Birgid Windisch

Maispuppentango


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kommen!“ Magda sah zu Ben, der eben mit telefonieren fertig geworden war. Der wählte sofort den Notruf und ratterte sein Sprüchlein herunter. „Ja, wir haben noch eine lebende Frau hier! Mit Schock, verständlicherweise! Ja, wir warten, aber bitte beeilt euch!“ Kopfschüttelnd steckte er sein Handy ein, dann zog er zwei paar Handschuhe aus der Tasche und reichte Magda ein Paar, die ihre, wie immer, vergessen hatte. Schweigend zogen sie ihre Handschuhe an. Dann traten sie vorsichtig näher. „Was ist denn das für ein kranker Mist!“ entfuhr es Magda, ohne in dem Moment an die Frau hinter sich auf dem Boden zu denken. „Wos is donn mit moim Edewadd?“ schluchzte die Frau wieder laut auf. Ben sah Magda missbilligend an, woraufhin diese entschuldigend die Achseln zuckte. „Alles gut, Andrea, keine Sorge,“ rief sie der Frau beruhigend zu, woraufhin Ben leise „gut ist anders“ murmelte. Magda ließ sich neben dem Bauern in die Hocke gleiten und fasste, gegen besseres Wissen, an seine Halsschlagader. Wie sie vermutet hatte - da war nichts mehr. Sie schüttelte traurig den Kopf, von der Frau gespannt beobachtet. Verzweifelt begann diese, leise zu weinen. Magda stand auf, reichte ihr ein Taschentuch und legte ihr kurz die Hand auf die Schulter, dann ging sie wieder zurück und ließ sich neben dem toten Eduard nieder. An seinem verzerrten Gesicht und der Hand an der Brust, in Herzhöhe, erkannte sie, dass er vermutlich einen Herzinfarkt erlitten hatte. „Kein Wunder, bei dem Anblick,“ murmelte Ben ihr leise zu. Wie auf Kommando hob sie den Kopf und ließ ihre Augen über die Frau vor Eduard gleiten. Sie versuchte es, so wie sie es in der Polizeischule damals gelernt hatte, ohne Emotionen zu sehen. Als ob sie ein Bild, eine Sache, betrachten würde. Zu schwer, erkannte sie und spürte, wie die Wut in ihr hochstieg. Die Wut über den, der ihr das angetan hatte. „Das ist doch krank so etwas,“ murmelte sie mit zusammengebissenen Zähnen dabei vor sich hin. „Da sagst du was,“ gab Ben düster zurück. „Das muss ein äußerst bösartiger Zeitgenosse gewesen sein.“ Magda sah ihn erzürnt an. „Es ist mir immer wieder ein Rätsel, wieso es solche gemeinen Menschen gibt. Was haben sie nur davon, andere derart zu quälen!“ Andrea stand plötzlich neben ihnen und ehe sie sich versahen, hatte sie sich neben ihren Eduard gelegt. Liebevoll streichelte sie ihm über sein wirres Haar und setzte ihm die Kappe wieder auf, die neben ihm gelegen hatte. Sie schmiegte sich an ihn, nachdem sie ihm die Augen zärtlich geschlossen hatte und ließ sich durch nichts von ihm wegbewegen. Magda bedeutete Ben, sie in Ruhe zu lassen und konzentrierte sich auf die tote Frau vor ihnen, die Unfassbares durchgemacht haben musste. Der Mörder hatte ihr die Strumpfhose ausgezogen und dann als Schal um den Hals drapiert, indem er eine Schleife daraus gebunden hatte. Aber vorher hatte er sie so eng zugezogen, dass die Frau entweder erstickt war, oder zumindest unter starker Atemnot gelitten haben musste, wie unschwer an den hervorquellenden Augen und der blauen Gesichtsfarbe zu erkennen war. „Meinst du, sie hat die Tortur lange aushalten müssen?“ wollte Magda leise wissen. Ben sah sie ruhig an. „Ich denke, eher nicht. Schau mal, hier ist eine Wunde am Unterarm.“ Magda beugte sich interessiert vor. „Sie ist verblutet,“ stieß sie verblüfft hervor. „Genau,“ nickte Ben. „Nachdem sie gefesselt wurde, hat ihr der Mörder tiefe Schnitte an beiden Unterarmen beigebracht. Sie ist daher schnell verblutet und nicht erstickt. Er hat ihr nur Angst machen wollen, indem er ihr die Strumpfhose stramm um den Hals band.“ „Dieses Schwein,“ stieß Magda wütend hervor. „Aber ein Schwein würde so etwas nie tun. Dazu muss man bösartig sein. Er ist eher ein übles Subjekt.“ „Das passt,“ pflichtete ihr Ben düster bei. „Was ist denn das?“ Magda deutete auf zwei Maispuppen, die genau zwischen den Beinen der Frau drapiert waren. „Keine Ahnung,“ meinte Ben. „Ich habe mich auch schon gewundert.“ „Er scheint die Puppen als eine Art Symbol verwendet zu haben,“ dachte Magda laut.

      Die Maiskolben waren frisiert wie Puppen und hatten aufgemalte Gesichter. „Das haben wir als Kinder auch gemacht,“ bekannte Magda. „Leute umgebracht und ihnen Maiskolben zwischen die Beine gelegt?“ Ben stupste sie leicht in die Seite und Magda erkannte, dass er sie ein wenig auflockern wollte, um ihr das Entsetzen erträglicher zu machen.

      „Ich habe an den Maispuppen Haare flechten von meiner Oma gelernt,“ erklärte ihm Magda träumerisch. „Diese sind auch geflochten,“ meinte Ben nachdenklich.

