um. „Kurz noch die wichtigsten Schritte üben,“ bat sie ihn und erleichtert lächelte er sie an.
Schnell übten sie noch kurz das Laufen (Caminar), Seitwärtsschritte und Gewichtswechsel (Balanceos) und natürlich die Haltung, die beim Tango so wichtig war. „Wenn wir das jeden Tag üben würden, hätten wir sicher eine aufrechtere Haltung,“ schnaufte Magda laut. „Eine stolzere auf jeden Fall,“ atmete Herbert leicht keuchend. „Wir müssen unbedingt mehr üben, sonst blamieren wir uns,“ meinte Magda nachdenklich. „Sehe ich genauso,“ brummte Herbert leise. „Also, gebongt, alle zwei Tage musst du ran!“ Magda lachte ihn liebevoll an. „Das lasse ich mir nicht nochmal sagen,“ sagte er leise in ihr Ohr, dann fuhren sie endlich los. Lachend betraten sie das Sandbacher Tanzstudio. Dort waren schon einige Teilnehmer am Üben, während die beiden Tanzlehrer deren Haltung verbesserten, indem sie ihnen Korrekturen zuriefen und schließlich ein paar Schritte vortanzten. „Klasse!“ Alle klatschten laut und Magda bewunderte wieder einmal die vollendete Harmonie zwischen den beiden Männern und die kraftvolle Eleganz ihres Tanzes. „Der Tango ist so ein anmutiger Tanz, ich kann mich nie daran sattsehen, wenn ich Tänzer sehe, die ihn wirklich beherrschen,“ raunte Magda Herbert zu. „Das geht mir ebenso,“ gab Herbert leise zurück. „Die beiden sind aber auch wirklich gut!“
„Mehr als gut!“ Ein Schüler neben ihnen beobachtete die beiden hingerissen. „Ich kann nicht genug davon bekommen, ihnen zuzuschauen!“ „Na, dann leg mal los,“ rief seine Freundin und nahm seine Hand. Seufzend folgte er ihr auf die Tanzfläche. Es war etwas ganz anderes, echten Könnern dabei zuzusehen, oder selbst, mehr oder weniger stümperhaft, den Tango Argentino zu tanzen.
„Jeder fängt einmal klein an,“ sagte der kleinere Tanzlehrer, Moritz, der meist die Frau tanzen musste aufgrund seiner geringeren Größe. „Sieht man an dir,“ grinste sein Lebensgefährte Theo auf ihn hinunter. „Ach du wieder, du kannst ja schon fast aus der Dachrinne Wasser trinken!“ Gutmütig schubste Moritz ihn ein wenig, dann tanzten sie vorwärts – rückwärts (Ochos), kleine Drehung (Media Luna). Am Schluss kippte Moritz den großen Theo über die linke Seite rückwärts hinunter und der erhob sich anmutig wieder, woraufhin alle klatschten. „Toll,“ rief Magda. Moritz zwinkerte. „Jetzt ihr- los, traut euch - ihr könnt nichts falsch machen!“ Theo grinste frech: „Fast nichts,“ und alle lachten. Moritz klatschte in die Hände. „Wir beginnen mit der traditionellen Umarmung, dem Abrazo!“ Magdalena dachte unwillkürlich an ein Scheuerkissen zum Putzen und musste fast losprusten, doch als Herbert sie fest umarmte und die Tanzposition einnahm, verging ihr das Lachen und sie lächelte ihn stattdessen hingerissen an. Die würdevolle Tangomusik erklang und auf Theos Aufforderung: „Ocho Adelante – vorwärts!“ marschierten alle, mehr oder weniger elegant, in eine Richtung, angeführt von den beiden Tanzlehrern. Elegant vollführten die beiden eine kleine Drehung und die Schüler folgten, noch etwas holprig, ihrem Beispiel. „Wenn ihr nicht mehr weiterwisst, macht ihr einfach dazwischen eine kleine Cunita - einen Wiegeschritt, das kommt immer gut,“ erklärte Moritz augenzwinkernd. Nach der Tanzstunde hingen alle erschöpft auf ihren Stühlen in einem kleinen Bistro in der Nähe. „Ich bin froh, dass wir es heute gut hinter uns gebracht haben,“ seufzte Magda. „Aber ja, ihr wart sogar richtig gut,“ strahlte Theo sie an. „Man merkt, dass bei euch echte Gefühle im Spiel sind,“ mischte sich Moritz ein. „Der Tango ist ein Tanz mit viel Gefühl!“ Er nahm Theos Hand und legte sie auf sein Herz und sah ihm tief in die Augen. Magda lächelte glücklich und Herbert nahm verstohlen ihre Hand und führte sie an seine Lippen, während er ihr mit glühendem Blick in die Augen sah. Dieses Tangotanzen hatte es in sich, dachte Magda. Es tat ihrer Beziehung gut und brachte ihnen ihre Gefühle mit jedem Mal mehr zu Bewusstsein. Nach der Tangostunde übernachtete Herbert regelmäßig bei ihr, weil sie es danach nicht fertigbrachten, sich zu trennen.
