klingt wunderbar“, sagte ich und versuchte mich daran zu erinnern, wann ich das letzte Mal etwas gegessen hatte. Es schien mir schon Ewigkeiten her.

      „Okay, ich werde nur noch schnell duschen und mich umziehen, dann können wir los“, sagte Maddie und legte mir ihre Hand auf meine Schulter.

      „Ich freue mich, dich endlich mal wieder hier zu haben, Lory“, sagte sie.

      „Ich freue mich auch“, sagte ich.

      3. Kapitel

      Frisch geduscht und umgezogen machten wir uns schließlich auf den Weg in den Ort. Die Sonne war bereits tief am Himmel und tauchte alles in ein goldenes, warmes Licht.

      Das war meine Lieblingstageszeit. Der Abend. Vor allem im Sommer, wenn es nicht dunkel wurde und es einem so vorkam, als würde es die Zeit und mit ihr all die Regeln und Sorgen nicht geben. Wir fuhren knappe zehn Minuten mit dem Auto, dann waren wir im Ort angekommen. Es war ein ziemlich kleiner Ort und allmählich wunderte ich mich nicht mehr, dass es hier keinen Bahnhof gab. Wir fuhren ein paar Umwege, weil Maddie mir die Stadt zeigen wollte und so bekam ich einen kleinen Überblick von ihrer Heimat.

      Es gab zwei Bäckereien, eine kleine Bücherei, eine Kirche mit einem wunderschönen, gepflasterten Platz davor, eine Hand voll Restaurants und Cafés, zwei Eisdielen, einen Fastfood-Imbiss und ein kleines Geschäft das sich Tulip nannte.

      Im Schaufenster lagen Schuhe, Portemonnaies, Schubladengriffe, Tischdecken und Schmuck aus. Maddie erklärte mir, dass man dort alles kaufen konnte, was eigentlich kein Mensch brauchte und dass sie gerade deshalb so gerne dorthin ging. Weiter außerhalb gab es unzählige Bauernhöfe mit eigenen kleinen Hofläden oder einem kleinen Stand an der Straße, die allerdings nie von irgendwem bewacht wurden. Man konnte sich einfach das wegnehmen, was man haben wollte und dann das Geld dafür in eine kleine Spardose werfen.

      Ich war sehr erstaunt darüber, wie vertrauensvoll die Leute hier miteinander umzugehen schienen, aber gleichzeitig war ich auch ziemlich beeindruckt.

      Bei mir zu Hause wäre so etwas nicht vorstellbar, da war ich mir sicher.

      Wir fuhren zu einem Restaurant, das etwas außerhalb der Stadt lag.

      Es war klein und wirkte sehr gemütlich, als wir dort ankamen. Es lag an einem kleinen See und es gab sowohl innen einen Essraum als auch außen, eine große Terrasse direkt am Wasser, auf der einige Tische standen.

      Das Restaurant war überraschend gut besucht, aber es waren noch ein paar Tische frei. Wir beschlossen, uns auf die Terrasse zu setzen, die jetzt im Abendlicht von Kerzen beleuchtet wurde.

      Wir setzten uns an einen Tisch ganz am Rand der Terrasse, sodass wir einen guten Blick auf den See hatten. Jemand hatte kleine Papierboote gefaltet und Teelichter hineingestellt und sie dann auf der Wasseroberfläche verteilt.

      Es sah wirklich wunderschön aus.

      „Guten Abend. Was kann…Oh hallo Maddie! Schön dich mal wieder hier zu sehen!

      Wie geht es dir?“, fragte die Kellnerin.

      Ich sah sie ein wenig verwundert an, aber hier kannte wohl jeder jeden.

      „Gut“, sagte Maddie, „danke. Und dir?“

      „Ja, es geht. Es hat sich nicht viel geändert, seit wir uns das letzte Mal gesprochen haben. Rosie geht es immer noch nicht besser und ich bin ehrlich gesagt auch ziemlich am Ende mit meinen Nerven, aber was kann ich schon machen? Ich habe alles ausprobiert, aber nichts hat geholfen. Ist das etwa deine Nichte? Lory, nicht wahr? Ich bin Amanda, Maddies alte Schulfreundin. Sie hat mir erzählt, dass du für den Sommer kommen würdest. Schön, dich mal kennen zu lernen.“

      „Ja, hi“, sagte ich etwas schüchtern und wusste nicht so recht, was ich jetzt tun sollte.

      Aber Maddie fragte auch schon weiter.

      „Wie geht es Rosie denn?“

      Sie klang ziemlich besorgt dabei, aber ich wusste nicht, um wen es sich dabei handeln könnte. Mad hatte in meiner Gegenwart noch niemanden namens Rosie erwähnt. Der Gesichtsausdruck von Amanda veränderte sich plötzlich. Man sah ihr deutlich an, dass sie eigentlich lieber nicht darüber reden wollte, aber meine Tante schien das nicht zu bemerken. Oder sie übersah es einfach.

      „Sie will nicht mehr aus dem Haus gehen“, sagte sie mit gesenkter Stimme. „Das geht jetzt seit mehr als einer Woche so, und seitdem ist sie so verzweifelt, dass sie sich nur noch vom Bett bis zum Kühlschrank und zur Toilette bewegt. Es ist schrecklich. Ich meine, das kenne ich überhaupt nicht von ihr.“

      Amandas