Gerald Roman Radler

DIE LSD-KRIEGE


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wurden von diesem Zeitpunkt an die besten Freunde. Wir kannten keine zeitlichen und räumlichen Beschränkungen. Alle Menschen, die ich kannte, wollten irgendwann schlafen gehen, oder hatten sonstige einschränkende Verpflichtungen zu erfüllen. Ich fürchtete jedes Mal, wenn wir uns zu einer Rauchsession trafen, das Ende des Meetings. Dann hieß es nach Hause gehen, vernünftig sein, denn Morgen war auch noch ein Tag. Für mich war Morgen kein Tag mehr. Ich liebte das Jetzt. Obwohl ich eigentlich nur bis zehn Uhr Ausgehzeit hatte, hielt ich mich nie an die erzwungene Übereinkunft. Ich wollte die Heimkehr hinauszögern.

      An einem dieser Tage begleitete ich Richard bis vor die Haustüre. Er wohnte im selben Bezirk mit den Eltern im Studentenheim, nur einige Gassen weiter. Wir standen im separierten Eingang neben dem kippbaren Garagentor und unterhielten uns angeregt. Als kein Ende der Gespräche in Sicht war, beschloss er, mich noch bis zu mir nach Hause zu begleiteten. Bald darauf standen wir in der Stolzenthalergasse vor meinem Haustor mit dem Schmiedeeisengitter und sprachen weiter. Noch immer waren wir munter. So bot ich an, ihn wieder nach Hause in die Pfeilgasse zu begleiten. Wir schlenderten die menschenleere Gasse hinan. Auf der Josefstädterstrasse landeten wir vor der Auslage der Buchhandlung König. Wir nahmen auf der Stufe zum Geschäftseingang Platz. Wir diskutierten immer noch, als es drei Uhr morgens war.

      Wir wollten uns niemals wieder schlafen legen. Ich hatte einen Partner gefunden, der genauso wie ich, ein ruhelos Suchender war und nicht einfach den Tag beendete, weil man ihn eben aus Sachzwängen beschließen musste. Somit bahnte sich eine tägliche Routine an, die damit begann, dass wir uns zufällig am Vormittag trafen. Regelmäßig verließ ich einer Eingebung folgend die Wohnung und ging ziellos im Bezirk herum, bis er plötzlich auftauchte. Meist schritt er geschäftsmäßig aus, als käme er zu einem vereinbarten Termin zu spät. Wir grüßten und von der Weite mit einem indischen Handzeichen. Arrangierten wir aber ein zeitlich abgemachtes Rendezvous, kam er immer zu spät. Allmählich ergab sich aber doch ein unvereinbarter, aber fixer Treffpunkt.

      Pünktlich um zehn Uhr saß Richard im Albert, manchmal schon früher. Er las Zeitung, plauderte angeregt mit der Serviererin und trank Kaffee und rauchte Chesterfield. Je nach Budget lud er mich täglich zu einer warmen Mich um sechs Schilling, einen Tee Natur um acht Schilling, oder einen kleinen Braunen um zehn Schilling ein. Ich hatte nie Geld mit. Es war so schrecklich, dass er die Schillinge eigens abzählen musste. Ich legte meine kärgliche Barschaft hinzu. Was ich so in den Manteltaschen meiner Mutter an Kleinigkeiten fand, die zu nachlässig war, ihr Restgeld zurück in ihre Börse zu stecken, wanderte in meinen Besitz über und bildete einen Grundstock für meine Kaffeehausbesuche. Anscheinend ging es ihm nicht viel besser, aber eben um diesen notwendigen Betrag war er dennoch reicher. Richtig peinlich war es uns vor dem Personal in den Lokalen nicht. Obzwar oft eine winzige Summe fehlte, taten wir erstaunt und sagten, dass der Betrag gerade noch gestimmt hatte. Besonders die bedauernswerte Serviererin des Alberts – sie musste nebenbei noch das Portal waschen und das Klo putzen – sagte öfters: »Ist schon gut, Richard, gib mir’ s morgen!“

      »In Ordnung, ich zahle morgen«, antwortete er heiter.

      Das gleiche Spiel trieb er mit Eva vom Buwo. Aber morgen war doch so ein Tag wie heute und die finanzielle Lage konnte sich nicht verändert haben. Dann gab es auch noch die Festtage, wo Richard zum Zahlen einen Hunderter aus der Hosentasche zog und ich wusste wir würden noch viel unternehmen – viel warme Milch und kleine Braune trinken. Manchmal hatte er sogar mehrere Hunderter einstecken und er zahlte in allen Lokalen unsere lächerlich geringen Schulden. Zur Feier des Tags aß er dann ein belegtes Brot und ich konsumierte mehr Kaffee, als gesund war. Von nun an führte ich ständig einen Teil meiner Schriften mit mir und las sie vor, oder übergab sie Richard zum Vortragen. Ständig schuf ich neue Manuskripte auf meiner mechanischen Schreibmaschine. Meine Mutter hatte mir die flache Schreibmaschine in den Farben Weiß und Orange zum Festhalten meiner literarischen Ergüsse geschenkt – so nannte sie scherzhaft meine Aufzeichnungen. Ich freute mich, von ihrer Seite eine unerwartete Unterstützung zu erhalten. Dieses Gerät wurde mein verlängerter Arm und dokumentierte lückenlos meine täglichen Erlebnisse. Jeder Tag fühlte sich plötzlich wie eine endlose, jungfräuliche Welt an, über die ich in lyrischer Form oder fragmentarischer Prosa Zeugnis ablegte. Die Füllfeder und der Kugelschreiber lagen nur mehr auf einem Schreibblock unter meinem Bett. Wenn ich nicht einschlafen konnte, oder in der Nacht aufwachte, hielt ich meine Ideen in Kurzform fest. Die Spannungen in meiner rechten Hand, die mich, ausgelöst durch meine stundenlangen Niederschriften plagten, ließen bald nach. Die Schreibmaschine war im Gebrauch wesentlich leiser, als die alte schwarze Underwood meiner Mutter. Vielleicht konnte sie das nächtliche Geklapper nicht mehr ertragen und beschenkte mich aus diesem Grund so großzügig.

