Gerald Roman Radler

DIE LSD-KRIEGE


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Schilling in die Hand für die Heimfahrt – ein Jausensackerl war schon fertig. Der Freund gab mir noch einmal die Hand wie einem Fremden. Ich hasste ihn dafür. Er hatte mich verraten. Ich fühlte mich wie ein Hanswurst und schämte mich grenzenlos ob meiner Niederlage. Vergessen war der Sieg über meine Bangigkeit im Stollen. Es zählte nur mehr dieser Moment der Schande. Der Vater des Bauernlümmels wartete mit laufendem Motor vor dem Haus. Reglos saß er hinter dem Steuer, wie ein Automat.

      Ich beobachtete ihn verstohlen von der Seite. Eigenartige Gedanken über diesen Mann drängten sich auf. Er war ein Chauffeur, dem es egal war, wer zustieg. Vielleicht hielt er dem Gast den Wagenschlag auf, aber prinzipiell kümmerte es ihn nicht, wie sein Name war, oder woher er kam. Er hatte seine Anordnungen, egal ob sie von seiner Frau, meinen Eltern, oder der Tollkirsche kamen. Er wurde wahrscheinlich ordentlich bezahlt – in diesem Fall postanweisend von meinen Eltern – und damit war Schluss. Wortlos führte er mich wie ein Taxifahrer die Straße hinab, die mich statt in die Freiheit ins Verderben geführt hatte.

      Ich hatte kläglich versagt. Wir passierten den Tunnel. Er war wirklich endlos lang und der Schweiß rann mir über den Rücken, als ich mich in der düsteren Grotte der gestrigen Nacht befand. Es war so kujonierend, auch nur daran zu denken wieder den achten Bezirk sehen zu müssen. Es war so betrüblich meinen gekränkten, gleichzeitig auf Rache sinnenden Eltern, gegenüberzutreten. Vielleicht musste ich sogar dem Autofahrer-Unterwegs-Team Rede und Antwort zu stehen.

      Allerdings passierte gar nichts. Ich saß gemütlich im Zug, aß die riesigen Brote mit Käse. Immerhin wussten die Leute in Hinterwildalpen, dass ich Vegetarier war und respektierten diese Tatsache mehr, als meine Eltern. Sonst hätte ich wohl ein Speckbrot im Papier vorgefunden. In Bruck an der Mur überlegte ich noch auszusteigen und per Autostopp, in den Süden abzubiegen. Ich hatte keine Kraft mehr.

      Gloggnitz, der Semmering tauchte vor mir auf. Schottwien. Für mich waren es nur Schilder. Ich konnte nichts mit der Natur dort draußen anfangen. Dann ging die Fahrt auch schon ihrem Ende entgegen. Am Südbahnhof warteten meine Eltern. Sie machten Gesichter, als wäre ich monatelang fort gewesen. Ihre Mienen waren zu Eis erstarrt, als ich ausstieg. Ich grinste aus Verlegenheit. Sie aber hielten mein Lachen wohl für Hoffart und meint Vater zischte leise:

      »Dir wird das Lachen schon noch vergehen!«

      Wie Recht er doch hatte! Da war mir klar, wie schwer es auch weiterhin für mich sein würde, meinen eigenen Stil zu kreieren. Ich wurde nicht nach dem Grund meines Unternehmens gefragt. Meine Eltern nahmen automatisch an, ich hätte diese Aktion ihnen zum Trotz gestartet. Sie waren so dumm und hatten nicht die Möglichkeit zur Reflexion. Die folgenden Wochen wurden äußerst ungemütlich und ich wurde wie ein Strafgefangener auf Bewährung behandelt. Endlich konnten sie mir zeigen, was Verzicht zu bedeuten hatte. Mein Vater unterzog mich einer umfassenden Gehirnwäsche. Pausenlos redete er auf mich ein. Ich konnte seine näselnde Stimme nicht mehr ertragen. Aufgrund der Anstrengung stundenlang zu argumentieren, war seine Sprache höher und leiser als sonst.

      Dabei beschwor er die Wirren des Krieges herauf. Er wurde rücksichtslos mit DDT eingesprüht, um eventuellen Ungeziefer den Garaus zu machen. Eine ganze Kompanie musste sich vorbeugen, um einen brutalen, viel zu heißen, chemischen Einlauf zu empfangen. So wollte man der Verstopfung, einer unangenehmen Nebenwirkung eines hartnäckigen Fiebers, beikommen. Bei all den Massenverordnungen wurde niemals auf Individuelle Bedürfnisse, oder Empfindlichkeiten Rücksicht genommen. Er erzählte, dass er auf ausgehängten Türen geschlafen hatte und Zigaretten gegen Schokolade getauscht hatte, um bei Kräften zu bleiben. Stolz war er auf die Mengen an echten Cola-Sirup die er von den Fliegern bekam und unverdünnt zu sich genommen hatte. Dazwischen streute er Lebensweisheiten ein, die aufzeigen sollten, dass selbst ein genialer Mensch dem System niemals entkommen konnte. Am häufigsten erklärte er, dass ein Oberst seinem General unterstehend war, um mir die praktische Funktion des Gehorchens nahe zu bringen. Meine Mutter erinnerte mich, dass sie im Krieg wurmige Erbsen essen musste und bei jedem Bombenangriff mit ihrer altertümlichen, wuchtigen Schreibmaschine in den Keller gelaufen war. Schließlich wollte sie ihren Start in die Arbeitswelt nicht aufs Spiel setzen, obwohl sie liebend gern davongelaufen wäre. In einem muffigen, kalten Kellerabteil musste sie bei Kerzenlicht an ihren Filmlisten weiterarbeiten, wenn sie ihren Job nicht verlieren wollte.

