Gerald Roman Radler

DIE LSD-KRIEGE


Скачать книгу

Mutter knetete die Finger. Ihre Augen waren wie kleine Knäuel, die durch eine Batterie betrieben, hin und her glitten. Sie hatte ihn nicht verstanden und ihre Augenbewegungen sollten ihr den ersehnten Überblick verschaffen.

      Sie bräuchten sich überhaupt keine Sorgen machen, meinte Zippo beruhigend. Denn wirkliche Probleme tauchten in der Regel vielmehr mit über angepassten Jugendlichen auf, die keine Gelegenheit wahrnehmen konnten, sich selbst zu finden und im Erwachsenenalter in eine ernste Krise schlittern würden. Wenn sie mich nur machen ließen, würde ich mich zu einem prächtigen Menschen entwickeln. Ich war von seinen Ausführungen begeistert. Die schwere Last, einsam gegen Windmühlen kämpfen zu müssen, um dann doch in der Klapsmühle zu landen, wich mit einem Schlag. Ich war so entspannt, dass ich hätte einschlafen können.

      Abschließend fügte er hinzu, er persönlich hielte sehr viel von mir. Ich erzeuge bei ihm den Eindruck eines ausgeschlafenen, intelligenten, begeisterungsfähigen Burschen. Mein Vater warf noch ein, dass er selbst bar jeder Erinnerung sei, je eine pubertäre Krise erlebt zu haben. Er hätte einen guten Kontakt zu seinem Vater gehabt und seine Mutter geliebt. Als er ein Mann geworden sei, habe ihm sein Vater Geld fürs Puff gegeben, damit er dort seine Erfahrungen sammeln konnte. Diese Experimente blieben ohne Konsequenzen, bevor er normale Beziehungen eingehen konnte. Dr. Zippo schien am Überlegen, ob er überhaupt etwas sagen sollte, und ich fragte mich, was er denn gesagt hätte, wenn er gesprochen hätte und warum er letztendlich doch den Mund gehalten hatte. Er schaukelte mit dem Stuhl und knüpfte mit seiner Analyse an anderer Stelle an. Übertriebene Reinlichkeit, meinte er, sei weder für Junge, noch für alte Menschen besonders förderlich. Dabei konzentrierte er sich schweigend auf meinen Vater, der nervös hüstelte und seine ausgestreckten Hände betrachtete. Vater warf ein, er wollte doch nur ein paar Kleinigkeiten erfüllt sehen. In einem eigenen Haushalt könne ich sowieso im Dreck ersticken, hier aber sei er der Herr im Haus und ich müsse mich seinen Forderungen beugen. Dr. Zippo spitzte die Lippen, warf den Kopf in den Nacken und starrte mit zusammengekniffenen Augen zur Decke. Es wurde sehr still in der Wohnung.

      Er schlug ein Treffen auf halben Wegen vor. Die Eltern wanden sich wie Würmer, bevor sie sich dann doch einige Zugeständnisse machten. Sie versprachen, mir gleich einen Haustorschlüssel anfertigen zu lassen und mich bis zwölf Uhr anstandslos ausgehen zu lassen. Sie würden mich künftig verstärkt unterstützen. Die Poster durften hängen bleiben, da die Wand sowieso irreparable Schäden durch die Klebestreifen genommen hätte. Es müsste eines Tages ausgemalt werden, wenn ich eine gewisse Reife erreicht hätte. Ferner würden sie meine bedenkliche Lektüre nicht mehr kritisieren. Ich versicherte, mich an die Null-Uhr-Grenze zu halten und meinen Notendurchschnitt wieder etwas anzuheben. Innerlich war ich erleichtert, dass wir zu einer Einigung gekommen waren und nahm mir ernstlich vor, gleich einen Plan zu erstellen, wie ich alle Punkte unter einen Hut bringen konnte. Die Eltern wirkten gelöst. Ihnen war sicher genauso recht, dass unser sinnloses, entkräftigendes Zerren ein Ende gefunden hatte. Schweren Herzens blätterte mein Vater unter Mitleid erregenden Seufzern den vereinbarten Betrag in die Hand des Arztes und Dr. Zippo verließ grüblerisch die Stolzenthalergasse.

      Ich atmete innerlich auf. Ich ging beschwingt in die Küche, wo meine Mutter mit der neuen elektrischen Mühle Kaffeebohnen rieb.

      Ihr Gesichtsausdruck machte mich stutzig. Mein Vater, der zuerst mit gesenktem Kopf im Türrahmen stand, zog sich schweigend in ein anderes Zimmer zurück. Mein Herz begann wild zu klopfen, aber ich stellte mich neben sie. Ihr jäher Stimmungsumschwung verdutzte mich nicht. Zu oft wurde ich schon mit ihren schizophrenen Mitteilungen konfrontiert. Mit verbissener Miene ignorierte sie meine Gegenwart. Da sie aber nie schweigen konnte, fing sie bald zu reden an:

      »Du brauchst nicht zu glauben, dass du von uns einen Schlüssel bekommst und jeden Tag bis Mitternacht herum fliegen kannst. Das kommt ja überhaupt nicht in Frage. Eine bodenlose Frechheit, dass wir auf diesen Halsabschneider hereingefallen sind. Dann hilft der Quacksalber auch noch zu dir, obwohl er von uns bezahlt worden ist! Was glaubst du, was der Trottel gekostet hat? Keinen Schilling hätte der bekommen, wenn es nach mir ginge. Und so etwas soll ein angesehener Psychiater sein. Pfui. Dein Vater ist viel zu gutmütig. Ich hätte dich gleich in eine Besserungsanstalt gesteckt!«

