Gerald Roman Radler

DIE LSD-KRIEGE


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durch Lachen und lachähnliche Töne, deren Rhythmus und Nuance den Inhalt der nonverbalen Kommunikation bestimmten.

      Die Gruppe von Suchenden, auf die ich gestoßen war, agierte einigermaßen verantwortungsbewusst. Ihre Mitglieder gaben sich Mühe, mir einen guten Einstieg zu verschaffen. Es wurde nicht wahllos nach Drogen gegriffen, sondern selektiert, was für ihren weiteren Weg von Nutzen war. Mir wurde rasch klar, dass es der harte Kern ernst meinte und nur an den Rauschmitteln, die eine Veränderung des Bewusstseins brachte, Interesse zeigte. Der Alkohol spielte eine vollkommen untergeordnete Rolle. Ich selbst konnte dem Trinken nichts abgewinnen. Die anderen tranken zur Geselligkeit gelegentlich Bier oder Wein. Tabletten lehnten sie alle ab, obwohl es am Rand unserer kleinen Gemeinde Personen gab, die Captagon und Valium, oder Antapetan und Romilar nahmen.

      Ich lieferte schließlich ein neues Element, das unsere Treffen bereichern sollte. Ich brachte sie vorsichtig mit den indischen Lehren, die mein ganzes Wesen gefangen nahmen, in Kontakt.

      Ich zeigte meinen Freunden Yogaübungen und erklärte ihnen, was sie bewirken konnten. Meine genauen Ausführungen trafen auf offene Ohren. Bald hatten sie das Bedürfnis, genauere Kenntnisse über die »verborgene Methode« zu erhalten. Ich gab ihnen den Rat, sogleich mit einigen Übungen zu beginnen. Auf diese Weise würden sie sich Einblicke in die verborgene Methode aneignen.

      Ich verlor meine Minderwertigkeitsgefühle, als ich eine Aufgabe in einer Gesellschaft von Menschen zugeteilt bekam, die sich ernstlich mit ASW beschäftigten und mir einen Zugang zu den Drogen verschafften, die mich in Gedanken Jahre zuvor gefesselt hatten. Ich ließ mich voll auf meine neuen Freunde ein. Es gab nicht jeden Tag etwas zu rauchen – aber wir trafen uns doch sehr oft. Ich hatte immer Zeit, wenn Tommy anrief. Wir besprachen meine Texte und ich musste erkennen, dass Tommy ein begnadeter Gitarrist war. Während wir herumsaßen und sprachen, spielte er Variationen einzelner Nummern von Frank Zappa als Antwort auf die, an ihn gerichteten Fragen. Darin bestand oft seine Beteiligung an Gesprächen. Eines Tages stellte er mir dann das letzte Mitglied der psychedelischen Entente vor.

      Richard wurde mein bester und mein schlechtester Freund. Er teilte meine schrecklichsten Stunden mit mir und bescherte mir aber auch die finstersten Tage meines Lebens. An einem Nachmittag traf ich mich mit Tommy im Hirschhofer, einem Gasthaus nächst dem Gymnasium, in dem viele Schüler günstig zu speisen pflegten. Um achtzehn Schilling gab es dort Cevapcici, mit Pommes frites und Unmengen an Senf und Ketschup. Wer nicht gleich zahlen konnte, wurde trotzdem bedient. Überhaupt kümmerte sich die Hirschhoferin rührend um die Burschen. Sie war oft wie eine ältere Schwester, die sich an den Tisch setzte und mit tröstenden Worten weiterhalf, wenn sie den Eindruck hatte, dass Not am Mann war. Ich bekam kein Taschengeld von den Eltern, weil sie meinten, ich hätte alles, was ich brauchte. Erst vor einigen Tagen wollte ich mich mit Tommy in diesem Lokal treffen und wartete bange auf die mollige Wirtin mit den aufgetürmten blonden Haaren. Als sie kam, um meine Bestellung aufzunehmen, verlangte ich zögerlich nach einem Glas Wasser. Sie fragte besorgt, ob ich nicht noch etwas anderes bestellen wolle. Ich gab ihr zur Antwort, dass ich auf einen Freund wartete. Daraufhin stellte sie mir wortlos einen Tee mit Zitrone hin, als hätte ich tatsächlich bestellt und bezahlt, denn sie zerknüllte die am Tablett liegende Rechnung. Sie meinte freundlich, in einem Gasthaus sei es üblich, dass am Tisch ein Getränk stehe. Sie war eine attraktive, charaktervolle Frau um die vierzig, die gewiss nicht nur bei mir einen dauerhaften Eindruck hinterließ.

      DER FREUND

      Als ich an diesem Nachmittag das Lokal betrat, schlug mir der typische Wirtshausgeruch nach Rauch und Essen entgegen. Wie in allen alten Wiener Raststätten war je ein massiver Tisch von zwei Langbänken umsäumt. Auf einer dieser Garnituren saß Tommy mit einem Burschen, der nervös mit einem Bein wippte und hastig an einer Zigarette sog. Die beiden spielten Schach und Tommy begrüßte mich kurz, während der Andere gar nicht aufsah und den Rauch arrogant in meine Richtung ausblies. Ich nahm auf dem Sessel an der kurzen Seite des Tisches Platz und die Hirschhoferin stellte mir abermals unaufgefordert einen Tee mit einer Zitronenspalte und einem Zuckerstreuer hin. Sie grüßte mich freundlich, während sie mir schweigend beide Hände von hinten auf die Schultern legte und dann in meine Haare griff, als wolle sie mir einen Zopf flechten. Ich war aufgeregt und versuchte ruhig zu atmen. Jetzt sah der Bursche mit fragen Augen und hochgezogenen Augenbrauen zu mir. Er lachte meckernd, als wisse er über etwas, was sich meiner Kenntnis entzog, bestens Bescheid. Tommy stellte mir Richard vor, als wäre er der geheime Zampano, indem er mit der Hand auf ihn wies und den Blick senkte. Richard zeigt keinerlei Reaktion. Seine Augen blieben ernst am Schachbrett verankert. Nur kurz später sagte er mit näselnder Stimme Schäch und es klang so höhnisch, dass ich erschauerte.

