Gerald Roman Radler

DIE LSD-KRIEGE


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ließ. Sie war grell geschminkt, trug bunte Kleider mit Gürtel und dazu passende Pumps mit Bleistiftabsatz. Mein Vater nahm starken Einfluss auf ihre Verwandlungskünste. Fand er Gefallen an den lackierten Nägeln eines Models in einem Magazin, war meine Mutter angehalten, ihre Hand- und Fußnägel in einer bestimmten Farbe anzumalen. Sah er auf der Straße eine Frau mit roten Haaren, schickte er meine Mutter zum Friseur, damit sie die Farbe wechselte. Meine Mutter wollte seinen Fantasien nachkommen und verzieh ihm seine Seitenhiebe auf ihre Bildung und ihre Erziehung. Meine Eltern bezeichneten ihre Beziehung immer als harmonisch.

      Von all den Kränkungen, mit denen sich die Erwachsenen das Leben verpatzten, ahnten wir natürlich nichts. Die witzigen Beschwichtigungen des Vaters genügten anscheinend, um jeden Verdacht der Infamie zu zerstreuen.

      Was tat er denn schon Schlimmes? Ich fungierte als Alibi auf seinen Streifzügen. Mit seinem Sohn als unparteiischem Kontrollorgan im Gefolge würde er schon nichts Verbotenes anstellen, dachte meine Mutter wohl.

      Großmutter blieb genauso wenig verschont von seinen Angriffen, wie der Rest der Verwandtschaft. Sie war eine stille, zurückhaltende Frau, die einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn besaß. Weil sie ihre Gedanken zumeist für sich behielt, behauptete mein Vater, sie hätte überhaupt keine Meinung. Sie wäre teilnahmslos und ihr sei eigentlich alles egal. Sie ging mit Entgegnungen sparsam um, so wurden ihre klugen Aussprüche oft überhört.

      Das Schlimmste aber war, dass er meinen kleinen Bruder Johnny als debilen Zwerg bezeichnete. Er ärgerte sich maßlos über dessen introvertierte, scheue Art. Während ich seine Lehren wie ein Schwamm aufsaugte, verleitete die Schüchternheit und Schreckhaftigkeit meines Bruders zu ungerechten Äußerungen. Er war nur knapp zwei Jahre jünger und wir Erwachsene ließen keine Gelegenheit aus, ihn zu verspotten, bis er weinend bei Mutter Schutz suchte und sie als Markise gegen unsere Boshaftigkeit gebrauchte. Sie drückte ihn verteidigend an sich und herrschte uns an, ihm fernzubleiben. Wir bezeichneten das Verhalten meines Bruders abfällig als »Das-Wieder-Zur-Mama-Laufen« und amüsierten uns köstlich über seine weinerliche Art.

      In einem unheimlichen Punkt wurden wir allerdings gleich behandelt. Da spürte ich schmerzlich, dass ich mit meinem Bruder auf einer Stufe stand und nicht zu den Erwachsenen zählte. Wir sollten dem Vater bei seinem Nachmittagsschläfchen beiliegen. Das Wochenende stellte eine fixe Vorgabe dar, in deren Ablauf wir integriert waren. Nach dem Essen musste es still sein. Mein Vater wollte schlafen. Eines von uns Kindern wurde ausgewählt.

      Mit diesem gefürchteten Faktor wurde ein unseliges Zeichen gesetzt, das von Johnny und mir im Nachhinein komisch verzerrt und vereinfacht dargestellt wurde. Der Vater schlüpfte in sein Nachthemd und wir mussten mit ihm Löffelchen liegen. Dazu nahm er uns in den Schwitzkasten. Er zog uns fest zu sich. Wir hatten also keine Chance, zu entkommen, wenn er eingeschlafen war. Oft versuchte ich mich zu entwinden, um seinem heißen, erstickenden Atmen entkommen zu können. Doch er merkte sofort meinen Fluchtversuch und verstärkte den Druck seiner Arme, die er wie Schraubstöcke vor meiner Brust zusammendrehte. Er grunzte zufrieden, unsere List durchschaut zu haben und rühmte sich, seit dem Krieg eine Überwachsamkeit entwickelt zu haben, die bis tief in den Schlaf reichte. So konnte er Veränderungen in seiner Umgebung wahrnehmen und entsprechend reagieren. Bevor er einschlief, krabbelte er mit seinen Fingern geistlos unter unserem Kopfkissen und meinte, wir sollten auf die Polstergeister achten. So wähnte er uns beschäftigt und konnte getrost ruhen. Wir aber lagen wach und spürten das quälende Verstreichen der Minuten. Er schnarchte laut in das ihm zugewandte Ohr und selbst wenn mir die Gliedmaßen längst eingeschlafen waren, gab es kein Entkommen. Oft machte ich ihn scherzhaft auf seinen nach Schwefel riechenden Atem aufmerksam und bagatellisierte meine Verzweiflung, auf sein Erwachen warten zu müssen. Er entgegnete ebenfalls blödelnd, er sei eben der Teufel und am Wochenende sei die diabolische Ruhe durch seine Kontrolle über uns sichergestellt.

