Gerald Roman Radler

DIE LSD-KRIEGE


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zu sitzen. Mir stünden derlei Sachen nicht an, bekam ich zu hören.

      Es war sinnlos. Ich stellte dem Direktor noch einmal eine Frage nach der Betragensnote und ob er den Eindruck hatte, dass ich mich ungebührlich verhalten habe. Der Affe lachte verhalten und meinte, ich solle mich in den Spiegel schauen. Ich stand auf und ermunterte auch ihn, einen Blick in den Spiegel zu werfen, um die Entwicklungsstufe, auf der er sich derzeit befand unter die Lupe zu nehmen. Das genügte, die Unterredung war beendet und mein Vater, der gehofft hatte, ich würde zu Kreuze kriechen und vielleicht doch an derselben Schule maturieren, die ihm selbst schon die mittlere Reife beschert hat, sprach tagelang verbittert kein Wort mit mir. Es störte mich nicht – ich hatte andere Pläne – und ein Geheimtreffen unter vier Augen mit Tommy.

      Er eröffnete mir, einige der Personen, die ich kenne, würden von Zeit zu Zeit LSD nehmen. Das Wetter sei angenehm, Mikes Eltern seien verreist und so wäre der Garten, samt Haus zu einer effizienten Benutzung frei. Er schlug meine Teilnahme an der Reise vor. Es würden nur erfahrene Mitglieder anwesend sein. Mike, Crisly und er. Etwas enttäuscht war ich schon, dass ich Richards Namen nicht hörte. Der Stolz an dieser Sitzung teilnehmen zu dürfen, überwog dennoch. Er sagte, die Lysergsäure sei aus verlässlicher Quelle und somit absolut sauber. Er werde die Mikros so nannte er die Form, in der das LSD gespeichert war – vordosieren und gerecht aufteilen. Wir würden sie einnehmen und uns in Mikes Garten mit einem Taxi begeben, so viel Zeit bliebe uns allemal, bis die Wirkung einsetzte. Ich solle den ganzen Tag und den Abend freihalten und keine Termine, die Stress verursachen konnten, ausmachen. Er gab mir einige Erläuterungen zu der Einnahme von LSD-25, nicht ohne mich darauf aufmerksam zu machen, dass niemand wirklich vorhersehen konnte, wie die Droge beim Einzelnen wirke. Ich spürte seine Unsicherheit über die unausgesprochenen Fragen nach meiner Konstitution. Immerhin war ich zwei Jahre jünger, als die anderen und er war nicht sicher, ob er sich mit seinem Okay zu meiner Teilnahme richtig verhielt. Ich zerstreute seine Zweifel mit schönen Worten. Er riet mir, mich mit nichts Besonderen zu beschäftigen. Bis zum Morgen in einer Woche sollte ich mir eventuell die Spielsachen meiner Kindheit ansehen und einfach guter Dinge sein. Viel Einfluss auf den Verlauf der Reise hätten die Elemente und Thematiken, mit denen man sich vorher auseinander setzte. Eine Steigerung der Empfindung wäre die Folge, die bestehende Probleme und Sorgen verschlimmern, ja sogar ins Unermessliche steigern könnten.

      Wir hatten ein langes Gespräch, an dessen Ende ich den Eindruck nicht loswurde, meine allerletzten Tage zu bestreiten, bevor mein Leben vollständig anders wurde. Einerseits freute ich mich schrecklich, eine neue Chance zu bekommen, andererseits drückte mich eine andere Sache, von der ich gehört hatte, schwer nieder. Die Runde hatte beschlossen, einen Europatrip zu starten. Mike hatte bereits Interrail-Tickets geordert. Nachdem ich endlich Menschen gefunden hatte, die mir wie ein Geschenk des Himmels vorkamen, würde mir eine plötzliche Trennung sehr schwer fallen. Ich hatte sie alle in mein Herz geschlossen und wollte sie nicht einmal für einen Monat freigeben. Tommy fragte, ob er für mich auch eine Karte kaufen sollte, wenn er beim Kartenbüro der Ökista vorbeischaute. Ich sagte ihm lässig, dass ich meine Eltern interviewen würde, ob sie für mich einen kleinen Urlaub springen ließen. Doch ich kannte die Antwort schon. Meine Mutter war dermaßen entrüstet, dass sie einen hysterischen Anfall bekam und mir mit schlimmen Sanktionen drohte. Sie wollte mich von meinem Eurotrip mit der Interpol holen lassen.

      Mike hätte mir sogar das Geld geborgt, aber wie sollte ich es ihm je zurückzahlen ohne Taschengeld. Ich war noch minderjährig und musste tun, was die Eltern sagten. Obwohl ich für einen Monat in einer Druckerei einen Ferienjob anzunehmen gedachte, drohten sie mir, mich als vermisst zu melden. Sie sahen in meinen neuen Freunden eine massive Bedrohung und eine extrem verderbliche Sippe.

      Aber bis zu jenem bewussten Tag unseres Seelenexperimentes und der Reise ins Unbewusste, glaubte ich noch daran, mit ihnen aufbrechen zu können. Richard war mit von der Partie und setzte sich vergeblich dafür ein, dass ich mich ihrer Reisegesellschaft anschließen konnte. Er kam mit in unsere Wohnung und sprach mit den Eltern, was sie mehr beunruhigte, als überzeugte. Er schilderte die Route und erklärte, dass nichts dem Zufall überlassen wurde. Man würde mit der Bahn die ausgewählten Punkte ansteuern, sich überall einige Tage aufhalten, die Sehenswürdigkeiten fotografieren und nach dem Ablauf eines Monats wieder heimkehren.

