Gerald Roman Radler

DIE LSD-KRIEGE


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seine Ruhe und Bereitschaft zuzuhören, ermutigt, berichtete ich ihm wahrheitsgemäß, dass ich kein Interesse an Drogen, wohl aber an PSI und ASW, sowie an Psychiatrie und Chemie hatte. Er schnitt mir nicht wie die Eltern das Wort ab, ehe er seine Meinung abgab. Meine Ausführungen hörten sich in seiner Gegenwart gar nicht mehr verrückt an. Ich fühlte mich innerlich ruhig und direkt körperlich befreit. Eine Weile saßen wir uns schweigend gegenüber. Er schien meine gelöste Stimmung, zu erahnen. Er nickte mir zu und grinste lange ehrlich, wobei er mir direkt in die Augen blickte. Wir hatten die getragenen menschlichen Masken vor uns am Tisch gelegt und kosteten den Moment der Erleichterung aus, in dem es keine eingefrorenen Gesichtszüge gab und keine gekünstelten Redewendungen fielen. Ich fühlte mich unbeschreiblich wohl.

      Dann stand er ungeschickt auf, ging aus dem Zimmer und ich hörte seine gedämpfte, dunkle Stimme aus dem angrenzenden Raum. Er holte die nervösen Eltern zum gemeinsamen Gespräch, die eingangs unbedingt bei unserer Unterredung anwesend sein wollten. Ich hatte ihnen die Empörung angemerkt, dass er mit mir – einem unheilbar Irrsinnigen – vorerst allein sprechen wollte. Jetzt erklärte er ihnen vor mir, dass mein Verhalten vollkommen normal sei, was mir ständig giftige Blicke meiner Mutter eintrug. Er meinte ich würde noch aufbrausender und unbändiger werden, wenn sie weiterhin meine Entwicklung stoppten, oder gar komplett ablehnten. Ich müsse in Zukunft unbedingt meine eigene Gefühlwelt entwickeln und selbst beginnen, zu entscheiden, was richtig und was falsch war. Im Falle der Unterdrückung der Entwicklung meiner Persönlichkeit, die automatisch und naturgemäß von ihren Vorstellungen abweichen würde, käme es zum Bruch zwischen unserem früheren Vertrauensverhältnis. Er bediente sich einer einfachen, klaren Sprache. Ich hoffte das Beste und bangte um unser kommendes Familienleben. Endlich saß die Person in meiner Nähe, mit der mein Vater zuletzt ständig gedroht hatte und versuchte zu vermitteln, anstatt mir eine Zwangsjacke anzulegen. Zippo war nicht der schwarze Mann, mit dem man Kinder einschüchterte, um sie zur Räson zu bringen.

      Die Eltern waren mit einer Instanz konfrontiert, die wider Erwarten nicht einfach den Erwachsenen Recht gab, weil sie größer und stärker waren. Wie oft hatte meine Mutter schon mit der Psychiatrie und einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche gedroht, falls ich nicht bedingungslos gehorchen würde. Nun saßen meine Eltern wie Taferlklassler da, die Hände am Tisch. Die Mutter schwieg verlegen, denn sie hatte vor Zippos Auftreten und dem Doktortitel die nötige Ehrfurcht. Ich spürte aber mit Unbehagen, wie ihr Hass auf mich wuchs. Mein Vater maß mich mehrmals kurz mit erhobenem Haupt und verkniffenem Mund. Bald aber haderte er mit sich, als letzten Trumpf, die ganze schreckliche Wahrheit über mich zu sagen. Er schüttete sein Herz in einem Schwall von Worten und Körpersprache aus.

      Mit leidendem Tonfall klagte er meine Missetaten an. Ich trocknete die Seife nicht in dem extra hierfür vorgesehenen Handtuch ab. Wenn ich am Klo säße, ginge es »rrrrrr«. Damit wollte er das übermäßige Abrollen von unnötigem Klopapier demonstrieren.

      Dr. Zippo setzte sich kerzengerade auf. Ich lehnte mich entspannt zurück. Jetzt war klar, wer in diesem Raum der Kranke war. Zippos Augen bohrten sich schweigend in meine Augen. Meine Interpretation seiner jähen Aufmerksamkeit ging in nur eine Richtung.

      Zippos Augen wollten sagen: »Dein Vater ist ein Zwangsneurotiker. Vorsicht! Wir haben in ein Wespennest gestochen«!

      Ich hatte mir längst diesbezügliche Gedanken gemacht, seitdem ich mich mit der einschlägigen Literatur beschäftigt hatte. Im Lehrbuch der Psychiatrie konnte man eindeutige Kennzeichen, für ausgefallene Verhaltensmuster finden. Kurze Zeit war die Welt in Ordnung. Damals wusste ich noch gar nicht, welch Kapazität an unserem Tisch saß. Nach unserem Gespräch unter vier Augen, das ja ganz anders verlief, als ich befürchtet hatte, war also mein Vater an der Reihe. Der Arzt forderte ihn auf, die Probleme aus seiner Sicht zu definieren.

