Marina Selle

Weil du nur einmal lebst


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aber Amanda schien sehr an ihr zu hängen. Wahrscheinlich war es ihre Mutter, die langsam aber sicher auf den Tod zusteuerte.

      „Das tut mir wirklich sehr leid“, sagte meine Tante mitleidig und sah Amanda in die Augen.

      Diese nickte dankend und fragte uns dann nach unseren Geränkewünschen.

      Wir bestellten und Amanda verschwand wieder im Restaurant.

      „Wer ist diese Rosie?“, fragte ich schließlich, „ihre Mutter?“

      Ein Grinsen legte sich auf Maddies Gesicht.

      „Ihre Mutter? Nein, die ist schon lange tot. Sie war einen nervige, alte Nörglerin, aber irgendwie mochten sie doch alle. Ich weiß bis heute nicht warum, aber sie hatte so etwas an sich...“ „Na und wer ist Rosie dann?“, fragte ich noch einmal, weil ich das Gefühl hatte, dass Maddie meiner Frage aus dem Weg zu gehen versuchte.

      „Es ist ihre Tochter“, sagte sie nach einem kurzen Zögern, „sie hat akute Leukämie.

      Du weißt doch was das ist oder?“

      Ich nickte. „Blutkrebs.“

      „Ja“, sagte meine Tante und sah auf den stillen Teich.

      „Sie ist ein wirklich fröhliches und aufgeschlossenes Mädchen gewesen, bis vor einer Woche. Sie war eine echte Träumerin, sie hat gerne Geschichten erzählt, Abenteuer erlebt und all solche Dinge. Sie war so lebensbejahend. Aber dann hat der Arzt vor einer Woche diese schlimme Diagnose gestellt und jetzt geht es ihr, wie du gehört hast, wirklich schlecht. Sie liegt von morgens bis abends in ihrem Bett und liest oder hört CDs. Manchmal macht sie auch gar nichts. Sie liegt dann da und starrt aus dem Fenster oder sie weint. Sie weint viel in letzter Zeit…“

      Wow. Das musste ich erst einmal verdauen. Plötzlich hatte ich überhaupt keinen Hunger mehr und ich wollte nicht mehr hier in diesem Restaurant sitzen.

      „Wie alt ist sie?“, fragte ich neugierig, obwohl ich mich fragte, ob das eigentlich groß einen Unterschied machte. Es muss immer unendlich schwer sein, einen geliebten Menschen zu verlieren, ob es nun ein dreijähriges Kind oder eine siebzig jährige Rentnerin war.

      „18.“

      Genauso alt wie ich. Ich schluckte. Kurz stellte ich mir vor, was ich wohl tun würde, wenn ich so eine schlimme Krankheit hätte, aber ich schob den Gedanken schnell wieder weg. Es war eine schreckliche Vorstellung, die ich mir nicht weiter ausmalen wollte.

      Zum Glück unterbrach Amanda meine Gedanken, als sie die Getränke brachte.

      „So, eine große Limonade und eine Apfelschorle, bitte sehr. Was möchtet ihr essen?“

      Nach einer weiteren Stunde hatten wir das Restaurant wieder verlassen.

      Das Essen war lecker, aber ich hatte es nicht richtig genießen können.

      Ich war sehr empfindlich, was schlimme Neuigkeiten anging, sie schlugen mir immer ziemlich auf den Magen.

      Auf der Rückfahrt sprachen wir kaum ein Wort.

      Maddie erzählte mir, dass sie morgen früh einen Termin im Rathaus hatte.

      Es war wegen irgendetwas, das für die Pension geklärt werden musste, mehr habe ich aber auch nicht verstanden. Ich habe ehrlich gesagt auch nicht richtig zugehört. Jedenfalls würde ich morgen früh alleine zu Hause sein, vorausgesetzt Noah klingelte nicht, weil er irgendetwas brauchte.

