Gerald Roman Radler

DIE LSD-KRIEGE


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nichts. Immer wenn wir einander wie zufällig begegneten, blieben wir stehen und hatten uns einiges zu sagen. Mir schien, sie suchte meine Nähe und auch ich hielt sehnsüchtig nach ihrer drallen Gestalt Ausschau. Wenn sie vor dem Haus unentschlossen stand, öffnete ich ein Fenster und gab ihr ein Zeichen. Dann gingen wir ein Stück des frei geschaufelten Weges, oder setzten uns ins Gästezimmer, um zu sprechen. Wir machten kein Hehl daraus, dass wir aufeinander warteten. In meinem Zimmer hielt ich es nicht aus. Ich machte mich am Gang so lange bemerkbar, bis ihre Zimmertüre aufging und sie heraustrat. Manchmal hörte ich, wie sie von der Küche ein Getränk holte und schlich die Treppe in den angrenzenden Gästeraum hinunter. Dort setzte ich mich hin und tat, als wolle ich lesen. Sofort schwang die Türe auf und Michaela sagte, sie sei froh, einen vernünftigen Menschen wie mich so nah zu wissen. Sie küsste mich auf den Mund und fragte, ob ich mit ihr gehen wolle. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Alle Spukgestalten flohen mich in diesem Moment. Ich fühlte mich frei in meiner Totalität, die zur Hälfte aus Michaela bestand.

      Schon nach zwei Tagen brauchten wir keinen Grund vorzuschützen, um einander zu suchen. Wo wir uns trafen, umarmten und küssten wir uns. Es war eine wunderbare Zeit, die rasch verging.

      Bald unterband mein Vater drastisch unsere Kommunikation, da er fürchtete, Michaela würde schwanger und er müsse die Alimente zahlen. Er blamierte mich vor dem Mädchen und wollte keine Verbindung mit Wiener Proleten eingehen. Ich war zutiefst beschämt, denn es war prinzipiell noch keine Rede von Sex, auch wenn ich davon schon träumte.

      Sexuelle Utopien gehörten bei mir bereits zur Tagesordnung. Seit einigen Monaten stellte ich mir alle möglichen erotischen Konstellationen vor. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass Michaela unsere Zusammenkunft beschleunigen wollte. Sie war ohne Zweifel wesentlich reifer als ich und ihre selbstsichere Art verriet, dass sie einige Kniffe kannte, um mich auf die richtige Spur zu bringen. Sie drückte sich an mich, wir schmusten und sie ließ mich unter ihren Büstenhalter und in die Spalte ihres Gesäßes greifen. Die aufmerksamen, strafenden Blicke der Eltern streiften mich unentwegt. Mit jedem Tag schwand die Gelegenheit zu einer ungestörten Begegnung.

      Der Urlaub verging ohne besondere Vorkommnisse, mit den Eltern. Da Michaela auch in Wien wohnte, verschoben wir die Fortsetzung unserer Beziehung auf die anonyme Stadt, wo wir beide unbewacht waren. Ich reiste schweren Herzens ab. Ich war so nah am Ziel – am Ende eines romantischen Tales in den steirischen Bergen – mit einem hübschen Mädchen. Aber es war nicht aller Tage Abend. Wir versprachen uns ein baldiges Wiedersehen.

      In Wien war ich wieder Herr der Lage. Niemand konnte ernsthaft kontrollieren, wohin ich ging. So tröstete ich mich, mit der Hoffnung auf die kommende Zweisamkeit. Denn Michaela verbrachte mit ihren Eltern noch zwei weitere Wochen in Hinterwildalpen.

      Ich wählte nach diesem Termin oft ihre Nummer, allein vergeblich. Niemand hob ab. Einige Tage darauf hatte ich ihre Mutter am Apparat. Sie sagte, Michaela sei nicht zu Hause. Auf mein höfliches Drängen sie sehen zu müssen, hatte sie offensichtlich Mitleid mit mir und gab mir einen Tipp. Ich könnte sie im Marktgebiet treffen. So machte ich mich aufgeregt auf den Weg. Ich besuchte Michaela klammheimlich im fünfzehnten Bezirk am Schwendermarkt. Meine Eltern durften nichts von meinem Vorhaben ahnen. Sie hatte ich im Glauben gelassen, Michaela längst vergessen zu haben. Bei unserem Treffen hatte sie einen verdächtig gewölbten Bauch, der sicher nicht nur von den Süßigkeiten herrührte, die sie eifrig naschte. Sie wirkte verlegen und so überrascht, als wäre sie – genauso wie meine Eltern – davon ausgegangen, dass wir uns nicht mehr sehen würden. Mein unangemeldeter Besuch war ihr nicht sonderlich recht.

      Die trat einen Schritt auf mich zu.

      »Ich bin schwanger«, sagte sie nur.

      »Ja«, gab ich ihr tonlos zur Antwort. Eigentlich waren alle Fragen, die ich an sie stellen wollte, geklärt. Ich wusste, warum sie sich nicht gemeldet hatte und warum unser Versprechen keinen Wert hatte. Die Barriere zu ihr, war so gewaltig geworden, dass ich keine Chance sah, sie zu überwinden. Es gab auch keinen Grund mehr für mich, die Kluft zu überbrücken.