S E C H S
Gelangweilt sah er auf sein Smartphone. Eine neue Nachricht war eingetroffen – vielleicht die, auf die er schon so lange wartete!
Schnell öffnete er seinen Posteingang. Unter „Unbekannt“ fand er eine neue Mail.
„Bezugnehmend auf ihr Schreiben vom 1. Oktober 2020 teilen wir Ihnen mit, dass die gesuchte Person nicht auffindbar ist. Bitte kontrollieren Sie die Schreibweise, möglicherweise wurde sie geändert und die Person ist deshalb nicht aufzufinden – jedenfalls nicht unter der letzten Adresse, die Ihnen bekannt war. Vielleicht liegt ein Umzug vor, oder eine Namensänderung durch Heirat.
„Mist!“ Er feuerte voller Wut die Maus in die Ecke. Befriedigt sah es, wie sie vom Aufprall in ihre Einzelteile zerbrach. Zum Glück hatte er noch eine Reservemaus in der Schublade. Ja, er war immer auf alle Eventualitäten vorbereitet! Lächelnd nahm er ein Blatt Papier mit elegantem Briefkopf zur Hand und begann zu schreiben:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
sie schrieben mir, dass sie die gesuchte Person nicht finden können, weder heute, noch im 19. Jahrhundert. Daher bitte ich Sie, ihre Nachforschungen bis ins 18., beziehungsweise sogar bis ins 17. Jahrhundert auszudehnen. Vielleicht finden Sie dort doch noch Hinweise auf eventuelle Nachkommen, seien es legitime, oder illegitime Nachfahren. Ich bitte um eine schnelle Antwort, am besten per Mail an meine Mailadresse: [email protected]
Hochachtungsvoll
L. P.
Er verschloss das Kuvert sorgfältig, klebte eine Briefmarke darauf und stempelte seinen Absender auf die Rückseite. Sollte die erwartete Antwort nicht binnen zwei Tagen erfolgen, würde er die Angelegenheit in eigenem Gutdünken zu einem würdigen Abschluss bringen, auch wenn seine Liste dann nicht vollständig wäre. Schließlich war schon sehr viel Zeit vergangen seitdem und niemand konnte erwarten, dass er alle Delinquenten ausfindig machen konnte. Nicht einmal er selbst, mit seinem hohen Anspruch an sich selbst.
Er zuckte lächelnd die Achseln. Vielleicht wäre das sowieso das Beste.
S I E B E N
Eine Woche später waren die Ermittler immer noch nicht nennenswert weitergekommen. Ihr einziger Erfolg, wenn man es denn so nennen konnte, war, dass sie inzwischen wussten, wer das Opfer war.
Es war eine junge Frau aus Böllstein/Brombachtal, die in Mosbach verheiratet war – die eine der Wanderrinnen. Ihr Ehemann hatte sie als vermisst gemeldet. Die Theorie, dass er womöglich der Mörder seiner Frau sein könnte, verwarf Magda schnell, als sie seine Reaktion bei der Identifizierung sah. Kaum, dass er einen Blick auf seine Frau geworfen hatte, wurde er weiß wie die Wand und fiel um wie ein nasser Sack. Magda schüttelte den Kopf. Nein, er war ganz sicher nicht der Mörder. Letzte Woche hatten sie die Eltern der Getöteten, die immer noch in Brombachtal lebten, aufgesucht. Eine Erfahrung, an die sie nicht gern zurückdachte. Die beiden waren kaum fähig, zu sprechen, zu tief saß der Schock über den Tod der einzigen Tochter. Der Mutter liefen ununterbrochen die Tränen über das Gesicht und der Vater wirkte wie versteinert. „Wie ist meine Tochter umgekommen?“ Magda und Ben wollten ihnen nicht gern von der Szene erzählen, in der sie ihre Tochter aufgefunden hatten, aber die alten Leute gaben keine Ruhe und wollten Todesart und -Umstände ganz genau wissen.
„Wahrscheinlich würde es mir auch so gehen,“ dachte Magda, während sie der armen Mutter immer wieder, nach Magda-Art, auf den Rücken klopfte. Erstaunt bemerkte Ben, dass es der Frau anscheinend gefiel und guttat. „Wie haben sie denn meine Tochter nun genau aufgefunden,“ wollte der Vater unerbittlich wissen und Magda und Ben erzählten ihm, so gut sie konnten, die Einzelheiten, ohne alles preiszugeben. „Also sie war erwürgt und gleichzeitig zur Ader gelassen worden?“ Magda druckste herum: „So könnte man es nennen, ja.“ Der Kopf der Mutter ruckte hoch „lag sie denn, oder hat sie gesessen?“ Beruhigend wandte sich Magda ihr zu. „Sie hat gesessen.“ „Und war da noch etwas drumherum?“ Die Frau gab keine Ruhe. „Wie meinen sie das?“ Ben blieb sachlich. „Naja, vielleicht Symbole, oder dergleichen.“ Magda fuhr hoch. „So ähnlich