      »Aber nicht einmal denken!« wiederholte mein Vater ständig und meine Mutter sagte, sie würde uns die Polizei an den Hals hetzen.

      Zum ersten Mal tauchte das vage Gefühl auf, ich könnte durch meine Eltern eine Bedrohung für die Aktivitäten der Gruppe darstellen und es sollte sich noch herausstellen, wie richtig diese Intuition war.

      Die letzten Tage bis zum großen Ereignis verbrachte ich fast asketisch. Ich übte fleißig meine Stellungen, meditierte, las Carlos Castaneda und Timothy Leary und aß nur gesunde Speisen – die der Haushalt eben zu Verfügung stellte. Grießkoch mit Walnüssen und Obst. Ich holte meine Spielsachen aus der Sperrholzkiste und gab mich der Erinnerung hin. Ich mied zersetzende Konfrontationen mit meinem Vater und traf mich mit den Leuten zu fruchtbaren Diskussionen. Über allem hing aber der Schleier der Ungewissheit, was der Tag X bringen würde. Nicht alle Beteiligten waren so sicher, dass unser geplanter Trip klappen würde. Ich könnte auch durchdrehen und den Verstand verlieren und wer war dann schuld? War das die richtige Entscheidung? Die Augen meiner Freunde sprachen Bände...

      Dann kam der Abend und ich unterhielt mich mit dem Bruder und wir hatten einigermaßen entspannte Stunden, die Aufregung aber nahm ich in den Schlaf mit. Zuerst lag ich wach und wälzte mich im Bett herum, als müsste ich für immer von meiner Familie Abschied nehmen. Ich bezweifelte aber nicht die Richtigkeit meiner Entscheidung. Tommy hatte ja grünes Licht gegeben, was mich sehr beruhigte. Ich wusste, dass er und die anderen keine leichtfertigen Probanden waren. Endlich sank ich in einen leichten Schlaf. Im Traum ging ich durch Wiens Gassen, ohne Ziel und ohne einer Menschenseele zu begegnen, bis ich zu einem grünen Hügel kam. Auf der Anhöhe stand eine Kirche. Ich öffnete das Tor und stand vor einem Stall. Die einzelnen Krippen waren abgeteilt und mit Stroh ausgelegt. In einem Abteil liebte ich ein fremdes, aufregendes Mädchen. Danach erwachte ich innerlich froh, denn ich hatte mich in einer nächtlichen Pollution in mein Leintuch erleichtert. Ich trank meinen Kaffee, absolvierte ein leichtes Übungsprogramm und wusch noch Geschirr ab. Dann erzählte ich, wir würden einen Ausflug machen und ich käme wie ausgemacht um zehn Uhr abends. Ich wollte nicht im Streit gehen und keinen Krieg auslösen. Die Eltern freuten sich über das abgetrocknete Geschirr und die leere Spüle. Ich nahm den Mistsack für den Hof in die Hand und machte mich auf ins Café Hummel.

      Erwartungsvoll betrat ich das Lokal. Es war halb elf Uhr und meine Freunde besetzten einen Fensterplatz. Sie hatten gerade ein Wiener Frühstück mit einer Kanne Kaffee, Semmeln, Butter und Marmelade bestellt. Zum Essen brachte Tommy eine Miniaturschatztruhe zum Vorschein. Er hatte zwei Schwarze Mikros halbiert und noch einmal dieselbe Ration für Eventualitäten zurückgehalten. Ich fragte ihn, warum er das LSD teilte, wenn uns vier Probanden ohnedies ausreichend Mikros zur Verfügung standen. Er versicherte mir, dass die Wirkung dieser Trips wesentlich stärker ausfallen würde, als man mir vielleicht über Mikros erzählt hatte. Jene Person, von der er LSD beziehe, würde die Droge zuvor austesten, um eine zuverlässige Angabe über die Dosierung machen zu können. Ich könne mich darauf verlassen, dass diese Schwarzen Mikros rein und stark wären und es nicht notwendig sei, eine höhere Dosierung für den ersten Trip einzunehmen. Wir alle würden vollauf genug haben, sagte er lächelnd. Dann nannte er die Höhe der Dosis in Mikrogramm.

      Ich sagte »aha, verstehe!«

      Doch ich konnte nichts mit dem Gesagten anfangen. Die anderen schienen es besser zu wissen. Sie grinsten mich schelmisch an und Crisly klopfte mir auf den Rücken. Kurz hielten wir die winzigen Krümel in der hohlen Hand, dann leckten wir sie ab.

      Wir bissen auf den winzigen Eckchen herum und ich hatte einen sauren Geschmack im Mund. Ich fürchtete, dass sich die Substanz irgendwie im Mund verlieren – oder ich sie versehentlich ausspucken würde.

      Crisly zahlte die Zeche und wir traten in die blendende Vormittagssonne. Mir war aber keinesfalls heiß, sondern eher kühl und ich fröstelte innerlich. Sollte die Droge schon zu wirken beginnen? Wir stiegen in ein Taxi, denn vor dem Lokal befand