Gerald Roman Radler

DIE LSD-KRIEGE


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die mir noch geblieben waren, überreichte mir formlos ein Taschenbuch mit praktischen Anleitungen zum Yoga. Dieses Buch hatte seine ältere Schwester von ihrem Gefährten geschenkt bekommen und konnte überhaupt nichts damit anfangen. Ich war schlichtweg begeistert. Yoga wurde damals – zumindest bei uns in Österreich – als unerwünschtes, fremdes und bestenfalls theoretisches Gedankengut gehandhabt. Fälschlicherweise wurde Yoga als Religion betrachtet. Ich hatte nie zuvor diesem Begriff zuordnen können. Meine Begeisterung, die einer rätselhaften Aufregung, während dem Lesen dieses Buches folgte, war enorm. Ich begann noch am selben Tag mit den wenigen Übungen, die das Büchlein ausführlich schilderte. Die Beschäftigung mit der neuen Materie verlangte meine volle Aufmerksamkeit. Sofort erkannte ich, dass mein Körper wie geschaffen war, für die dargestellten Übungen. Ich hatte keine Schwierigkeiten, die merkwürdigen Verrenkungen zu erlernen. Die einzelnen Abschnitte des Taschenbuches waren in einer klaren Sprache abgefasst. Sämtliche Übungen waren übersichtlich illustriert. Es fiel mir auch nicht sonderlich schwer, nach einigen Wochen den beidseitigen Lotussitz auszuführen. Die Thematik kam mir seltsam vertraut vor.

      Bald nach dem Auftakt zu einem jungfräulichen Körpergefühl, durchstöberte ich planlos die Buchhandlung König, in der ich als Kind von meinem Vater all die Sachbücher aus der Reihe »Was-Ist-Was« geschenkt bekam. Ich wurde auf ungewöhnliche Weise fündig. Ich entdeckte ein teures, gebundenes Werk, das sich Yoga progressiv nannte. Das war der authentische Titel für meinen Gemütszustand. Das Buch war gerade erschienen. Eigentlich trug ich nichts zur Auffindung des Buches mit dem gelben Umschlag bei. Wenn es sich nicht aus einer Reihe andere Bücher aus dem Regal gelöst hätte und mir am Kopf gefallen wäre, hätte ich es nie aufgespürt. Ich studierte nämlich lediglich die Buchrücken in Augenhöhe. Das Erklimmen der Leiter, welches mir der Besitzer des Geschäfts ausdrücklich erlaubt hatte, lag mir fern. Zahlreiche Fotografien von Männern und Frauen aus Indien, die in verschiedenen Positionen dargestellt wurden, brillierten durch strotzende Gesundheit. Sie alle strahlten auf mich eine derartige Überlegenheit aus, dass ich mich ihrer Macht nicht entziehen konnte. Wohl versprach der Meister, der am häufigsten abgebildet war, das Blaue vom Himmel, aber er brachte genau die richtige Saite meines naiven, revolutionären Geistes zum Klingen. Ich war unzufrieden mit der verlogenen Welt, in der ich mich befand.

      In diesem Werk wurde ein Zustand angesprochen, den ich durch meine eigene Mühe erreichen konnte. Das gefiel mir außerordentlich. Die vorgebrachten Argumente zum ewig währenden Glück leuchteten mir ein. Wäre mir nur ein Paradies – egal ob diesseitig, oder erst nach dem Tod – versprochen worden, ich hätte das Buch nicht angerührt. Aber es entsprach meiner Disposition, mit der Veränderung des Körpers eine Umbildung des Geistes und eine Befreiung der Seele zu erreichen. Die Übungen wurden detailliert erklärt und ihr Nutzen angepriesen. Da stand etwa:

       »Diese Übung schenkt ein strahlendes Aussehen, ist für Kanoniere, Bettelmönche und Beamte, die lange sitzen müssen, und erweist sich genauso geeignet für Menschen, die 300 Jahre lang leben wollen.«

      Oder etwa: »Diese Übung ist, wenn sie zwölf Jahre hindurch richtig ausgeführt wird, dazu imstande, Hämorrhoiden und Fehlstellungen der Beine zu heilen, erzeugt eine glatte Haut und erweckt die Kundalinikraft, die besondere Fähigkeiten hervorzurufen mag.«

      Solche Prophezeiungen faszinierten mich und schienen mir realistisch. Mir gefiel der regelmäßige Hinweis auf den Bereich einer Verbesserung der Gesundheit für den normalen Menschen, mit anschließendem Wink auf den übernatürlichen Nutzen der Übung für den Suchenden. Ich konnte mich auf eine materielle und eine spirituelle Veränderung freuen, nicht zuletzt, da ich täglich an mindestens einem Asthmaanfall litt, der vornehmlich dann auftrat, wenn ich mich zu Bett begab. Ich schlief problemlos ein. Nach zwei bis vier Stunden wachte ich mit pfeifenden Atemgeräuschen auf und bekam kaum mehr Luft. Die Einatmung vermochte ich besser zu steuern. Über das Ausatmen hatte ich nur unter Aufbietung aller Kräfte eine leidliche Kontrolle, wie es bei dieser Krankheit üblich ist. Ich fühlte mich wie ein Luftballon, der zum Bersten gefüllt war. Ich litt an der Luft, einem lebenswichtigen Element.