      Nach seinen irrwitzigen Klagen über meine Verfehlungen, zählte mein Vater Sequenzen wichtiger Inhalte auf, die er gerne erfüllt sähe, weil es sich seiner Meinung nach ohnedies nur um Kleinigkeiten handelte. Dazu gehörte das Einhalten der gemeinsamen Mahlzeiten, das verlässliche Heimkehren um spätestens neun Uhr abends. Er begründete diese Forderung mit dem gesunden Schlafbedürfnis eines rechtschaffenen Menschen. Ferner forderte einen besseren Notendurchschnitt, die völlige Aufgabe der Beschäftigung mit unsinnigen Themen, wie ASW und PSI, sowie das Unterlassen des Lesens schädlicher Trivialliteratur. Dazu gehörten natürlich meine geliebten, wöchentlich erscheinenden Vampir-Horror-Romane, die ich sammelte und mich über die absonderlichen Einfälle der Autoren freute. Ich las die einfach gestalteten Spaltenhefte mit Begeisterung. Die stilistische Knappheit der Texte störte mich nicht. Eine Eigenart der meisten Autoren bestand darin, eine Szene anzureißen und nach einer erschreckenden Schilderung, mit einem anderen Ereignis zu beginnen, das wieder unterbrochen wurde, um zu früheren, oder parallel laufenden Geschehnissen zurückzukehren. Getrennt wurden diese kleinen Abschnitte durch gruselige Federzeichnungen. So wurde der Leser bis zum Schluss im Ungewissen gehalten. Die Spannung blieb erhalten.

      Meine Mutter knallte dem Arzt einen Stapel der Hefte vehement auf den Tisch, dass er zurückzuckte. Er betrachte die Umschläge mit den bunt gemalten Gruselvisionen, die auf den Inhalt Bezugnahmen. Er las schweigend einige Titel, dann lachte er lauthals. Ich stimmte in sein Lachen ein. Mein Vater ließ sich nicht durch das Intermezzo beirren und fuhr einfach fort mit seinen Anliegen.

      Meinen Musikgeschmack solle ich schleunigst überdenken, forderte er mit larmoyanter, kippender Stimme. Des Weiteren solle mich Dr. Zippo dazu verpflichten mit den Eltern unterhaltsame Sendungen, zur Stärkung der familiären Bande ansehen. Auf die Frage, welche Art von Ausstrahlungen er meinte, zählte er ungeniert Fernsehsendungen mit Heinz Conrads, Hans Rosenthal und Vico Torriani auf. Der Psychiater schmunzelte gemein. Wieder hakte er die Daumen in die Taschen seines Gilets und lehnte sich, seine Überlegenheit infam zur Schau tragend, im Sessel zurück. Mein Vater ließ sich nicht beirren. Er bezeichnete das Befestigen der Poster meiner Lieblingsinterpreten schlicht als Akt der Bosheit. Ich gebärde mich wie ein Irrsinniger, sagte er, der die ihm gezogenen Grenzen ständig mutwillig überschreite. Dann warf meine Mutter mit gewichtig ernstem Gesichtsausdruck noch kommentarlos den unvermeidlichen Satz »Narrenhände beschmieren Tisch und Wände!« ein. Dazu rollte sie die aufgerissenen Augen grauenvoll. Erstmalig wurde Zippo äußert unruhig und dachte angespannt nach. Seine Blicke wanderte unstet im Raum umher und immer wieder blieben sie an mir hängen. Die Daumen bewegten sich rhythmisch in seinen Westentaschen. Er schien nach Worten zu suchen, die den ersehnten Frieden brachten. Ich war innerlich ruhig. Die Eltern hatten sich eine peinliche Blöße gegeben, die sie als äußerst zwanghaft entlarvte. Ich empfand sie als strohdumm. Sie waren überzeugt von der Richtigkeit und Notwendigkeit ihrer Worte. Sie merkten nicht, wie unklug sie sich verhielten. Ihr Wunsch war, dass ich mein Leben aufgab und zum Roboter wurde, damit sie bequem in die wohlverdiente Pension dösen konnte. Es störte sie, Söhne zu haben, die nicht wie Fische in einem Aquarium zu handhaben waren, sondern egoistische Anliegen verfolgten und typische Charaktere entwickelten. Ganz im Gegensatz zu den exotischen Fischen hinterließen wir Spuren in ihrem einst beschaulichen Leben. Da sie aber beide ein beachtliches Maß an Obrigkeitsgläubigkeit besaßen, hoffte ich auf einen erquicklichen Ausgang dieser Sitzung. Ich sollte mich getäuscht haben. Dr. Zippo war Besucher – er würde wieder gehen – wir aber würden nach diesem Einschnitt immer noch unter einem Dach wohnen. Ich musste das vermeintlich vergeblich ausgegebene Geld für die Visite und die verlorene Würde meiner Eltern bitter büßen.

      Zippo bemühte sich redlich, einen Konsens zu erzielen, indem er den Eltern abermals erklärte, dass sie sich meinen Wünschen nicht verschließen durften. Sie sollten nicht nur fordern, was ihnen zur Befriedigung ihrer Wünsche half. Sie konnten eher ruhig schlafen, wenn ich einen Haustorschlüssel bekäme und zu einem späteren Zeitpunkt, verbürgt nach Hause käme. Die große Wohnung erlaube es, die Eltern nicht aufzuwecken, wenn ich um Mitternacht vom Vorzimmer in das Kinderzimmer schleiche. Heutzutage sei es normal, wenn die Kinder einige Stunden später, als noch vor vierzig Jahren, nach Hause kämen.

      Die Poster an den Wänden seien ein Zeichen von Identifikationsproblemen, die mit ausgestellten, wechselnden Vorbildern am ehesten gelöst werden. Man könne die heutige Jugend nicht mehr mit den Maßstäben der früheren Generationen messen. Ich sei auf der Suche nach einem eigenen Stil und könne ihn nur durch hartnäckiges Ausprobieren