der milchsauren Gärung, sonst würden die armen Kühe, das nach Essigsäure schmeckende Futter fressen müssen. Früher hatten sie es besser gehabt. Sie waren den ganzen Sommer über auf der Weide gewesen, aber dafür hatte ja niemand mehr Zeit und Platz – leider.
Heute sollte er den bereits gehäckselten Mais, der abgedeckt, in einem Fahrsilowagen am Ackerrand stand, zum Erd-Silo zu bringen. Die Söhne waren noch unterwegs, im Nachbarort den Mais abmachen und das Erd-Silo vorbereiten, deswegen war er als Erster am großen Feld angekommen.
Hier in Mosbach, war zum Glück alles eben und so musste er sich nicht plagen. Die Söhne ließen ihn nur noch auf ungefährlichen Äckern und wenn Not am Mann war, helfen, weil sie ihn mit seinen 79 Jahren für zu tüdelig hielten, um schräge oder unebene Äcker zu befahren. Wenn er ehrlich war, riss er sich auch nicht mehr darum. Zu gut war ihm noch sein letzter Sturz in Erinnerung, als er beim Holz abfahren im Wald, den Traktor umgeworfen hatte und um ein Haar darunter geraten wäre. Dann wäre er jetzt ganz sicher nicht mehr hier, um mit seinem geliebten, alten Bulldog, leichte Hilfsarbeiten zu verrichten. Er seufzte schwer und fuhr an den Ackerrand. Dort ließ er den Traktor stehen, ging an den zwei bereitstehenden vollen Silowagen vorbei und ein Stück um das Feld herum, auf dem die Hälfte Mais noch stand. Das machte er immer so, aus alter Gewohnheit. Seine Söhne würden später sicher weiter den Mais abmachen und häckseln wollen.
Einige Male schon, hatte er dabei Wildschweine aufgestöbert und einmal war ihm sogar ein Reh, mit halbwüchsigem Kitz, entgegengesprungen. Aha, dachte er selbstgefällig, im guten Gefühl, recht gehabt zu haben mit seiner Vorsichtsmaßnahme, die seine Söhne immer nachsichtig belächelten. Eine mannsbreite Spur führte vom Feldweg aus, hinten in den Acker hinein. Vorsichtig bog er darin ein und lief ein Stück auf den niedergetretenen Maispflanzen entlang. Komisch, dachte er, das sieht gar nicht aus, als hätte es ein Wildschwein oder Reh verursacht.
Der Trampelpfad beschrieb eine leichte Kurve und von weitem schon, sah er etwas Seltsames auf dem Boden - fast wie ein Frauenfuß sieht das aus - dachte er erschrocken. Aufgeregt rannte er los und zog dabei automatisch das Handy aus der Tasche, ohne das ihn seine Frau nirgends mehr hinließ, seit er vor einem halben Jahr einen Schlaganfall gehabt hatte. Außer leichtem Stottern und ab und zu Wortfindungsstörungen war zum Glück nichts zurückgeblieben. Er wählte zitternd ihre Nummer, dann war er auch schon an dem merkwürdigen Objekt angelangt.
Entsetzt erkannte er, dass der Frau, die da makaber auf dem Boden sitzend drapiert war, nicht mehr zu helfen war, dann sank er vor ihr zu Boden.
Die Stimme seiner Frau am Telefon, hörte er bereits nicht mehr.
Z W E I
Magda war gerade am Höchster Polizeirevier angelangt und öffnete die Heckklappe, um ihren Riesendackel Fränzchen herauszuheben. Der sah sie freundlich an, bevor er einen Schritt nach vorn trat, damit sie ihn besser umfassen und herunterheben konnte. „Du wirst auch immer schwerer, mein Butzelchen,“ schimpfte sie liebevoll mit ihm. Dabei konnte er gar nichts dafür – er fraß schließlich nur, was ihm Magda und ihre Mutter Rosi, vorsetzten. Magda zauste ihm liebevoll das Köpfchen und marschierte mit ihm zum Eingang des Reviers, als ihr Telefon klingelte.
Eine Frau schluchzte aufgeregt: „Magda, bist du´s? Ich brauche deine Hilfe, schnell!“ „Ganz ruhig,“ sagte Magda automatisch mit ihrer beruflichen Beruhigungsstimme. „Wer spricht denn überhaupt?“
„Hier ist eine Freundin deiner Mutter, die Andrea Reining, aus Wilschenumscht! Moim Monn is wos bassiert!“ Vor Aufregung verfiel sie in ihren Dialekt. „Ich komme,“ antwortete Magda, ohne zu überlegen. „Wo ist er denn?“ „Er muss uffm Acker soin, in Moarsbach, des is doch Hesse, do deffste doch ermitteln!“ Magda war inzwischen im Revier drinnen und Fränzchen hatte sich schon in seinem Körbchen niedergelassen. Sie stellte das Telefon laut und winkte Ben zu sich. „In Mosbach,“ wiederholte Magda geduldig. „Und wo in Mosbach?“ Die Frau schluchzte noch mehr.
„Wenn de von Wilschenumscht kimmst, fährste links, Rischdung Woldrond. Do soin e poar Maisäcker, du musser soin. Er hott geruffe, do is e douri Fraaa, donn hou isch en stehne hearn un en Plumps un donn nix mej.“ Magda brummte: „Wir kümmern uns, bleiben Sie ruhig,“ dann legte sie auf.
