Gerald Roman Radler

DIE LSD-KRIEGE


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sofort einzustellen und als unabkömmlich anzugeben.

      Aber mein Vater wollte fort von zu Hause. Es war seine einzige Chance, dem Kokon der Mutter und dem gestrengen Vater den Rücken zu kehren. Kriege scheinen nur aus einem Grund erfunden worden zu sein: Sie schenkten dem Muttersöhnchen die Möglichkeit, das warme Nest zu verlassen. Ich selbst begriff schon als Kind, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Er beteuerte ständig, wie wenig ihn die herumliegenden Toten am Schlachtfeld belastet hätten. Die herabfallenden Bomben hatte er wohl als störend empfunden, doch war er stets erfolgreich ausgewichen.

      Immerhin wäre der Krieg seine schönste Zeit gewesen, sagte er, wenn er in romantischen Erinnerungen schwelgte. Er prahlte mit Erzählungen von fremden Ländern und rassigen Frauen, die sich ihm in Düsseldorf, Paris, Warschau und Moskau hingegeben hätten. Zumindest in seinen eigenen vier Wänden schwang er sich zum Abenteurer im Ruhestand auf.

      An so manchem dämmrigen Sommerabend lag mein Vater am Bett und erzählte mir Episoden seines Glücksrittertums, die er mit Lehren spickte. Die Konturen der Möbel gingen ineinander über. Die Gestalt des Vaters wurde immer dunkler und bald hörte ich nur mehr seine Stimme, bis das Neonlicht in der Stolzenthalergasse anging. In meiner kindlichen Vorstellungskraft umschiffte mein geliebter Vater als Sindbad der Seefahrer die sieben Meere und kehrte als Münchhausen – auf einer Kanonenkugel reitend – heim, um sich niederzulassen und zu heiraten. Besiegelt wurde das endgültige Ende seiner wilden Epoche durch die eher zufällige und von ihm sicher nicht erwünschte Schwangerschaft meiner Mutter. Sie hatte ihm vorgegaukelt, die Pille regelmäßig einzunehmen.

      Vermutlich wünschte sie sich schon lange eine lebendige Puppe zum Spielen. Er hatte ihr blind vertraut und selbst nicht Obacht gegeben. Als sie in anderen Umständen war, hatte er angenommen, dass dieses Medikament, dass die Kongestion der Frau irgendwie verhindern sollte, noch nicht so ausgereift war, wie allgemein behauptet wurde.

      Meine Mutter war innerlich leer und freute sich auf ein Baby. Sie nannte mich völlig unzeitgemäß Arthur. Mein Vater ertrug ihre Schwangerschaft mit gemischten Gefühlen. Er war seelisch erschöpft, wollte bereits in Ruhe gelassen werden und in Beziehungslosigkeit bequem dahindämmern. Die Einstellung meiner Eltern lieferte die ideale Voraussetzung für die Gründung einer neuen Familie!

      Bei meiner Geburt träumten die Menschen von einer besseren, mechanischen Welt, in der sie Zeit finden würden für die kleinen Freuden des Alltags. Die Tage der Unrast waren vorbei. Es wurden Speisen aufgetragen, dass sich der Tisch bog. Niemand hatte es mehr nötig sich in einem Geschäft um limitierte Nahrung anzustellen und womöglich unverrichteter Dinge mit knurrendem Magen umzukehren. Es wurden Reserven angelegt, so frisch war die Erinnerung an Ausnahmezustände. Der Rückzug in die eigenen vier Wände war für meine Eltern notwendig und erholsam, nach den Jahren der Angst und der Unsicherheit.

      Für mich aber bedeutete dieses Kasper-Hauser-Dasein ein frühzeitiges Verkennen der Grundbedingungen des Lebens. Ich hielt die häusliche Struktur für die Welt. Ich brauchte nur den, von meinen Eltern vorgegebenen Schablonen genügen. Flugs erfüllten sie mir – im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten – sämtliche ausgesprochene Wünsche. Meine Anliegen waren von den Vorstellungen meines Vaters manipuliert. Er informierte mich zuerst, wonach es einem Buben gelüstete. Dann wartete er geduldig. Sollte ich das suggerierte Bedürfnis aufgesogen und in meine forschende Fantasie integriert haben, rieb er sich still die Hände. Ich bekam sogleich Bücher oder Spielsachen geschenkt, die ihm Freude bereiteten. Wie zufällig erwähnte er dann, dass er als Kind ähnliche Dinge besessen hatte. Wahrscheinlich hatte sein Vater ihm genauso eingeredet, woran es ihm angeblich mangelte.

      Vielleicht wollte er eine genaue Kopie der häuslichen Eintracht erzwingen, die er während seiner Adoleszenz genossen hatte und im Krieg doch schrecklich vermisste. Immer wieder musste ich mir anhören, wie sehr er seinen Vater verehrt und seine Mutter geliebt hatte. Er wurde nie müde zu erzählen, dass sein Vater ein blitzgescheiter Jurist und seine Mutter eine warmherzige, gehorsame Frau gewesen war, die nie dem Willen des Mannes zuwider handelte. Stets beugte er sich den Ratschlägen seines Vaters, die dank seiner umfassenden Weisheit immer die Richtigen waren. Er präparierte mich schon für die kommenden Jahre, damit ich keinen Widerspruch leistete, wenn ich größer wurde.