      Mit diesen Worten waren meine eben gestartete Karriere und zugleich meine Meinung über meine Mutter endgültig besiegelt. Was auch immer ich zu hören erwartete, mit dieser kompletten Absage hatte ich dennoch nicht gerechnet. Vielleicht hätte ich mich zusammengerissen, den Unterricht weiter besucht und später studiert. Aber an diesem Tag drehte sich meine innerste Richtung um. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Alles soll umsonst gewesen sein. Ich verstand den Geist meiner Eltern überhaupt nicht mehr und hatte fürderhin jeden Rest von Vertrauen abgebaut – aber leider nicht vollständig – denn das war erst der Beginn eines zähen Krieges bis zu meiner Volljährigkeit.

      ALLEIN IM STOLLEN

      Zuweilen entschieden meine Eltern auch zur Winterzeit zwei Wochen während der Weihnachtsferien einen ruhigen Ort am Land zu finden, wo sie sich erholen konnten. Während sich alle meine Schulkollegen auf überfüllten Skipisten tummelten, suchte mein Vater in der Bürozeit eine entlegene Pension, im tiefen Wald. Er wurde fündig und im Winter fuhren wir in die Steiermark nach Hinterwildalpen, einer verträumten Streusiedlung am Ende einer kleinen Straße. Die Reise mit dem Auto in die verschneite Landschaft beeindruckte mich. Für diese unausgesprochene Übereinkunft war ich meinem Vater dankbar. Er liebte genauso wie ich die abgeschiedenen Winkel der Welt, vornehmlich dort, wo selten ein Mensch sich hin verirrte. Und dennoch gab es immer wieder Lebewesen, die es schafften, das Gleiche wie wir zu denken.

      Ich erwartete eine Situation, fernab jeglicher Zivilisation und wurde nicht enttäuscht. Ich befreundete mich mit dem gleichaltrigen Burschen der Familie, wo wir eine Unterkunft telefonisch vereinbart hatten. Wir bewohnten nicht alleine das alte Haus. Eine zweite, dreiköpfige Familie war schon einige Tage zuvor eingetroffen. Ich begegnete Michaela vor dem Haus, als sie aus dem Auto ihres Vaters eine Tasche holte. Sie war kein wenig schüchtern und gab mir die Hand zur Begrüßung. Sie sagte unumwunden, dass sie froh war, in dieser Einöde einen Verbündeten zu treffen. Sie sagte mir, dass ich ihr gut gefallen würde und sie lediglich die Tasche ins Zimmer ihres Vaters bringen würde. Dann könnten wir, falls ich mich für sie interessieren würde, ausgiebig plaudern. Ich versicherte ihr, dass ich im Gästezimmer auf sie warten würde und inzwischen einen Kaffee aufstellen würde. Etwas verwundert über ihre Ausdrucksweise und ihre direkte Art, betrat ich ohne Umschweife das Gästezimmer. Die Minuten dehnten sich ins Unerträgliche. Doch Michaela hatte nicht gescherzt. Sie erschien in einem viel zu knappen, nabelfreien, dunkelgrünen Pullover und einer schwarzen, eng anliegenden Glockenhose. Ihre langen braunen Locken umrahmten ihr einfaches, hübsches Gesicht. Die vollen Lippen, mit der stumpfen Nase verliehen ihr einen etwas vulgären, lüsternen Ausdruck, der durch ihren Wiener Slang unterstrichen wurde. Die Akne auf ihrer Haut entstellte sie nicht, sondern ließ sie lasziver wirken.

      Ich verliebte mich auf den ersten Blick in das Mädchen. Sie setzte sich zu mir und wir tranken Kaffee. Da sie sehr offen war, gab es keine Peinlichkeiten, obwohl wir in dem Raum allein waren. Wie sie mir stolz erzählte, feierte sie kürzlich ihren dreizehnten Geburtstag. Dabei reckte sie mir ihren Oberkörper entgegen und streckte das Kreuz durch. In der Tat war sie zur vollen Blüte aufgegangen und prächtig entwickelt.

      Innerlich jubilierte ich. Immerhin hatte ich sie für einige Jahre älter gehalten, obwohl ihre Art zu sprechen und sich zu bewegen eher auf ein sehr junges Mädchen schließen ließ. Was mich bisher irritierte, war, dass sie von einem Moment zum anderen in das Verhalten einer reifen Frau wechseln konnte. Durch ihr Bekenntnis hatte ich keine Bedenken mehr, mit ihr in näheren Kontakt zu treten. Ich konnte es nicht glauben, in dieser verlassenen Gegend auf ein traumhaftes Mädchen zu stoßen, dass ich in Wien niemals anzusprechen gewagt hätte. Hier, in der Wildnis der schroffen Berge, war ich voller Mut und nicht faul mit ihr eine zwanglose Konversation zu beginnen. Bald waren wir in ein Gespräch vertieft, in dessen Verlauf ich sie genau studieren konnte. Wider Erwarten hielt auch sie unsere Kommunikation am Laufen und stellte intelligente Fragen.

      Schon am folgenden Tag registrierte mein Vater kritisch unsere beginnende Freundschaft. Er wies