      Meine Mutter las während dieser Zeit im Esszimmer auf dem Sofa. Sehnsüchtig horchten wir auf Küchengeräusche, die ein Ende der Tortur ankündigen sollten. Entschloss sich meine Mutter endlich, das Geschirr abzuwaschen und die Jause vorzubereiten, erwachte der grausige Moloch hinter mir aus seiner Betäubung. Ich hasste meinen Vater für seine Gefühllosigkeit. Was hätte ich alles in dieser Zeit tun können! Ich wäre sicher nicht ein Kind gewesen, das schreiend durch die Wohnung hüpfte, bis die Möbel wackelten und der Lüster bedrohlich schwankte. Ich hätte mich auf meinem Bett zusammengekauert und in meinen geliebten Büchern geschmökert. So aber war ich in den Fängen eines Riesenkraken von der Umwelt abgeschnitten. Ich war zur Untätigkeit verbannt. Die winzigste Bestrebung, mich in eine bequemere Lage zu bringen, unterband er mit einer Sperre. Wie Riemen aus Lianen zurrten sich seine Arme nur noch fester, um mich in der Bewegung zu hemmen. Ich lag versteinert mit tauben Gliedmaßen da. Selbst meine Gedanken waren nicht frei durch die qualvolle Haltung, in der ich reglos lag. Meine Mutter half mir nicht, sie sanktionierte die Misshandlung und verzweifelte Gedanken blitzten wirr durch mein Gehirn.

      Warum wurde ich dermaßen grausig bestraft? Was veranlasste meinen Vater, mich mit eiserner Umklammerung festzuhalten? Welchen Vorteil hatte er von meiner Nähe? Es musste doch unbequem sein, so zu schlafen.

      Meine Eltern duldeten generell keine Widerrede. Man konnte ihnen eigene Wünsche und Darstellungen nicht auseinander setzen. Sie drückten um jeden Preis ihren Willen durch, denn ihre Vorstellungen waren richtig und wichtig, da sie erwachsen waren. Ein solches Argument kam mir schon als Kind dürftig vor. In diesem Punkt war ich schon damals mit meinem Bruder einig. Wir hatten grauenvolle Angst vor diesen Samstagen und Sonntagen, an denen das Beiliegen mit dem Teufel stattfand. Ich fühlte mit meinem Bruder. Wir waren die Sklaven der Arena und bangten um unser Schicksal! Schon beim Mittagessen rätselten wir im Geheimen, auf wen die unselige Wahl fallen würde. Als der Leidensdruck zu gewaltig wurde, begann mein Bruder gleich zu Beginn des Übergriffes zu weinen. So konnte mein Vater nicht einschlafen und wurde ungehalten. Ich musste an die Stelle meines Bruders treten. Weil ich aber immer brav stillhielt, wurde ich in der Folge bald aus Vaters Diensten entlassen. Mein Bruder wurde trotz seiner Wehklagen in den Schwitzkasten genommen. Offensichtlich bereitete ihm meine Fügung ins Unvermeidliche, nur anfänglich Vergnügen. Daher ließ er allmählich von mir ab, oder drehte sich um und begann zu schnarchen. Oft verlor er nach einer Stunde das Interesse an mir und sein Griff lockerte sich, sodass ich mich einigermaßen gemütlich betten konnte. Die Gegenwehr des Bruders verschaffte ihm sadistische Kurzweil. Mein Vater schmückte seine Umklammerung mit Aussprüchen wie: »Da hilft kein Zittern und kein Zagen!« oder: »So, Johnny, Mund zu, Augen zu, jetzt wird geschlafen!«

      Durch diese winzige Abänderung seines Planes wurde mir deutlich, wie richtig es war, in dieser Vergewaltigung eine Strafe zu sehen. Verhielt ich mich leise und tat, als würde ich auch schlafen, wachte mein Vater entspannt auf und Kakao und Kuchen wurde serviert. Nur durch einen nervlich derangierten Bruder zeigte er sich verstimmt und ließ sich zu beißenden Bemerkungen herab. Mein Bruder tat mir zwar unendlich leid, doch konstatierte ich bei mir jedes Mal eine Genugtuung und Schadenfreude, wenn die Reihe auf ihn fiel. Vaters Freude an Grausamkeit hatte mich bereits infiziert. Nun konnte ich mich tatsächlich dem Lesen widmen und in eine Welt, die logisch und nach streng wissenschaftlichen Prinzipien aufgebaut war, fliehen. Was sich in meiner Familie ereignete, entzog sich jeglicher Vernunft. Ich verschloss mich gegen die Tränen meines Bruders und ignorierte sein herzerweichendes Schluchzen. Später begriff ich, dass es noch eine Möglichkeit gab, meinem Elend zu entgehen. Ich leistete Frondienst in der Küche und entkam der schauerlichen Prozedur. Ich bot mich an, sofort nach dem Mahl das Geschirr zu spülen, solange die Essensreste noch nicht eingetrocknet waren. Mein Vorschlag wurde nicht nur mit Begeisterung aufgenommen, sondern mit einem Geldschein belohnt. Ich war heilfroh, meinem Peiniger entwischt zu sein. Die einzige Bedingung, die mir auferlegt wurde, bestand darin, mucksmäuschenstill zu arbeiten. Trieb es mein Vater zu weit, griff meine Mutter zwar halbherzig ein, doch ohne rechten Erfolg. Sie ermahnte ihren Mann, den Sohn doch endlich in Ruhe zu lassen, doch das Drama wiederholte sich mit bedrohlicher Regelmäßigkeit und ich konnte mich gar nicht recht entsinnen, wann es endlich endete.

      Der Vater liebte uns eben und brauchte die körperliche Nähe zu uns Kindern. Er wollte das, was ihm Spaß machte. Wir waren da, um ihm seine Wünsche zu erfüllen. Wir waren lebende Spielzeuge, die zumindest den Nutzen der Bedürfnisbefriedigung erfüllen sollten. Jeder