Gerald Roman Radler

DIE LSD-KRIEGE


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ins Gesicht schießen. Tommy wirkte kurzfristig verwirrt und er wandte rasch seinen Kopf nach links und rechts. Seine anfallartige Hektik erschreckte mich momentan zutiefst. Mein Herz klopfte etwas zu stark. Nach einigen Minuten legte sich das Pochen, dafür wurde meine Atmung seltsam tief. Ich wunderte mich sehr betroffen über meine eigene übertriebene Reaktion. Ich seufzte mehrmals, da ich eine nicht näher zu definierende Anstrengung empfand. Ich hatte ein wattiges Gefühl im Schläfenbereich und meine Augen schienen auszutrocknen. Die Säure zog meine Wangeninnenseiten zusammen, Speichel rann über meine Zunge und ich schluckte die metallisch schmeckende Flüssigkeit. Als wir ausstiegen, sahen sich Crisly und Mike an.

      »Na bumm«, sagte Mike einfältig, »heavy«.

      »Hullo«, rief Crisly aus und warf die Arme in die Luft. Ich wusste, sie meinten, die Wirkung setzte unerwartet und rasch ein. Ich war etwas verwirrt von einem nie gekannten Zustand, der sich ohne Vorwarnung einstellte. Mir war, als würde ich benommen einer Hülle gewahr, die bisher mein Leben gefiltert hatte. Ich verstand den Sinn dieser Wahrnehmung nicht, bis zu dem Augenblick, als ich durch die Hülle in die Welt herausbrach. Meine Sinne waren nicht länger im Gefängnis, sondern boten einen faszinierenden Ausblick. Ich war wie ein Baby, das soeben geboren wurde und staunte über die Vielfalt der Eindrücke. Die Watte um mich herum, die mich betäubt hatte, löste sich rasch auf. Ich dehnte und streckte mich. Mike sperrte das Gartentor auf. Er grinste und schüttelte den Kopf, als ich mich dehnte. Dann nickte er wissend und tat es mir gleich. Er stöhnte und es knackte in seinen Knochen. Ich dachte bei mir, Mike sei vom LSD so dünn geworden. Er kicherte, als hätte er meine Gedanken laut gehört. Es hätte mich überhaupt nicht gewundert, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre. Auch ich schnappte eine Woge Gedanken meiner Freunde auf, die sich aus ihren wilden Mienen wie Papierdrachen lösten und mir entgegen flogen. Erst nachdem sich alle seufzend gestreckt hatten, gingen wir auf das hölzerne, rustikale Häuschen zu. Rund um das Häuschen war ein lieblicher, blumenreicher Garten angelegt. Tommy verhielt sich eher ruhig.

      Mein Körpergefühl veränderte sich von Minute zu Minute und mich durchrieselte eine wohlige Energie, die ich vorher nie gekannt hatte. Ich streckte mich und atmete tief. Vor dem Häuschen war eine quadratische Terrasse angelegt, mit einem niedlichen Tisch und vier Sesselchen.

      Schneewittchen und die vier Zwerge.

