Claus Beese

Der perfekte Angler


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Heil und viel Vergnügen.

      Petrus drückt ein Auge zu

      Kurz nach meiner Geburt beugten sich zwei ältere Herren über meine Wiege, die man mir später als meine Großväter vorstellte. Mit bedenklicher Miene und prüfendem Blick wurde ich gemustert. Die beiden konnten es kaum glauben, dass sie nun, nach zwei Enkeltöchtern, endlich den ersehnten Enkelsohn vor sich hatten.

      „Er hat meine Augen!“, stellte Arthur fest.

      „Hoffentlich verwächst sich das noch“, konterte Heinrich. „Nichts wäre schlimmer, als wenn der Bengel auch nur das Geringste von dir hätte!“

      Der Oberlokführer a. D., Arthur B., wurde puterrot im Gesicht.

      „Willst du damit sagen, er käme nach dir?“, brüllte er.

      „Das sieht doch ein Blinder, oller Suffkopp!“, bölkte der Postamtsgehilfe i. R., Heinrich K., zurück. „Und dass du es nur weißt, zum Angeln nehme ich ihn das erste mal mit!“

      „Na, dann lernt er wenigstens gleich, wo die Fische nicht sind. Und mehr, als Perücken in die Schnur zu schießen, kannst du ihm eh nicht beibringen“, stellte Arthur bissig fest.

      Wie der geneigte Leser wohl schon bemerkt haben wird, waren die beiden alten Herren sicher nicht das, was man unter guten Freunden versteht. Warum auch? Schließlich herrschte schon seit Urzeiten zwischen den Beiden eine mal mehr, mal weniger heftige Fehde. Es gab eigentlich keinen Grund, diesen Zustand nun plötzlich zu ändern. Dabei hatten sie doch in ihren Hobbys so vieles, das sie verband, und doch trennte es sie gleichermaßen. Schon zu Lebzeiten war ihnen Ruhm und Ehre zuteil geworden und hatten ihnen einen Ruf wie Donnerhall beschert. Waren sie doch die erfolgreichsten Kanarienzüchter in weitem Umkreis. Urkunden und Pokale zeugten von ihrem Können. Wenn einer von ihnen, meist jedoch beide, auf einer Ausstellung auftauchten, um ihre echten Harzer Roller zu präsentieren, packte manch einer sein Vögelchen wieder ein und ging resigniert nach Hause. Gewann Arthur den Pokal, war es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, und Heinrich, nebenbei auch begeisterter Jäger, lief dann oft tagelang mit Flinte und Hund durch die Wälder des Harzes, ehe sein Zorn verraucht war. War es umgekehrt, war mit Sicherheit die Jury bestochen, und Arthur kehrte niedergeschlagen heim und ertränkte seinen Kummer in edlem Gerstensaft.

      Fing der eine einen großen Karpfen, musste der andere unbedingt einen noch größeren Hecht mit nach Hause bringen, um so seine Ehre wiederherzustellen. Kurzum, keiner gönnte dem anderen auch nur das Schwarze unter dem Fingernagel. Bevor es nun an meiner Wiege zu Tätlichkeiten größeren Ausmaßes kommen konnte, erschien auf mein ängstliches Schreien hin meine Mutter, und trennte die beiden Streithähne. War es nun Zufall oder Vorsehung, dass keiner der beiden den Vorzug haben sollte, mich das Angeln zu lehren?

Bild 178126 - Dieses Bild ist aus diesem Werk.

      Jahre vergingen, von den beiden Großvätern weilte keiner mehr auf Erden. Und dann, eines Tages begab sich folgendes:

      Arthur und Heinrich langweilten sich sehr auf ihren Wolken. Hier oben konnte man nicht jagen und nicht angeln, und Harzer Roller züchten schon überhaupt nicht. Wenn man sich beim Frohlocken wieder einmal einen Fingernagel an dieser verfl... Harfe ruinierte und einem bei so einer Gelegenheit schon mal ein deftiger Fluch entfuhr, fielen auf den Nachbarwolken die Engel reihenweise in Ohnmacht und von oben drohte ein erhobener Zeigefinger. Eine mächtige Stimme dröhnte: „Du sollst nicht fluchen!“

      Ihre einzige Abwechslung bestand darin, ab und zu einen deftigen Skat mit Petrus zu spielen, denn Skat war ja kein Glücksspiel. Skat war Wissen und Können, und somit nicht verboten. So saßen sie wieder einmal zusammen und Heinrich meldete gerade einen Grand mit Vieren an, als Petrus belustigt sein Auge vom Fernrohr nahm, welches er rein gewohnheitsmäßig auf die Erde gerichtet hatte, und lachend sagte: „Nun seht euch doch mal diesen Knirps an.“

      Arthur hastete an das Fernrohr, kniff ein Auge zusammen und peilte eine Weile durch das Glas.