      Ich war schwer angeschlagen und stellte mich innerlich taub. Die Reaktion auf meine Kurzschlusshandlung war einfach katastrophal. Ich fühlte mich wie jemand, der aus Verzweiflung aus dem Fenster gesprungen war. Da lag ich nun und blutete, während die Eltern aus dem Fenster schauten und sich darüber beschwerten, was für ein hässlicher Anblick meine verrenkten Gliedmaßen darstellten und was für eine Frechheit es sei, dass ich sie so vor den Kopf stoßen musste. Sie waren für alle Zeiten blamiert. Nur bedingungsloser Gehorsam würde mir einen winzigen Teil ihrer Zuneigung wiederbringen. Mir war tagtäglich zum Erbrechen übel. Der Stollen war ein Kinderspiel, gegen die Gewissheit der Realität, in der ich seit meiner Geburt fristete. Irgendetwas war in jener Nacht mit mir geschehen. Es hing mit dem grellen, blendenden Licht zusammen.

      ALTLERCHENFELD DIE HEIMAT

      Die frische Erinnerung an mein erstes Abenteuer löste Gefühle und Bilder von ihrem Sitz im Unbewussten und trug sie in mein Wachbewusstsein. Bisher für unbedeutend gehaltene Einzelheiten, bahnten sich einen Weg nach oben. Anfangs redete ich mir eine andere Szene ein, die sich am Bahnsteig ereignet hatte, wohl um die Bedeutung der tatsächlichen Situation herunterzuspielen. Nach einigen Wochen aber hatte ich Klarheit über die ungewollte Wiederholung der Ereignisse. Immer wieder spielte ein geheimer Kinovorführer den Streifen ab, bis ich ihn verstand.

      »Was ist dir denn da eingefallen, uns solche Sorgen zu bereiten?« sagte meine Mutter vorwurfsvoll mit ihren ersten Worten am Bahnsteig.

      Ihr ging es also schlecht und sie dachte gar nicht an meinen Zustand!

      Was mich aber schockierte war, dass mein Vater in meiner Rückbesinnung übernächtigt und bleich aussah. Seine Augen waren unkontrollierbar aufgerissen, sein Kinn wich nach hinten.

      »Na so was!« sagte er mit zaghafter, leiser Stimme. Dieser Ausspruch drückte bereits die höchste Stufe der Betroffenheit über mein misslungenes Vorhaben aus. Er war innerlich schockiert, dass ich mit derartiger Verzweiflung vom Vater wegwollte. Doch er hatte nicht begriffen, worum es mir ging. Vielleicht glaubte er an eine Kurzschlusshandlung. In meiner Erinnerung hielt ich die beiden für zerbrechlich und hinfällig – schwächer, als ich mich trotz meiner begreiflichen, subjektiven Niederlage fühlte. Ich hatte damals gar keine Chance auf die Erfüllung meiner Träume gehabt. Aber ich wähnte mich stark genug, in einer Welt aus Blei, das Fliegen zu lernen.

      Wir fuhren in der Straßenbahn nach Hause. Mein Bruder wartete niedergeschmettert auf die Heimkehr des Helden. Er war erst zwölf Jahre alt und vielleicht beeindruckte ihn meine Schilderung so, dass er zwei Jahre später auch durchbrannte. Für ihn ging das Abenteuer nicht so problemlos und schnell zu Ende. Er blieb über ein Jahr verschollen und als er doch wieder kam, war er hager und gealtert. Seine Träume waren gestorben und sein Weg schien fortan mühsam und von Entbehrungen gezeichnet.

      Auch für mich sollte es nicht das letzte Mal sein, dass ich versuchte als Minderjähriger zu entkommen. Ich geriet aber nur ein einziges Mal noch beim Autostoppen drei Jahre später in die Nähe von Hinterwildalpen. Diese märchenhaft abgelegene Gegend begann sich, sehr zu verändern. Die Autobahn von Gleisdorf nach Graz wurde gebaut und heute ist der Ort längst nicht mehr so idyllisch, wie er 1974 war, als der Highway für mein Leben fertig gestellt wurde.

      DAS LOCH IM MORGEN

      Das folgende Jahr war dann nach geglückter Nachprüfung der totale Absturz. Ich ließ meine früheren Freunde im Stich, oder vielleicht wollten sie mit mir nichts mehr zu tun haben. Zu sehr hatte ich mich im vergangenen Jahr verändert. Ich ging täglich nach der Schule ins Café Buwo gegenüber dem Hamerlingpark gelegen. Mein nächster negativer Schulabschluss war sicherlich längst angeordnet. Der Lehrkörper entschied gegen mich, wegen meinem unseligen Umgang mit den auffallenden Außenseitern und der Beteiligung an der Schülerzeitung,