      Meine Mutter meinte, er brach das Herz seiner Eltern, als er vergnügt in die aussichtslosen Gefechte des zweiten Weltkrieges zog. Er leugnete diesen Zusammenhang, oder schwächte ihn ab. Vielleicht meinte er es ehrlich und hatte wirklich nicht die blasseste Ahnung, wie seine Entscheidung zu Hause aufgenommen wurde. Er wollte hinaus in die Welt und da er so geborgen und umsorgt war, kam ihm die Gelegenheit recht, auf diese Weise einen Ausbruchversuch zu wagen. Sein Wunsch der Enge seines begrenzten Aktionsradius den Rücken zu kehren, ohne zum aufmüpfigen Sohn zu mutieren, war völlig legal und dem ungeachtet staatlich sanktioniert. Dieser Entschluss würde einem gesetzestreuen Rechtsanwalt, seinem Vater, schon einleuchten. Er nannte ihn in seinen überbordenden Erzählungen einen eingeschworenen Pazifisten, der sich zu allerlei heiklem Diskurs mit anders denkenden Menschen hinreißen ließ. Die Überzeugung seines Vaters hatte praktische Vorteile. Er getraute sich seinen Standpunkt auch in der Öffentlichkeit zu propagieren, eine Qualifikation, die ja den meisten Familienangehörigen eigen war, nur meinem Vater fehlte. Er fürchtete stets die irreversiblen Schäden eines konsequenten Verhaltens und versuchte sich auf diplomatischem Gebiet. Vaters Erzählungen umschrieben elegant die stille, aber chancenlose Renitenz gegen seine Eltern. Immer wieder betonte er, dass ihm ein unüberlegtes, eigenständiges Handeln Verkrüppelung, oder sogar den Tod einbringen können hätte.

      Es musste schon etwas Besonderes sein, einen so einflussreichen Vater zu haben, der seinen Sohn vor dem Einrücken bewahren konnte. Er aber schwärmte vom Kriegshandwerk und berichtete von den militärischen und zivilen Vorzügen, die ein Offizier im Krieg nutzen konnte. Dank der Uniform hatte er sich allerorts Respekt verschafft und persönliche Gewinne verzeichnet. Mir imponierte mehr der Charakter seines Vaters. Ich lauschte den Geschichten über ihn mit gespitzten Ohren und war gleichzeitig zutiefst deprimiert, dass mein Vater den Krieg verherrlichte. Er sagte keineswegs, dass die Staatsmänner, die einen Krieg angezettelt hatten, Vorbildfunktion hätten, aber er sah im Krieg eine Art kostenlose Bildung und Selbstverwirklichung. Nie hatte ich ihn nur einmal von dem Gräuel des Schlachtfelds reden hören. Über die Scharmützel erzählte er immer nur in lustigen Anekdoten. Er hätte einen Angriff verschlafen und erwachte erst, als die Meisten seiner Kollegen schon gefallen waren. Er fotografierte die Toten für sein Album. Wenn er guter Dinge war, zeigte er uns die grässlich verunstalteten Leiber, als handelte es sich um nette Urlaubserinnerungen, die man immer wieder gerne durchblätterte.

      Halb verweste Soldaten lagen grinsend mit freigelegten Zähnen, um die bereits die Lippen fehlten, im Sand. Bei einigen dieser schwarz-weißen Bilder stand er in Positur mit nacktem Oberkörper und wildem Haupthaar neben einem Gefallenen, lachend auf eine Granate gestützt, als wolle er sagen: »Seht her, ich lebe noch, ich bin ein bisschen klüger gewesen!«

      Zu oft berichtete er vom Krieg und den vielen Städten, die er gesehen hatte. Dazu kam noch, dass er sich brüstete, in jeder nur erdenklichen Gegend eine Freundin gehabt zu haben, bei der er jederzeit Unterschlupf gewährt bekam. Sie waren alle perfekt gebaut und drängten ihn, für immer zu bleiben. Er aber zog einfach zur Nächsten weiter. Meine Mutter lachte nur gemein über seine feilgebotenen, pikanten Ausführungen. Sie rächte sich an ihm, indem sie ihn als dekadenten Schwerenöter bezeichnete, der als Strafe für seine Energieverschwendung bereits frühzeitig seine Virilität eingebüßt hatte.

      Niemals hatte ich den Eindruck, dass ihr weder seine distinguiert vorgetragenen Angebereien etwas anhaben konnten, noch grämte sie sich über seine sexistisch vorgetragenen Erlebnisse, die auf dem gleichen Niveau seiner Husarenstücke zu finden waren. Vielleicht hielt sie seine leichtfertigen Bekenntnisse ohnehin für Erdichtungen. Er war Beamter der Landesregierung und jeder sollte wissen, wie leicht ihm seine Dienstzeit von der Hand ging. So sonnte er sich unaufgefordert vor jungen Verkäuferinnen in den Innenstadtgeschäften im Licht seiner Erzählungen. Für ihn würde das Wochenende am Mittwoch beginnen, sagte er, oder dass er gerade die Zeit zwischen dem zweiten Frühstück und dem Mittagessen mit einem Einkaufsbummel in der Kärntnerstrasse füllte. Er war in den Läden unseres Bezirks gerne gesehen, da ihm immer absurdere Kuriosa über sein Beamtenleben einfielen,