Gerald Roman Radler

DIE LSD-KRIEGE


Скачать книгу

wir so etwas wie Mädchen, im Schlaf – bei geschlossenen Augen?

      Wäre nur mein Vater der einzige Unhold in der Familie gewesen, hätten wir versucht, bei der Mutter Zuflucht zu nehmen. Doch meine Mutter hatte eine zweite, unberechenbare Persönlichkeit, von der sie nichts wusste. Auf sie war also kein Verlass. Während mein Vater durch seine Gleichförmigkeit berechenbar in seinem Verhalten war, zeichnete sich meine Mutter durch Jähzorn und bedenkliche Stimmungsschwankungen aus. Es konnte leicht geschehen, dass sie sich beim gemütlichen Mittagessen am Wochenende durch eine achtlose Bemerkung beleidigt fühlte. Manchmal rutschte meinem Vater eine unpassende Entgegnung beim Scherzen heraus und sie nahm plötzlich eine steife Körperhaltung ein, wobei sie mit den Augen starr geradeaus schaute, oder wild funkelte. Sie antworte dann so lange mit unsinnigen, haltlosen Einwänden auf die Besänftigungsversuche meines Vaters, bis ein Streit vom Zaun gebrochen war. Ihre aufwallenden Gefühle konnten schnell eskalieren. Besonders wenn sie schon einige Gläschen Wein getrunken hatte, schlug sie mit der Faust auf den Tisch und stampfte mit den Füßen auf, was meinen Vater, der beim Mahl die absolute Stille schätzte, völlig entnervt aus dem Konzept brachte. Er warf ihr dann vor, vulgär zu sein, worauf ihr Zorn ins Unermessliche wuchs. Sie beschimpfte ihn dann als Schwächling und hielt ihm vor, was andere Männer für ihre Frauen tun würden. Wenn sie ihn mit ordinären Affronts belegte, konnte er glücklicherweise recht behalten. Er hatte sie solange gereizt, bis sie sich zu ihren Flüchen hinreißen ließ. Dann kreidete er ihr erneut ihre Primitivität an, was ihre Gegenwehr noch einmal anstachelte. An dem Punkt begann er, sie zu beruhigen. Aber die Schadenfreude in seiner Stimme war nicht zu überhören.

      Überhaupt schien es, als stiege ihre Wut in dem Ausmaß, wie sie mein Vater zu beschwichtigen trachtete. Er legte sich in all den Jahren weder eine neue Taktik zu, noch änderte meine Mutter ihre cholerische Aufführungen, denen filmische Theatralik innewohnte. Fiel mir dann noch eine witzige Glosse ein, über die mein Vater auch noch lachen konnte, war es um die Sonntagsruhe schlecht bestellt. Sie legte offen ihre paranoiden Vorstellungen dar und behauptete, die Familie hätte sich gegen sie verschworen Sie ließ keine Einsprüche gelten, die sie von der Harmlosigkeit der vorangegangenen Späße überzeugen konnten. Es musste bei meiner Mutter tatsächlich am Alkohol liegen, denn mein Vater war eigentlich immer zu dummen, beleidigenden Scherzen aufgelegt, bei denen ich eine wichtige Rolle als aktiver Mittäter spielte und seine Reden oft ergänzte, worauf wir uns beide köstlich amüsierten. Es machte keinen Unterschied, ob er eine Bouteille getrunken hatte, oder eine Flasche Bier, oder einige Gläser Orangensaft, oder Coca-Cola.

      Vielleicht fiel ihr bei solchen Tafelrunden im veränderten, trunkenen Zustand die Wahrheit, die sie sonst erfolgreich verdrängte und verharmloste, deutlicher auf. Sie schimpfte und bezeichnete meinen Vater als Waschlappen, der sich gegen seine Kinder nicht durchsetzen konnte. Sie forderte ihn auf, uns Einhalt zu gebieten, anstatt uns gegen sie aufzuhetzen. Wir waren sofort mitschuldig, sie wurde selbst mitleidig und zog sich gekränkt zurück. Sie sprach dann kein Wort mit uns und streikte einfach. Mein Vater, der seinen Frieden um jeden Preis erhalten wollte, sah sich einer unlösbaren Situation gegenüber. Er ging unruhig umher und versuchte mit seiner Frau ein Gespräch anzuknüpfen. Dabei beschwor er sie, vernünftig und nicht mehr eingeschnappt zu sein, da ihre Verweigerung ohnedies zu nichts führe.

      Nach geraumer Zeit kam unser Vater ins Kinderzimmer und eröffnete uns, wir sollten uns bei der Mutter entschuldigen. Da wir uns keines Vergehens bewusst waren und es hassten uns zu entschuldigen, schlugen wir seine Bitte zaghaft ab. Mein Vater war in derartig prekären Situationen niedergeschlagen und weichlich. Er versuchte uns dann mit leiser, sanfter Stimme zu erklären, dass meine Mutter als Frau eben kapriziös sei und auch er gerade Abbitte geleistet habe, wenngleich er der Meinung war, nichts Unrechtes getan zu haben. So sollte uns die Lüge leichter fallen. Hatte er sein Ziel endlich erreicht, gab es keinen Aufschub mehr. Im Gänsemarsch gingen wir mit hängendem Kopf hinter ihm her. Er öffnete die Pforten zum Schmollzimmer und dort lag sie, mit einem Taschentuch in der Hand und verweinten Augen, oder mit eisiger Miene und bleichem Gesicht, aus dem die Nase wie eine Lanze emporragte. Ich konnte nicht genau sagen, welche der beiden Varianten dieser Schmierenkomödie ich mehr verachtete.

