Victoria M. Castle

Joayna


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Blick warf Linds zu ihrer Hand, dann zu der Statur und ließ ihre Miene wieder weicher werden.

      „Komm, Nana“, hörte sie eine deutlich jüngere Stimme hinter der Frau sagen, welche die alte Elfin sanft am Oberarm von Lindsay wegzog in Richtung der Kirche, auf welchem Weg die Alte wohl gewesen sein mochte.

      Die Elfendame ließ sich von der jüngeren fortführen, die Lindsay ein leichtes Lächeln schenkte.

      Diese war den beiden mit ihrem Blick gefolgt, ehe sie ihn flüchtig über das Gebäude der Kirche schweifen ließ, welche sie wohl nie wieder in ihrem Leben würde betreten können.

      Kapitel 2

      Lindsay dachte gar nicht viel über diesen Zustand nach, wenn es auch vermutlich für jemanden, der in einem Kloster aufgewachsen war, hätte schmerzhaft sein müssen, nie wieder ein solches Gebäude betreten zu können.

      Aber da sie nicht einmal wusste, wieso sie aus einem Kloster hierhergekommen war, wenn sie auch ihre eigene Theorie hatte und große Teile ihrer Erinnerungen in der Dunkelheit versunken waren, so schien auch der Schmerz an die noch intakten Erinnerungen versunken zu sein.

      Es ging ihr gut.

      Vermutlich ging es ihr das zumindest.

      Lindsay hatte sich in ein Netz ohne Gefühle gewebt, sich von einer Mauer aus kaltem Stein umhüllen lassen und lebte jeden Tag vor sich her.

      Sie dachte nicht viel darüber nach, was gewesen war, erinnerte sie sich ohnehin nicht.

      Und aus welchem Grund auch immer schien nichts und niemand auch nur einen Funken auslösen zu können, der sie an Schmerz oder Trauer erinnerte.

      Sie hatte die wenigen Informationen von Shadow, die sie bei ihrem Einzug in Tiéfwâas mit einem Schulterzucken hingenommen hatte, wenn auch er sie damals mit großer Verwunderung und wohl auch ein stückweit Misstrauen angesehen hatte und er dieser Ruhe, dieser Gelassenheit, dieser Gleichgültigkeit über ihre neue Lebenssituation wohl nicht hatte trauen können.

      Was spielte das auch schon für eine Rolle?

      Was auch immer in ihrer Vergangenheit gewesen sein musste, es war vorbei.

      Was würde es also bringen, in einer Geschichte zu lesen, dessen Einband sich längst geschlossen hatte?

      Lindsay hatte mit wenigen Schritten den Marktplatz bereits wieder verlassen und ließ sich von dem Strom Elfen davon tragen, der ebenfalls in Richtung „Baumkrone“ unterwegs war.

      Die „Baumkrone“ war der Begriff für eine kleine, auf einem Hügel liegende Ansammlung von großen Eichen, aus welchen ein einziges, stattliches Gebäude geformt worden war und in welchem der König der Elfen zusammen mit seiner Tochter wohnte.

      Die Ansammlung von Bäumen war so gelegen, dass sie ein prächtiges, rundes Gebäude bildeten, die „Krone“, in welcher Mitte ein großer Platz war, auf dem sich der Drachentrupp vor und nach den Schlachten traf, um sich zu beraten, um ihre Siege mit dem König zu teilen und ihren entsprechenden Lohn zu erhalten.

      Lindsay hatte den König bisher nur ein einziges Mal gesehen, was bei ihrer Ankunft in Tiéfwâas geschehen war.

      Sie hatte ihn als gutmütigen, friedliebenden Elfen kennengelernt, welcher sie gleich zu Beginn herzlich in Empfang genommen hatte, wenn sie auch zuvor gewarnt worden war, dass man sie vermutlich nicht so willkommen heißen würde. Sie wurde dahingehend eines Besseren belehrt.

      Als man sie durch den Felsen den großen Gang hinabgeführt hatte, welcher mit hellen Fackeln, die beinahe so mächtig wirkten wie Tageslicht, um am Fuße des Berges schließlich wieder nach draußen zu gelangen und ihre ersten Schritte ins Tal der Elfen zu setzen, hätte sie sich kaum vorstellen können, dass die prächtige Stadt sie so mitreißen würde.

      Hier unten wirkte alles so lebendig, wie sie es an keinem Ort bisher erlebt hatte, zumindest soweit sie sich daran erinnern konnte.