      Mit einem Ruck kehrte Magda in die unschöne Gegenwart zurück. „Wenn unsere Spusi darüber geschaut hat, wissen wir sicher mehr,“ sagte sie und hatte kaum ausgesprochen, als auch schon Eddie, Anne und Freddie bei ihnen eintrafen, dicht gefolgt von Susi, der Gerichtsmedizinerin. Kaum hatte sich diese neben der Frauenleiche niedergelassen, raste hinter ihnen auch schon ein Sanitätsauto heran, mit eingeschaltetem Blaulicht und Sirene. Andrea nahm davon jedoch keine Notiz und umklammerte weiterhin fest ihren Mann, während alle anderen sich die Ohren zuhielten. Zwei Rettungssanitäter standen kurz darauf neben der Frau, auf die Magda mit einer Kopfbewegung gezeigt hatte. Sofort redete der eine Sanitäter sanft auf sie ein, während ihr der Notarzt, der nun auch eingetroffen war, eine Beruhigungsspritze verabreichte. Daraufhin wandte er sich an Magda, die er sofort als die Verantwortliche erkannt hatte. „Wir nehmen sie mit,“ erklärte er knapp. „Wenn sie es möchte,“ gab Magda ebenso kurz zurück. „Sie wird es mögen müssen,“ schnappte der Arzt und Magda sah ihn finster an. Sanft zogen die Sanitäter die Bauersfrau von ihrem Mann weg und legten sie vorsichtig auf eine Trage. Magda erkannte, dass Andrea nun vollkommen schlaff wirkte. Wahrscheinlich von der Spritze, dachte sie bei sich. Sie trat noch einmal zu ihr. „Ihr müsst des Monster fonge, wou des gemocht hot. Verschpresch mer des!“ Bezwingend sah die Frau in Magdas Augen. „Bisher haben wir noch jeden Mörder gefangen, den wir gejagt haben,“ gab Magda zuversichtlich zurück. „Verlassen Sie sich drauf – wir werden alles tun, um dieses bösartige Subjekt zu fangen!“ Beruhigt nickte die Frau, dann schloss sie die Augen, nur um sie gleich noch einmal zu öffnen. „Wo brenge se donn moin Edewadd hie?“ Susi trat neben sie und nahm liebevoll ihre Hand. „Eduard kommt zu mir. Ich werde ihn vorsichtig untersuchen und schauen, was genau passiert ist und dann können Sie ihn beerdigen,“ murmelte sie beruhigend und lächelte sie traurig an. Die Frau nickte noch einmal, verzog die Lippen zu einem halben Lächeln und schloss die Augen. „Bitte socht es moine Söhne,“ murmelte sie kraftlos, dann schlief sie unvermittelt ein.

      Als das Sanitätsauto weg war, machten sich die Ermittler aufmerksam an die Untersuchung der Leiche und des Tatortes.

      Susi untersuchte die Frau sorgfältig und sprach das Untersuchungsprotokoll in ihr Sprechgerät. Stirnrunzelnd sah sie auf. „Sie wurde hier getötet, wie man unschwer an den Blutspuren erkennen kann. Wieviel Blut es war, kann ich allerdings nicht mehr feststellen, weil es gleich versickert ist. Aber ich denke mal, viel hat sie nicht mehr drin. Es sickerte zwar langsam, aber bis die Wunde sich von selbst durch die Blutgerinnung geschlossen hat, dürfte sie viel verloren haben. Zuviel, um zu überleben jedenfalls.“ Magda schüttelte stumm den Kopf. „Aber sie hat dadurch wenigstens nicht so lange leiden müssen, oder?“ Anne, die mit ihren halblangen braunen Haaren, der schlanken Figur wie ein junges Mädchen aussah und in Jeans und brauner Lederjacke wieder sehr flott gekleidet war, sah Susi bezwingend an. Sie wirkte zwar immer unglaublich taff, war aber ein sehr mitfühlender Mensch, was sie für gewöhnlich sorgfältig verbarg. Susi nickte ihr freundlich zu. „Ich glaube nicht, dass sie lange leiden musste. Ich werde in der Gerichtsmedizin gleich versuchen, noch ein wenig Blut aus ihr herauszubekommen. Vielleicht hatte sie auch noch betäubende Substanzen darin. „Na hoffentlich,“ brummte Magda düster, während sie sich grübelnd umsah. Irgendetwas stimmte hier nicht, sie hatte ein ganz merkwürdiges Gefühl. Gerade so, als ob sie beobachtet würden. Sie sah sich aufmerksam um. Der Waldrand, hm, da konnte natürlich immer jemand hinter einem Baum stehen, ohne dass sie es sofort merkten. Sie kniff die Augen zusammen und fixierte den Wald noch einmal, dann schüttelte sie den Kopf, nein, sehr unwahrscheinlich. Dennoch, das Gefühl wich nicht. Sie ließ den Blick über den Himmel gleiten. Eine Drohne vielleicht? Nein, auch nicht. „Hast du wieder ein komisches Gefühl?“ Ben stupste sie leicht in die Seite, um sie aus ihrem seltsamen Zustand herauszuholen. „Ja,“ sagte Magda zerstreut. „Ich habe das Gefühl, dass wir beobachtet werden. Sofort ließ auch Ben seinen Blick aufmerksam über die Umgebung gleiten. Er gab sehr viel auf Magdas Gefühle. Die Vergangenheit hatte gezeigt, dass sie sich bisher nie getäuscht hatte und dass immer irgendetwas im Busch war, wenn sie dieses Gefühl übermannte. „Vielleicht fällt es mir noch ein, was mich hier stört,“ murmelte Magda und kam mit einem Ruck wieder in die Gegenwart zurück.

      Freddy