      „Ich muss dich noch warnen“, sagte Maddie zu mir, als wir schon fast zu Hause waren, „Noah kommt öfter mal ins Haus um sich etwas zu Trinken oder zu Essen zu holen, also wunder dich nicht, wenn er plötzlich in meiner Küche steht. Er hat ja einen Schlüssel, also muss er nicht klingeln. Ich hoffe er macht nicht so viel Lärm, dass es dich aufweckt.“

      „Ich bin nicht so ein Langschläfer“, behauptete ich, um Maddie zu beruhigen.

      „Wahrscheinlich werde ich sowieso schon wach sein, wenn er kommen sollte.“

      Als wir zu Hause ankamen, war es bereits zehn Uhr.

      Ich ging in mein Zimmer und packte das Nötigste aus meinem Koffer aus, aber ich war zu müde von der Reise und all den neuen Eindrücken, um alles auszuräumen. Ich beschloss, das auf morgen zu verschieben und ging mit meinem Schlafanzug und meinem Kulturbeutel in das Badezimmer auf der oberen Etage.

      Maddie hatte sich großzügigerweise dazu bereit erklärt, mir das Badezimmer den ganzen Sommer über zu überlassen. Sie würde stattdessen das kleinere im Erdgeschoss benutzen.

      Ich schminkte mich ab und wusch mir mein Gesicht mit kaltem Wasser, was mich normalerweise irgendwie beruhigte und wieder herunterkommen ließ, aber dieses Mal funktionierte es leider nicht wirklich.

      Schnell putzte ich meine Zähne und zog mich um, meine Klamotten warf ich einfach auf den Schreibtischstuhl in meinem Zimmer.

      Dann öffnete ich die beiden Fenster neben meinem Bett und zog die Vorhänge zu, bevor ich mich auf mein weiches Bett fallen ließ.

      Ich warf ein paar von den Dekokissen herunter und schaltete die Nachttischlampe aus.

      Dann lag ich einige Minuten da und machte nichts.

      Ich versuchte zu schlafen, aber ich konnte es nicht.

      Ich versuchte langsam von fünfzig runterzuzählen, aber auch das brachte nicht den gewünschten Erfolg.

      Dann machte ich das Licht wieder an und nahm mein Handy vom Nachttisch. Ich wollte eine SMS an meine Mutter schreiben, als ich sah, dass sie mir auf meine vorherige Nachricht geantwortet hatte.

       Hallo mein Schatz!

       Schön, dass du gut angekommen bist.

       Wie ist das Wetter?

       Hier ist es etwas bewölkt, aber trotzdem warm.

       Bestell Tante Maddie schöne Grüße von mir!

       Und denk dran, wenn irgendetwas ist, dann ruf mich jederzeit an oder komm zurück nach Hause.

       Ich hoffe du verbringst einen schönen Sommer!

       Alles liebe, Mom

      Ich las die Nachricht und drückte auf Antworten.

       Hi Mom,

       das Wetter hier ist toll! Genau richtig, nicht zu heiß, aber angenehm warm. Ich war gerade mit Maddie Essen in einem total schönen Restaurant an einem kleinen See. Die Pension sieht wirklich toll aus (also zumindest von außen). Die Räume sind schon renoviert, müssen aber noch eingerichtet werden und so.

       Ich freue mich schon darauf, die Fotos für die Website zu machen, dann kann ich sie dir auch schicken. Maddies Haus ist auch hübsch. Schreibe dir morgen wieder, gute Nacht, deine Lory

      Ich schickte die SMS ab und ging dann auf Google, weil ich immer noch nicht das Gefühl hatte, einschlafen zu können.

      In die Suchleiste gab ich Leukämie ein.

      Sofort wurde ich mit über 732.000 Ergebnissen bombardiert.

      Ich klickte auf das erste Ergebnis und las den Text auf der Website.

       Leukämie ist eine Erkrankung des blutbildenden und lymphatischen Systems. Es wird unterschieden zwischen der chronischen Leukämie (meist über mehrere Jahre hinweg) und der akuten Leukämie, die innerhalb von wenigen Wochen oder Monaten zum Tod führen kann.

      Ich las nur den Text mit der akuten Leukämie, da ich wissen wollte, an was Rosie erkrankt war.

       Akute Leukämie kann oft aus völliger Gesundheit heraus entstehen und sich wie ein schweres Krankheitsbild äußern.