      Das Licht schien trotz der Tiefe des Tales heller als am Rande der Klippe zu sein.

      Und das war es, was Lindsay bei ihrer Ankunft so faszinierte.

      Die Männer, welche an den Klippen postiert waren, um das Tal von außen zu beschützen, hatten sie gewarnt, man würde nicht gut auf sie zu sprechen sein, auf jemanden wie sie.

      Doch als sie hier unten angekommen war, spürte sie keinerlei Feindseligkeit.

      Das Tal war beherrscht von Frieden und solch einer Natürlichkeit, dass es ihr auch heute noch ab und zu die Sprache verschlug.

      Der König hatte sie direkt am Fuße des Berges in Empfang genommen, was, so wusste Lindsay nun, äußerst ungewöhnlich war, schien er doch sonst die neuen Bewohner in der „Krone“ zu begrüßen, nicht hier auf den Straßen.

      Es schien ohnehin eine recht unförmliche Begrüßung gewesen zu sein, wenn auch trotz der Unförmlichkeit sein Anblick Ehrfurcht in Lindsay ausgelöst hatte.

      Auch wenn er für einen Elfen ein recht altes Aussehen hatte, seine Haut von Falten überzogen war, sein Kinn einen kurzen weißen Bart zierte, wirkte er doch relativ jung in seinem Auftreten und voll und ganz imstande, seine Aufgaben mit dem nötigen Wissen und der nötigen Achtsamkeit zu erledigen, die eines Königs würdig waren.

      Einzig allein seine Tochter war ihr damals kaum aufgefallen, wenn sie auch im Nachhinein des Öfteren über sie nachgedacht hatte.

      Seine Tochter war noch ziemlich jung gewesen und hatte selbst für eine Elfin einen recht zierlichen Körperbau und war relativ klein. Ihr blondes, beinahe schon weißes Haar trug sie lang und hatte viele kleine Zöpfe hineingeflochten, in welchen sie winzige, weiße Blumen eingewebt hatte, die so selbstverständlich darin aussahen, dass Lindsay sich das ein oder andere Mal gefragt hatte, ob sie nicht zwischen ihren Haare gewachsen seien.

       So abwegig schien ihr dieser Gedanke nicht einmal, hatte sie doch so viel Natur innerhalb des Tales kennenlernen dürfen, dass sie beinahe nichts mehr dahingehend verwunderte.

      Obgleich es sie auch immer wieder von neuem faszinierte.

      Die Tochter des Königs war damals schon äußerst ruhig gewesen, hatte bei ihrer Begrüßung keinen einzigen Laut von sich gegeben und auf Lindsay einen ziemlich verschüchterten Eindruck hinterlassen. Nur ein einziges Mal hatten sie beide Augenkontakt und für den einen Moment hatte sie auf Lindsay so unfassbar zerbrechlich gewirkt, dass sie davon ausgegangen war, dass man sie innerhalb der „Krone“ wohl gut zu behüten wusste.

      Was machte so ein kleines Ding auch hier auf den Straßen?

      Selbst wenn es nichts zu befürchten gab, wirkte sie nicht gerade so, als würde sie auch nur das kräftige Blasen des Windes aushalten.

      Seitdem jedenfalls hatte Lindsay sie nicht widergesehen und so geriet die Kleine schnell wieder in Vergessenheit.

      Sie kannte nicht einmal ihren Namen, wenn sie sich auch sicher war, dass der König diesen bei ihrer Ankunft erwähnt hatte.

      Lindsay hatte sich umgesehen, als sie sich der „Krone“ näherte.

      Auch hier schien bisher noch alles intakt zu sein.

      Vermutlich gab es tatsächlich heute nicht viel zu tun, was Lindsay aufseufzen ließ.

      Sie hatte gehofft, den Tag mit Aufbauarbeiten verbringen zu können, denn das waren die leichteren, aber auch selteneren Tage in Tiéfwâas.

      Langsam leckte sie sich die Lippen, als ihr Blick noch einmal prüfend über die Baumhausreihen glitt, um nicht doch eine Bruchstelle durch den Drachentrupp zu finden, aber zu ihrem Bedauern war alles soweit in vollkommener Ordnung.

      Leicht biss sie die Zähne zusammen und machte auf dem Absatz kehrt, als sie langsam den Weg zurückging.

      Vielleicht sollte sie heute den Versuch wagen...?

      Nein, sie entschied sich auch am heutigen Tage dagegen, das Tal durch den Felsen hindurch zu verlassen. Seit ihrer Ankunft im Tal war sie nicht einmal