Gerald Roman Radler

DIE LSD-KRIEGE


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aus.

      »Hast du es gesehen?«, fragte Tommy und Crisly legte mir die Hand auf die Schulter und meinte: »Jetzt kennst du es auch!«

      Ich nickte stolz, die magische Wand mit eigenen Augen gesehen zu haben. Ich verstand jedoch nicht, wieso gerade dieser Raum so eine Wirkung auf uns alle hatte, nicht aber andere Zimmer, oder andere Wände dieser Wohnung. Ich begann aufgeregt zu rätseln, ob das wirklich an der Droge lag, oder wir nur sensibler gegenüber gewissen Sensationen waren, die man nur allzu gerne vernachlässigt. Ich beobachtete genau die absonderlichen Tapetenmuster in allen Zimmern der großen Wohnung. Da nichts weiter geschah, hatte ich das erste Mal den Eindruck, dass wir von der eingenommenen, verbotenen Arznei geöffnet wurden, um hinter die Dinge zu sehen. Auf einmal fühlte ich mich verletzlich, als würde ich schutzlos im Freien stehen. Alle Gegenstände waren durchlässig geworden. Ich setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Der Teppich knirschte, als bewegte ich mich auf Glas. Ich fürchtete, der Boden würde einen Sprung bekommen. Ich sah an mir hinab. Ich schien auf einem Spiegel zu stehen, der mich plagiierte. Ich beugte mich hinab. Wenn ich mich auf die Welt unter meinen Schuhen konzentrierte, nahm ich undeutliche Bewegungen wahr. Ich schluckte und die Musketiere wussten, dass ich ein Fünkchen der Wahrheit begriffen hatte, der wir alle so verzweifelt nachjagten. Nur aus diesem Grund wagten wir das Experiment, Lysergsäurediäthylamid zu nehmen, ohne je zu wissen, was uns erwartete. Denn niemand konnte auf exakte Studien zurückgreifen, die bestätigten, dass LSD keine Langzeitschäden verursachte. Es war ungewiss, ob das Gift tatsächlich irreparable Mängel, wie fehlerhafte Interpretationen der optischen und akustischen Reize hervorrief. Vielleicht erzeugte es in Wahrheit Irrtümer gedanklichen Ursprungs in der Wahrnehmung, die das Puzzle der Paranoia fertigten.

      Mike holte einige Alben von King Crimson und Pink Floyd aus seiner eigenen angrenzenden Wohnung, denn wir wollten die einzigartige Qualität der teuren Stereoanlage seiner Eltern genießen. Ich setzte die Kopfhörer auf war fast augenblicklich entspannt. Ich atmete tief und driftete vollkommen weg. Rasch löste ich mich in Einzelbestandteile auf. Ich erlebte mich als eine Summe zahlloser dreieckiger Splitter, für die ich eine starke Zuneigung empfand. Die Splitter glitten durch einen leeren blauen Raum und wurden nur durch die einzelnen Töne der Musik befördert. Obwohl ich die Musik deutlich hörte, war der blaue Raum selbst völlig still. Ich konnte die Ruhe gleichzeitig mit der Musik genießen.

      Ich erkannte, dass ich aus diesen glänzenden Scherben bestand. Obwohl ihre Anzahl unüberschaubar war, sorgte ich mich nicht um ihren Verbleib, denn ich hatte über alle Teile gleichzeitig den Überblick. Ich verlor mich in den Klängen von the court of the crimson king. Mit dem Anschwellen der Musik zum Refrain, begannen die Scherben spitzer und länger zu werden. Die Splitter leuchteten in prächtigen Farben und strebten zueinander. Während der folgenden Strophe trieben sie verblassend auseinander, ohne sich je berührt zu haben. Weit unter den versprühenden Klängen und Splittern bemerkte ich zwei dunkle Schatten, die sich in mein Gesichtsfeld drängten. Wie zwei Scherenschnitte aus dem Kinderfernsehen sah ich sie von der Seite. Sie bewegte ihre Arme mit dem erhobenen Zeigefinger in der typischen, kreisförmigen Lockbewegung. Ich reagierte nicht sofort. Als aber am Ende des letzten Refrains die Schattenwesen nach meinen Splittern griffen, öffnete ich die Augen.

      Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Richard gekommen war. Er hatte mir gegenüber Platz genommen und beobachtete mich intensiv. Seine Handflächen bedeckten das Gesicht und ließen nur seine Augen frei. Tommy hockte plötzlich knapp vor mir, als wäre er soeben in meinen Gesichtskreis eingefügt worden. Er versuchte, meine Aufmerksamkeit abzuziehen. Mit dem Headset verstand ich zwar nicht, was er sagte, aber ich merkte sofort, dass er sich sorgte, ich würde zu weit wegfliegen und es könnte in der Folge zu Komplikationen kommen. Ich lachte schrill, riss die Kopfhörer von den Ohren und sagte ihm, ich hätte kein Problem mit dem Wechseln der Zustände. Er nickte bedächtig wie ein Greis. Wahrscheinlich hatte er damit gerechnet, ich würde einen Schock davon tragen, wenn er mich aus meiner Trance weckte und zurück in die scheinbare Realität holte. Ich aber war so weit weg – mich konnte weder diese, noch eine andere mögliche Wirklichkeit, die ich hinter geschlossenen Augen erfuhr, abschrecken! Nein, ich kehrte gerne zu meinen Freunden zurück!