      „Ja, das ist doch...“, murmelte er fassungslos. „Zum Teufel! Das ist ja mein Enkel!“, brüllte er und ignorierte den drohenden Zeigefinger. Heinrich schubste ihn so heftig beiseite, dass Arthur fast von der Wolke gepurzelt wäre. Jetzt peilte er durch das Rohr und hatte schließlich auch gefunden, was Arthur derart aus der Fassung gebracht hatte.

      „Heureka!“, rief er. „Mein Enkel mit ´ner Angelrute in der Hand! Endlich hat der Bengel es kapiert!“

      Die beiden alten Streithähne fielen sich glücklich in die Arme. Sie waren sich einig, dass es nun kein Halten mehr gab. Sie mussten hinunter, wollten zusehen und „unserem Enkel beistehen“, wie sie Petrus sagten. Der drückte lächelnd ein Auge zu und gewährte den beiden Ausgang. Arm in Arm schwebten sie herab, kameradschaftlich untergehakt, um zuzusehen und beizustehen.

      Aus dem kleinen, schreienden Bündel war ein aufgewecktes Bürschlein von zehn Jahren geworden. Dieses Kerlchen hatte oft in sich hineingelauscht, um den Ruf zu verstehen, den es so oft hörte, aber nicht deuten konnte. Niemand konnte dem Jungen helfen, und so hatte es eben ein wenig gedauert, bis er begriff, was da in ihm schlummerte. Er hatte die Lösung gefunden, war jetzt wach und sah die Welt mit anderen Augen. Er sah die Natur, den Himmel, die Erde, vor allem aber das Wasser – und die Fische darin.

      Es war ein schöner, warmer Sommertag, und ich war einfach losgeradelt mit meiner selbstgebauten Angelrute. Ein kräftiger Knüppel, ein Stück Angelsehne, ein Korken und ein Haken. Mehr brauchte ich nicht. Ich stand an dem kleinen Bach, neben der Brücke und betrachtete meine Angelstelle. Noch konnte ich in dem flachen Wasser den Grund sehen, aber ich wusste, dass draußen in der Weser schon die Flut auflief. Bald würde das Wasser in die Aue eindringen, und dann wäre es hier wohl tief genug. Ich hoffte sehr, dass mit dem Wasser auch die Fische kamen. Bis dahin konnte ich noch Würmer suchen. Ich nahm einen trockenen Ast und wühlte zwischen den Sträuchern die Erde um. Irgendwo fand ich eine rostige Konservendose, die mir als Wurmbüchse gute Dienste leistete. Niemand hatte mir gezeigt, wie man einen Haken beködert, doch stellte das für mich kein Problem dar. Gerade wollte ich die Angel auswerfen, als ein leichter Windhauch mich frösteln ließ. Ich schaute mich um, denn ich hatte plötzlich das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Allerdings konnte ich niemanden sehen.

      „Nicht dahin!“, wisperte es rechts von mir in einem alten Haselnussstrauch. „Dort rüber, dicht an die Uferkante werfen.“

      „Quatsch“, murmelte ich. „So lang ist die Schnur doch gar nicht.“

      „Siehst du, du Dämel!“, ertönte Heinrichs Stimme aus der alten, knorrigen Eiche. „Der Bengel ist klüger als du. Und jetzt halt den Rand und mach ihn mir nicht kopfscheu!“

      „Und die Augen hat er doch von mir!“, behauptete Arthur, schwieg dann aber, als er sah, dass ich meine Rute bereits ausgelegt hatte. Langsam begann das Wasser, den Bach hinauf zu fließen. Die Flut kam, und mit der Strömung zog der Korken an meiner Angel den Bach hinauf.

      „Er hat kein Blei dran!“, wisperte Heinrich.

      „Schon gesehen!“, gab Arthur zurück. Ich stand auf, um meine Angel neu auszulegen, als ich mit dem Fuß gegen etwas Metallenes stieß. Direkt vor meinem Schuh lag eine mittelgroße Schraubenmutter. Im gleichen Augenblick wusste ich, was man mit ihr noch machen konnte, außer sie auf einen entsprechenden Bolzen zu drehen. Ich band sie ein Stück oberhalb des Hakens an die Schnur. Jetzt ging es besser. Der Köder blieb dort, wo ich ihn hinlegte. Es war nur wenig Zeit vergangen, als sich der Korken ruckend und zuckend in Bewegung setzte, sich gegen die Strömung stellte und durch den Bach wanderte.

      „Los, schlag an!“, wisperte Arthur aufgeregt.

      „Idiot!“, zischte Heinrich wütend, um mir dann zuzuflüstern: „Ganz ruhig, es ist ein Aal, lass ihn noch einen Moment fressen.“

      „Wenn er noch länger wartet, ist er ab“, jammerte Arthur.

      „Also, hör mal!“, wurde jetzt Heinrich energisch. „Die Sache