Die anderen sahen sie erwartungsvoll an.
„Also, es muss etwas passiert sein.“ „Ach,“ entfuhr es Anne schnippisch. Magda sah sie finster an. „Eine Frau rief mich an, nachdem sie meine Telefonnummer von meiner Mutter bekommen hatte. Sie war total aufgeregt und konnte kaum richtig sprechen. Ich habe nur so viel verstanden – ihr Mann war auf einem Maisacker in Mosbach und fand dort eine tote Frau. Daraufhin rief er wohl seine Frau an, um es ihr mitzuteilen und kurz danach muss ihm etwas passiert sein!“ „Also los!“ Annes Augen blitzten aufgeregt, woraufhin ihr Kollege Eddie vielsagend den Kopf schüttelte und grinste.
Magda sah sich um. „Ich fahre erst einmal vor mit Ben, um mir ein Bild zu machen. Vielleicht ist ja gar nichts. Sollte jedoch etwas sein, nehmt ihr die Sache in die Hand und kommt sofort nach – ok?“ Anne drehte sich maulend um. „Immer muss ich warten und Ben darf gleich mit,“ hörte Magda sie leise murmeln. Dann schnappte sie sich Ben und sie verließen zusammen im Eilschritt das Büro. Vorher hatte sie noch schnell Fränzchen über den Kopf gestrichen und ihn ermahnt, brav zu sein. Der gähnte nur kurz, dann drehte er sich einmal um sich selbst und ließ sich gleich darauf wieder stöhnend auf seinem Lager nieder.
Magda und Ben fuhren so schnell sie konnten, Richtung Mosbach. „Wieso fährst du denn nicht über die 45?“ wollte Ben wissen. „Weil ich erstens diese Strecke am besten kenne als Mömlingerin und weil es die schnellste ist,“ teilte sie ihm aufgebracht mit. „Ja, ja, reg dich nicht gleich auf,“ beruhigte sie Ben. „Ich glaub es dir ja.“ Magda brummte weiter mit finsterem Gesicht vor sich hin und Ben verstand nur Bruchstücke und dazwischen - „nur weil ich eine Frau bin!“ Aha. Er sagte lieber nichts mehr. In 25 Minuten waren sie in Mosbach angelangt. Als sie das Ortsschild erreichten, sahen sie eine ältere Frau mit ängstlichem Gesicht dort stehen, die sehr aufgeregt wirkte. Magda hielt an und die Frau stieß ein: „Bist du die Magda?“ hervor und stieg, auf Magdas Nicken hin, ohne Umschweife hinten ein. Magda reichte ihr automatisch einen Mundschutz, den die Frau mechanisch anbrachte, sah Ben an und zuckte die Achseln. Dann fuhren sie weiter. Die Frau erklärte ihnen den Weg, der doch nicht so einfach war und sie waren in kürzester Zeit am Acker angelangt. „Do is soin Bulldog!“ rief die Frau aufgeregt und Magda hielt an. „Sie bleiben erst einmal im Auto,“ bestimmte sie, doch die Frau ließ sich nicht halten. Im nächsten Moment war sie aus dem Auto gehüpft und mit großen Sprüngen losgerannt. Magda und Ben hatten ihre Last, ihr hinterherzukommen. „Frau Reining, jetzt bleiben Sie doch hier! Lassen Sie uns erst nachschauen!“ Magda wollte die Frau am Ärmel der abgetragenen Strickjacke festhalten, doch die riss sich einfach los und rannte weiter. „Isch muss doch zu moim Edewadd, dä brauch misch doch,“ stieß sie schluchzend hervor und rannte kurzerhand in den halbabgeernteten Maisacker hinein. Magda und Ben eilten keuchend hinterher, bis Magda auf die abrupt stehengebliebene Frau Reining prallte. Ben konnte gerade noch ausweichen. Magda schob die erstarrte Frau zur Seite und sah eine bizarre Szenerie vor sich. Mitten im Mais, saß eine blonde Frau, mit weit aufgerissenen Augen, die Beine unnatürlich weit abgewinkelt. „Wie Männerspagat,“ murmelte Magda bei sich. Geistesabwesend nahm sie halbe Maiskolben wahr, die im Kreis um die Frau angeordnet aufgestellt waren, die Spitze nach oben gerichtet.
Genau vor ihnen lag, mit dem Kopf voraus, ein Mann in blauer Arbeitskleidung, wie sie früher die Bauern getragen hatten. „Edewadd!“ Die Frau stürzte entrüstet zu ihrem Mann und wollte ihn von der Frau wegreißen, doch Ben hinderte sie geistesgegenwärtig daran. „Bitte bleiben Sie hier,“ sagte er mit fester Stimme. „Wir müssen erst die Spurensicherung rufen.“ Er zückte bereits sein Telefon. „Ewwer moin Edewadd!“ Die Frau heulte laut auf und Magda hielt sie fest in den Armen, ihr mit hilflosem Gesicht, tröstend auf den Rücken klopfend. „Kommen Sie, Frau Reining,“ sagte sie leise dabei. „Ich bringe Sie ins Auto.“ „Isch geih nit weg von moim Edewadd!“ Sie war um nichts in der Welt vom Tatort wegzubewegen. Magda zuckte die Achseln und drückte sie auf den