      Tommy – ich wusste nicht, dass er der beste Spieler der Schule war – starrte ihn mit fassungslosen, wässrigen Augen an. Von da an dauerte es wenige Minuten, bis ich Richards tadelndes Schach und Matt hörte. In seinen brandmarkend ausgesprochenen Silben schwang die endgültige Vernichtung mit. Ich hatte geduldig das Ende des Spieles erwartet und jetzt brachen wir in Richtung Brunnenmarkt auf. Richard verabschiedete sich ganz spontan an der nächsten Straßenecke, obwohl ich den Eindruck hatte, wir würden gemeinsam etwas unternehmen. Es schien, als wäre er zu Höherem auserkoren. Er blickte mich noch herablassend von der Seite an, dann war er verschwunden. Die Banalität, uns zu begleiten, musste für ihn reine Zeitverschwendung sein.

      Wir fuhren mit dem Lift in Mikes Mansarde und sein Bruder Charly, der in meinem Alter war, aber in eine Parallelklasse ging, öffnete die Türe. Er war ein wenig erstaunt, mich zu sehen. Wir kannten uns zwar vom Sehen, hatten aber noch nie miteinander gesprochen. Er war Winis bester Freund und ein sonderbarer Zeitgenosse, was seine Umgangsformen betraf. Seine Genialität die Mathematik betreffend, war sagenumwoben. Dieser kleine, bleiche Junge konnte die schwierigsten Aufgaben, ohne Anstrengung, im Kopf rechnen.

      Er rief mit krähender Stimme: »Grün! Grün!«

      Dann klatschte er geräuschvoll mit der flachen Hand auf seine Stirne. Im nächsten Moment riss er eines seiner pechschwarzen Haare aus und reichte es mir mit einem abweisenden Gesichtsausdruck. Ich verneigte mich theatralisch und steckte das Haar in meine Hosentasche. Ich hatte gehört, dass er sich, wenn er besonders schwierige mathematische Probleme zu lösen hatte, Haare rupfte. Nun würde ich Zeuge dieser künstlerischen Verrichtung. Tatsächlich befand sich – als er sich umdrehte, um den Weg freizugeben – eine kahle Stelle an seinem Hinterkopf. Er war zierlich, und sein Teint war genauso blass wie seine Lippen und die übrige Haut.

      In Mikes abgeschrägtem Zimmer brannte bereits eine Kerze und eine Platte lief ziemlich laut, als auch Crisly und Marc kamen. Wir rauchten in viel zu rascher Folge einen Joint und ein Chillum. Gleich darauf sollte ich noch ein Chillum fertigen, während ich bereits eine leichte Schwäche spürte und einen grünen Kranz sah, der mein Gesichtsfeld einzuengen drohte, wenn ich nicht dauernd blinzelte. Ich wollte meine Chance, einen Beitrag zu leisten, nutzen und getraute mich nicht zu sagen, dass ich momentan nichts rauchen wollte. Dann hatte ich auch noch als Baumeister die Ehre das Gerät anzurauchen. Ich wurde aufgefordert stärker anzuziehen, da sonst die die Mischung nicht anbrennen würde. Das Chillum wurde aufgeraucht und ich lehnte mich zurück, bis ich plötzlich eine unangenehme Übelkeit im Magen verspürte. Der Schweiß lief mir in Strömen den Rücken hinab und ich musste kreidebleich geworden sein, aber ich sagte nichts. Dann stand ich auf und ging zum Fenster. Durch die jähe Bewegung kämpfte ich gegen einen heftigen Brechreiz. Ich sah auf die Gasse. Wir befanden uns im fünften Stock, unter uns das bunte Treiben des Brunnenmarktes. Ich übergab mich geräuschlos und hörte, wie ein mächtiger Schwall Erbrochenes vermutlich auf den Bürgersteig aufklatschte und zog meinen Kopf schnell zurück. Ich machte mich auf den Weg zum Badezimmer, um den Mund zu spülen. Ich fühlte mich energielos, aber erleichtert. Im schmalen Durchgang stand Charly und musterte mich wie ein Irrsinniger. Er rollte mit den Augen und reckte den Kopf vor. Dann sagte er mit drohender Stimme: »Abenteuer … morgen teuer!«

      Ich nickte verstehend. Als ich wieder zur Türe hereinkam, lehnte Mike fröhlich am Fenster und pfiff. Ich legte meine Ellenbogen neben ihm ans Fensterbrett. Ich erklärte ihm, dass ich mich soeben aus dem Fenster erbrochen hätte und jetzt wusste, wo der Mageninhalt gesammelt wurde. Die unappetitliche