      Meine aufkeimende Verzweiflung wurde trotzdem durch spürbare Fortschritte neutralisiert. Ich lernte ein gut abgestimmtes Körpergefühl kennen. Tagsüber fühlte sich mein Körper leicht an und die Lunge arbeitete ausgezeichnet. Die Yogaübungen stabilisierten meinen Zustand und halfen mir ein Einzelgänger zu werden, dem es egal war, keine Sicherheiten oder Freundschaften mehr zu haben.

      Ich wurde von einer Freundin meiner Mutter, die glaubte zu wissen, was ich vorhatte, auf die Möglichkeit zur Entwicklung zu einem schrulligen Kauz hingewiesen. Doch ich schlug ihre wohlgemeinten Worte in den Wind. Ich wollte mich von jedweder Enge befreien. Mein Klassenvorstand machte mich zur Genüge auf die Folgen aufmerksam, die mir nach einem Ausscheiden vom Schulbetrieb blühten. Ich sollte rasch Einkehr halten, mich unterordnen in Kleidung, Haartracht und in der Einhaltung der vorgegebenen Spielregeln. Mit der bedrohlichen Doktrin eine Umkehr auszulösen, klappte bei den meisten Schülern, bei mir schlugen solche Mahnungen gänzlich fehl. Ich machte mich der Häresie schuldig. Ich nahm an, der Lehrkörper wollte ein Experiment starten und versuchte herauszufinden, wie weit ich in meiner Verweigerung gehen würde. Ich fühlte mich seit meiner Änderung von den Lehrern, wie ein Versuchskaninchen beobachtet.

      NOLI ME TANGERE

      Aufgrund meiner täglichen Asthmaanfälle war ich schon sehr früh mit einer beklemmenden Todesnähe konfrontiert. In manchen Nächten fürchtete ich, zu ersticken. Ich las, dass diese Erkrankung einen Menschen innerlich völlig umkrempelt. In einer Jasmin-Zeitschrift stand, die Patienten beginnen den Sinn ihres Lebens zu bezweifeln und hinterfragen ihre bisherige Handlungsweise. Eine Ausnahme bilden nur die Patienten, welche ihr Leiden als gegeben hinnehmen und mit Cortison behandeln. Diese Menschen bauen das Asthma in ihr Leben ein. Ich wollte mein Asthma unter keinen Umständen in mein jetzt erst beginnendes Leben einbetten.

      Ich wusste, dass meine Versuche zur Selbstheilung auch mit dem Erstickungstod enden konnten. Aber ich hasste mich, bei dem Gedanken, mit diesem Gebrechen weiter leben zu müssen. Meine Eltern sahen meinen Eifer als falsch aufgefasstes Heldentum und dachten, ich spielte mit meinem Leben. Sie zwangen mir fortwährend schulmedizinische Hilfe auf.

      Die eingeleiteten Tests zur darauf folgenden Desensibilisierung schlugen fehl. Mein Körper sollte nach Allergenen erforscht werden. Dazu war es notwendig, den Grad meiner Erstickungsanfälle festzustellen. Die einzige Möglichkeit war, im Spital einen künstlich herbeigeführten Anfall zu erzeugen. Ich nahm Platz in einer winzigen, eiförmigen Kammer, die nur vorne ein einziges kleines Bullauge aufwies. Ein Drehrad wurde durch den Arzt von außen geschlossen. Über einen quäkenden Lautsprecher hörte ich die Anweisungen des Personals. Ich atmete also über das gummiartige Mundstück eines gerillten Schlauches ein süß schmeckendes Gas ein. An den widerlichen Geruch und die rasch einsetzende Wirkung sollte ich mich für immer erinnern. Dieser Vorgang simulierte einen Asthmaanfall und die Funktion der Lunge wurde gemessen. Als meine Atemnot am Höhepunkt war, drückte ich auf den roten Knopf, der in Erstickungspanik gedrückt werden durfte.

      Die Hydraulik versagte, die Safetüre öffnete sich nicht. Der Arzt kurbelte wie wild an dem ruckelnden Tresorrad. Ich rang nach Luft, denn die künstlich ausgelöste Attacke war wesentlich schlimmer ausgefallen, als eine unverfälschte Atemnot. Eine rote Signallampe blinkte unentwegt in meiner kümmerlichen Raumkapsel, von einem ohrenbetäubenden Schrillen begleitet. Mehrere Therapeuten in geöffneten, weißen Kitteln machten sich an dem Ei zu schaffen, in dem ich zusammengequetscht kauerte, und ermahnten mich über den Lautsprecher zur Ruhe und Besonnenheit. Als es dem Personal endlich gelang, die Türe wild gestikulierend zu öffnen, fiel ich buchstäblich aus dem Behälter. Ein Arzt fing mich auf und ich musste große Mengen eines Sprays einatmen, um wieder Luft zu bekommen. Ich bat, mir am Gang die Beine vertreten zu dürfen, bevor wir die Tests weiterführten. Niemand hatte etwas dagegen. Ich merkte, wie froh der Arzt war, dass ich nicht gestorben war. Ich verließ mit furchtbaren Schmerzen in der Brust das allgemeine Krankenhaus, ohne auf ein Ergebnis zu warten. Die für eine Testreihe angezeichneten Felder auf der Haut meines Rückens, schrubbte ich in der Badewanne ab, während mir der Schrecken in immer wiederkehrenden Schüben Zittern und Schweißausbrüche