      Im Hintergrund hielt sich ein vom Leben bereits gezeichneter Junge, der neben seinem Moped lehnte und sich ohne Unterbrechung mit einem silbernen Metallkamm frisierte. Mir blieb nur ein unbeholfen Abschied. Sie hob leicht das Kinn und öffnete die Lippen. Ich küsste sie mutig auf den Mund, um uns noch einmal in das gemeinsam erlebte Hochgefühl zu versetzen, doch Michaela war bei weitem nicht mehr so locker und aufgeschlossen, wie sie es in Hinterwildalpen gewesen war. Der Halbwüchsige trat aus dem Schatten auf mich zu und sah mich direkt an. Ich senkte den Kopf und ließ von dem Mädchen ab.

      »Du hast ihr einen Abschiedskuss gegeben, hoffe ich«, sagte er mit leiser, angriffslustiger Stimme.

      »Ja, ich wollte mich für immer verabschieden«, beruhigte ich ihn. Er nickte freundlich und trat einen Schritt zurück. Jetzt wirkte er sogar betroffen und nagte an seiner Unterlippe.

      Ich versuchte schleunigst, eine Distanz zwischen dem jungen Paar und mich zu bringen. Ich wollte dem Burschen nicht die Gelegenheit zu einer Stimmungsänderung geben. Ich vermutete, dass er mich für den Vater ihres Kindes hielt, falls er wusste, dass er nicht in Frage kam. Aber auch für den Fall, dass er mit Bestimmtheit sagen konnte, dass er der Erzeuger war, schien es sicherer, die Flucht zu ergreifen.

      Ich grübelte tagelang über den Vorfall. Ich hatte unwahrscheinliches Glück gehabt. Und doch. Etwas irritierte mich. War ich nur feige und ängstlich gewesen? War das der einzige Grund, warum ich mich so passiv verhalten hatte? Redete ich mir ein, gut daran getan zu haben, nichts überstürzt zu haben. Es blieb ein hohles Gefühl, das falsche getan zu haben. Es musste einen vernünftigen Grund für mein Verhalten geben und über den dachte ich ständig nach.

      Ich überlegte, ob Michaela auf der Suche nach einem Vater gewesen war und da wäre ich ihr recht gekommen. Später in Wien, nachdem der Rausch des Urlaubs verflogen war, fand sie dann einen noch Dümmeren, der zu naiv war, die Wahrheit herauszufinden. Der Umfang ihres Bauches zeigte an, dass sie im Urlaub schon gewusst haben musste, dass sie ein Kind bekommen würde. Meinen Eltern erzählte ich nichts von der Begegnung. Zumindest mein Vater hätte seine oft ausgesprochenen Befürchtungen teilweise erfüllt gesehen. Allein die Erwähnung des Namens dieses Mädchens konnte bei den Eltern einen Schwall von Gehässigkeiten auslösen, der sich auf ihre Herkunft bezog.

      Trotz dieses unangenehmen Erlebnisses, das mich mehr belastete als meine Eltern, oder meinen Bruder, beschlossen wir einstimmig die kommenden Sommerferien wieder in Hinterwildalpen zu verbringen, zumal die Miete im Försterhaus, wo wir wohnen wollten, äußerst günstig war. Außerdem hatten wir die Gegend noch nicht genügend erkundet.

      Ich fieberte dem Sommer entgegen. Die Monate vergingen im Flug. Ich begann mit täglichen Aufzeichnungen. Das Schreiben wurde immer wichtiger für mich und war meine einzige Freude. Ansonsten fand ich mein Dasein nicht sonderlich lebenswert. Tägliche Streitigkeiten mit den Eltern standen an der Tagesordnung. Seit dem Besuch des Psychiaters waren mir die Forderungen der Eltern gleichgültig und sie spürten meinen wachsenden Widerstand, den sie nicht mehr mit Dr. Zippo in Zusammenhang brachten. Mich hatte sein Besuch jedoch bestärkt, die Diktate der Lehrer und Eltern zu hinterfragen. Genauso kritisch verfuhr ich mit meinen eigenen Idealen und Zielen. Dabei geriet ich zusehends in eine Sackgasse, denn ich verwarf neu aufgestellte Weltordnungen rasch wieder.

      Der Urlaub in Hinterwildalpen sollte mir Klarheit über meine Wünsche durch den Abstand von meiner gewohnten Umgebung verschaffen. Die Sommerferien erlösten mich vom Druck der Schule. Der Notendurchschnitt lag weit unter meinem bisherigen Standard. Ich sollte im Herbst zwei Nachprüfungen bestehen, für die ich keinen besonderen Einsatz leisten wollte. Der Vater ermahnte mich, jeden Tag ein wenig in die Bücher zu sehen, um am Ende der Ferien nicht mit dem geballten Stoff konfrontiert zu sein. Für dieses Zeugnis bekam ich im Juni keine Geschenke. Auch mein vierzehnter Geburtstag im Juli war kein Freudentag. Ich bekam von meinen Eltern und meinen Großeltern je ein Kuvert mit einer kleinen Summe überreicht. Ein Fest für mich wäre auch eine Farce gewesen. Meine Eltern wussten längst, dass ich keinen Wert auf eine Zeremonie legte. Für sie gab es auch keinen Grund, mich zu feiern. Ich folgte ihnen nicht mehr, wodurch ihr Leben beschwerlicher geworden war und ich hatte keinen Vorzug mehr. Ich war wie viele andere Gymnasiasten geworden, die