      Tommy zog sich zurück, Richard saß unbeweglich, wie in Stein gemeißelt und sah mich weiterhin eindringlich an. Das Zimmer schien in einem hellen Licht zu strahlen. Ich fühlte mich angenehm müde und durch meinen Körper rieselte eine wohlige Energie.

      Wieder schloss ich die Augen. Sofort war ich verschwunden. Ich hatte das Zimmer vergessen, als ich mich prompt im blauen Raum wiederfand. Die Zeit hinter meinen Augenlidern hatte nichts mehr mit den Zeigern einer Uhr zu tun. Ich konnte mich an Richards Aussehen erinnern, aber der Eindruck, den er bei mir hinterlassen hatte, lag Ewigkeiten zurück. Es schien, als flöge ich mit Lichtgeschwindigkeit durchs All. Ich ließ den blauen Raum hinter mir. Diesmal war es mir egal, ob ich die Erde wiedersehen würde, oder für immer durch das Universum reiste. Ich erwog, in einem der eben entdeckten unendlich weiten Räume der Stille zu bleiben.

      Ich schwebte schwerelos in einem tröstlich, gedämpften Licht. Der empfundene tiefe Frieden breitete sich in meinem Körper wie Balsam aus und kroch als glänzendes Quecksilber in die umliegende Dimension, in der ich mich versprühte. Mein Selbst teilte sich auf, bis die schwere metallische Flüssigkeit auch mein Bewusstsein enthielt. Ich dehnte mich immer weiter aus, während ich durch meine Expansion immer fernere Dimensionen erschließen konnte. Gleichzeitig war ich überwach und es fiel mir nicht schwer, einem winzigen Impuls folgend, zurückzukehren. Es genügte, an die alte Welt meiner Freunde zu denken, um in das Zimmer zu gelangen.

      Ich hatte den subjektiven Eindruck, für eine beträchtliche Zeitspanne abwesend gewesen zu sein, die mehrere Menschenleben umfasste. Ich war völlig durcheinander durch das veränderte Zeitgefühl. Im Nachhinein war ich doch sehr, sehr weit weg gewesen und nur der Wunsch zurückzukehren holte mich augenblicklich in die einst vertraute Realität zurück, die nach diesem Erlebnis nie wieder meine Heimat sein konnte. Fortan würde ich ein Fremder bleiben, der einen Urlaub in einem unbekannten Land verbrachte und sich nach seinem Zuhause sehnte. Die Leichtigkeit, mit der ich den Zustand wechseln konnte, war in Wahrheit ein anstrengender Prozess, bei dem mir der Schweiß die Achselhöhlen herunter rann. Ich erinnerte mich in den nächsten Minuten an bizarre Galaxien und grelle, bunte geometrische Formen, durch die ich in Zeitlupe und in der Folge im Zeitraffer geflogen bin und mich entspannt und glücklich gefühlt hatte. Es war klar, dass ein Mensch nach so einem Erlebnis nicht mehr auf die gute alte Erde zurück wollte, aber wie ich hörte, fürchtete Tommy, nachdem ich wieder die Augen geschlossen hatte, ich würde eher schreckliche Dinge erfahren und einfach zu schreien beginnen. Ich berichtete ihm sofort von meiner eben absolvierten Reise in aller Stille hinter den geschlossenen Augen. Mit einem Abenteuer im Weltraum hatte er gar nicht gerechnet, sagte er erstaunt.

      Langsam aber sicher kreiselten wir von der hohen Energie der Droge in die tatsächliche Sphäre der Wohnung, bis wir uns wieder dort einfanden, wo wir aufgebrochen waren. Wir fühlten uns wie Blätter im Herbst, die langsam zu Boden segelten. Manchmal trieb ein schwacher Windstoß meine Seele noch bis zur Zimmerdecke, aber auch ich konnte der Gravidität nicht widerstehen. Die Wirkung wurde einfach schwächer und mit Trauer und Unbehagen, begriff ich, dass meine neuen Acid-Brüder um Mitternacht vom Westbahnhof in den Urlaub fahren und mich hier allein zurück lassen würden. Noch war ich vom Reisefieber angesteckt, so als bereitete ich mich selbst auf einen Europatrip vor. Crislys Vater kam überraschend und brachte als Geschenk für jeden eine starke Taschenlampe mit. Er war wie vor den Kopf geschlagen, als er erfuhr, ich dürfte nicht mitfahren. Er versprach, sofort meine Eltern anzurufen und erklärte sich bereit, wenn die Eltern schon nicht erlauben würden, dass er mir das Ticket zahlte und eine gewisse Summe als Taschengeld geben konnte, so würde er mir den Betrag borgen und es wäre selbstverständlich, dass er ihn nicht zurückfordern würde. Richard lachte hämisch. Er kannte meine Eltern bereits. Mir war eher zum Weinen zumute. So einen Vater hatte ich mir immer gewünscht. Ich hielt mich tapfer und beriet Tommy und Mike bei der Auswahl der letzten wichtigen Gegenstände. Richard zeigte mir seinen komplett gepackten Tramperbag und begann leise mit Mike über den Hergang des LSD-Trips zu konferieren. Dabei ignorierte er meine Anwesenheit, als sei ich im Drogenrausch und unansprechbar. Über diese Vorstellung musste ich schallend lachen und dann läutete es und Jimi stand in der Tür. Sein erster Blick war auf