      Es war trotz der beginnenden Turbulenzen eine Zeit der Sicherheit für mich. Ich löste mich endlich von den unpassenden, lediglich zugeteilten Freunden. Ich hatte Menschen gefunden, bei denen ich einen Platz zu haben schien. Ich lernte das Gefühl kennen, tägliche Übungen zu praktizieren. Ich wollte diszipliniert Leben, um mein Asthma zu verlieren und endlich ein vollständiger Mensch zu werden. Auf meinem Nachtkästchen sollten sich nicht Medikamentenschachteln stapeln. Ich hatte Angst in die Fußstapfen meines kränkelnden Vaters zu treten, der umgeben war von Augentropfen, Nasensprays und Antibiotika. Antihistaminikum und Spasmen lösende Dragees standen ihm bei, um ruhig schlafen zu können. Es war mir schon ziemlich gleichgültig, was die Eltern von mir forderten und dennoch versuchte ich, sie noch in mein Leben einzubeziehen.

      Ich saß stundenlang mit Richard im Kaffeehaus – bei Schönwetter zumeist im Hamerlingpark – und wir lasen entweder aus meinen Werken, oder aus denen von Carlos Castaneda. Die ersten drei Bände existierten bereits. Mindestens ein Exemplar war fixer Bestandteil meiner täglichen Ausrüstung. Wir schlugen einfach eine Seite auf und die Stelle, auf die wir blind zeigten, musste die Passende sein. Wir betrachteten diese Textstellen wie ein Tageshoroskop und verstanden die kryptische Message sofort. Der gewählte Absatz, den wir mit feierlicher Stimme zelebrierten, war ein Spiegel unserer Tagesverfassung und beinhaltete einen Fingerzeig, an dem wir uns orientierten.

      Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ich nicht wirklich am Pulsschlag des Lebens meiner Freunde teilhatte. Eine ständig wechselnde energetische Dynamik des Einzelnen verband die Mitglieder miteinander. Diese Energien spürte ich wie Stromschläge im Gehirn und sie mussten einen Ursprung haben. Ich kam aber nicht hinter das Geheimnis ihrer wortlosen und doch spürbaren Übereinkunft. Richard hatte, wie ich bereits vermutete, einen bedeutenden Einfluss auf den harten Kern der Gruppe. Was er dachte und aussprach, nahmen die Gefährten ernst. Einige Monate ersprießlicher Zusammenkünfte, veranlassten ihn, mir zu vertrauen. Ich war ein verankerter Bestand seines Lebens geworden. Ich merkte, wie mich meine Begleiter näher rücken ließen. Richard war auf meiner Seite. Bei einem Treffen warf er wie beiläufig ein, ich sei ein Suchender. Er sagte, mir sei die Erkenntnis wichtiger, als alles Andere im Leben. Daraufhin umarmte mich Crisly und Mike hob anerkennend eine Augenbraue. Jimi schüttelte mir die Hand, als wollte er mir gratulieren. Etwas hatte sich in diesem Moment an unserer Beziehung verändert. Sie alle waren erleichtert, als wären sie über ein bestimmtes, mich betreffendes Thema, uneins gewesen und hätten jetzt durch Richards Worte Gewissheit erhalten.

      So kam es, dass ich eines Tages eingeweiht wurde.

      DIE ERSTE REISE

      Ich hatte das Jahr negativ abgeschlossen und wurde nicht mehr für das Repetieren der Klasse zugelassen. Ein Termin beim Direktor machte mir klar, dass ich auch beim nächsten Versuch aufzusteigen, scheitern würde. Er legte mir dringend nahe, in die Amerlingschule zu wechseln, nachdem das elitäre Billrothgymnasium eine Aufnahme von Hippies verweigerte. Diese gemischte Anstalt würde solche Individuen wie mich tolerieren, nicht aber seine eigene Institution. Während des ganzen Gespräches saß die rechte Hand des Hofrats, ein gelbgesichtiger Professor mit säuerlicher Miene auf einem Sessel hinter mir und aß geräuschvoll eine Banane. Die ersten Minuten versuchte ich mich zu beherrschen, doch die knatschenden und quatschenden Geräusche, die sich seinem verformten Mund entrangen, blieben gleichförmig unverständlich. Ich lachte ihn schallend aus, weil ich sein Verhalten nicht verstand und mir auf der Zunge lag, ihn als Oberaffe zu titulieren. Schließlich konnte es mir egal sein, was sie dachten. Er fragte nur, was so lustig am Verzehr