      »Die Kinder wollen dir etwas sagen«, hieß es dann jedes Mal. Das war der Startschuss zu einer unendlich peinlichen Aktion. Johnny dürfte es eher ein Anliegen gewesen sein, ihr um den Hals zu fallen und »Entschuldigung, liebe Mami« zu sagen, schon allein wegen des vermissten, zurückgewonnenen Körperkontakts. Ich aber ließ meine Mutter wissen, dass ich hier nur eine verhasste Maskerade aufführte. Ich murmelte eine Entschuldigung. Wenn sie dann »lauter, ich hab nichts gehört!« sagte und sich verkrampfte, indem sie die Daumen in die Fäuste steckte, war alles verloren. Dann konnte nur mehr der Vater rettend eingreifen und wiederholen, was ich angeblich gesagt hatte. Ich war jedenfalls nicht mehr in der Lage einen zweiten Anlauf zu nehmen. Die Mutter blieb böse und ich hatte die Einleitung zur Aussöhnung verpfuscht. Es gab kein Nachtmahl, kein Fernsehen.

      Seltsamerweise ruhte ohne ihr Beitragen jede Aktivität. Ging unsere Demütigung erfolgreich über die Bühne, stand die Mutter übergangslos von ihrem Lager auf und drehte in der Küche das Radio auf. Dieser winzige Handgriff signalisierte völlige Vergebung. Hantierte sie mit den Gerätschaften der Küche, ohne am Radioknopf einen Sender einzustellen, bedeutete die Stille nur teilweise, ungenügende Aussöhnung. Ich wusste, sie würde noch einige Zeit damit verbringen, uns vorwurfsvoll in die Augen zu blicken und den Mund verziehen, bis sie es leid wurde, ihre Show abzuziehen.

      Dieser Moment, in dem Musik aus der Küche erklang, erleichterte uns ungemein. Besonders meinem Vater merkte man ein geräuschvolles Zusammensacken an, das von einer – für ihn übermenschlichen – Belastung herrührte.

      Anlässlich der nicht allzu zahlreichen Gelegenheiten, bei denen meine Mutter betrunken war, verhielt sie sich äußerst zwiespältig. Mein Vater regierte auf Alkohol eher mit Schläfrigkeit. Sein Benehmen änderte sich dabei nicht. Er übernahm die Rolle des vernünftigen Menschen, der dank seiner bewahrten Übersicht, eine entgleisende Situation wieder in die gewöhnlichen Bahnen lenkte. Dieser Umstand stieß in seinem Umfeld auf Ablehnung.

      Eines Abends war meine Mutter allein zu einem Treffen der Constantin-Film-Gesellschaft gegangen. Sie war Chefdisponentin in der aufschwingenden Filmbranche. Es fand eine Premiere statt, daher konnte es sehr spät werden. So oblag es meinem Vater, uns zu betreuen. Die Großeltern wurden diesmal nicht eingeteilt. Sie hätten ohnedies um spätestens einundzwanzig Uhr nach Hause gehen wollen.

      An diesem Abend war es sehr still. Es gab keine Musik und kein Fernsehen. Da er nur zwei Gerichte eigenhändig zubereiten konnte, war abzusehen, dass er sich entweder für die Zubereitung eine Eierspeise, oder der Fabrikation eines Liptauers entschied. Die Eierspeise war für ihn jedes Mal eine Geschicklichkeitsprobe, wenn er Eiweiß und Dotter von der Schale trennte und in die Pfanne kippte. Dann begann ein Wettlauf mit der Zeit, damit die Eierspeise die gebührende Konsistenz bekam. Mit einem raschen Rühren, das ihm den Schweiß der Anstrengung auf die Schläfen trieb, kämpfte er gegen die Hitze der Herdplatte. Die fertige Eierspeise verteilte er auf kleine Tellerchen und legte eine Schnitte Brot dazu.

      Er schaffte schon in meiner Kindheit einen Elektroherd an, da er eine tiefe Furcht vor einer Gasexplosion in sich trug. Er wollte ausschließlich Anschlüsse für elektrischen Strom in der Wohnung installiert wissen. So wurden zwei unförmige Nachtspeicheröfen, genauso wie der wuchtige Heißwasserboiler im Bad eingebaut. Offene Gasflammen kannte ich nur von Besuchen bei der Großmutter und den wenigen Aufenthalten bei ihrer Schwester Maria, meiner »Mizzi-Tante«.

      An diesem Abend gab es jedoch Liptauer. Den Liptauer rührte er mit echtem Brimsen und Butter an. Er verzichtete ausdrücklich auf Margarine und Topfen, da diese Zutaten nur einen beliebigen Aufstrich charakterisieren würden, nicht aber mit Liptauer verglichen werden könnten. Auf dieses ausschließliche Verfahren zu beharren, war sehr wichtig für ihn. Er ließ niemanden an sich heran und mischte mit ernstem, angestrengtem, verzweifeltem Gesicht die Bestandteile, als wäre er ein Alchemist, der ein geheimes Rezept mixte. Nach getaner Arbeit strich er uns die genau festgelegte Anzahl der Brote eigenhändig. Es waren immer zwei Scheiben und wir trauten uns nicht nach einem Nachschlag zu fragen, obwohl wir es gewohnt waren, unser Essen selbstständig aufzutragen. So gespannt war die Stimmung beim Abendmahl, dass wir nur das