      Von der Erhöhung konnte man über einige Stufen in die Wiese gelangen. Langsam stieg ich wieder die Stufen hinab. Mitten auf der Treppe veränderte sich mein Zeitgefühl. Ich schien zu schweben und blickte zu meinen Partnern. Sie bewegten sich wie in Zeitlupe und mich zog es zu einem Strauch mit bunten Blüten. Die Umgebung hatte einen Weichzeichen-Filter vor meine Wahrnehmung geschaltet. Ein Schmetterling flatterte um den Busch. Ich ließ mich auf die Knie nieder und betrachteten in aus der Nähe. Er hatte ein freundliches Gesicht und wollte mit mir fangen spielen. Ich erfüllte ihm diesen einfachen Wunsch und verspürte eine nie zuvor erlebte Freude. Wir wälzten uns am Boden herum und er segelte mit akrobatischer Geschicklichkeit zwischen den Zweigen der Bäume hindurch, während ich hinter ihm herlief. Falls ich nicht Schritt halten konnte, flog er langsamer und wartete, bis ich ihn einholte. Dann setzte er sich auf meinen Oberschenkel. Rasch waren wir Freunde geworden und ich hatte meine Umwelt vergessen. Es gab nur mich, den Schmetterling und den Garten Eden. Wenn ich ihm zu nahe kam, flog er auf die nächste Blume. Entdeckte ich ihn nicht gleich, würde ich zutiefst betrübt. Dann breitete er die Flügel aus, damit ich ihn sehen konnte, schon war ich bei ihm. Ich lachte und scherzte mit dem Schmetterling. Ich merkte erst, wie erhitzt und außer Atem ich war, als Tommy auf den Knien neben mir niederging und mich dümmlich angrinste. Er wusste, dass es mir gut ging und seine anfänglichen Sorgen waren verflogen. Er suchte offensichtlich Kontakt, um an meinem Erlebnis teilzuhaben. Ich kroch auf allen Vieren zu einer anderen Ecke des Gartens, die mir schon vor unbestimmter Zeit aufgefallen war. Mitten im Rasen war ein rechteckiger Holzdeckel mit einem eisernen Ring eingelassen, der meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein bekanntes Geheimnis verbarg sich hinter der getarnten Bedeckung. Ich musste mich nur erinnern. Ich zog also an dem Ring, um den Deckel hochzuheben, allein vergeblich, es gelang mir nicht. Ich vermutete, dass der Deckel längst mit dem Erdreich verwachsen war und tiefe Wurzeln hatte, die vielleicht bis zum Mittelpunkt der Erde reichten. Ich fand es wichtig, Tommy zu erklären, dass dies der Deckel zum Erdinneren sei und wir uns genau über dem Mittelpunkt der Erde befänden. Anfangs schien er irritiert, war aber schnell in meine bizarre Fantasie integriert. Wir überlegten, wie wir es schaffen konnten, den Deckel zu heben und ob wir die rechten Recken seien. Wir befanden uns plötzlich in der Geschichte von Avalon. Das Schwert, das im Amboss steckte. Die Lady of the Lake, die das Schwert aus dem See streckte …

      Dann wurden wir abermals abgelenkt durch unbestimmte Geräusche und Bewegungen.

      Crisly spielte »Auto fahren«. Er hielt ein imaginäres Lenkrad in den Händen und kurvte in Schlangenlinien zwischen den Bäumen. Seine Lippen verursachten ein aufröhrendes Brummen und blubberndes Gurgeln. Zuerst kam mir sein Spiel kindisch und albern vor, doch je länger ich ihn beobachtete, desto mehr musste ich lachen und steckte Tommy an, bis wir dasaßen mit Tränen, die von den Wangen über unser Gewand ins Erdreich liefen. Die Tränen waren zu schillernden Fäden geworden, die sich zum Erdreich zogen. Erstaunt und ungeschickt tippte ich mit dem Zeigefinger an die erstarrte Flüssigkeit, die ich ausgeschieden hatte. Ich versuchte aufzustehen, doch Hunderte Spinnweben hatten einen Kokon um mich gebildet und hielten mich am Boden fest. Tommy erging es nicht anders. Ich erschrak vor seinem Anblick. Nicht nur sein Körper, sondern sein ganzes Gesicht war mit bunten Zwirnen eingesponnen. Wir begannen uns hektisch, von dem Gespinst zu befreien. Mike stand vor uns. Wir hatten ihn nicht kommen gehört. Als er uns ansprach, war der Spuk vorbei und wir fuchtelten nur mehr panisch mit den Armen in der Luft. Mike hatte nur ein verächtliches Auflachen für uns über. Er selbst hatte eine dunkelviolette Gesichtsfarbe und riesige Augen, die wie schwarze Spiegel aussahen. Er forderte mich auf, ihm zu folgen.

      Ich stand leichtfüßig auf und hängte mich an seine Fersen. Er führte mich irgendwie umständlich über die Terrasse ins Haus. Wir betraten die stille, muffige Dunkelheit des Wohnbereichs. Ein Geruch nach Holz schlug mir entgegen. Mikes ernstes Gesicht tauchte auf und mir fiel auf, dass er sich mehr mit Mimik als durch Worte verständigte. Dann sagte er, er könne mich am Horror bringen und sah finster und irre drein. Ich aber war noch gestärkt von meinem Erlebnis mit dem Schmetterling und lachte ihn aus.

      »Das glaube ich nicht«, sagte ich. Er lachte höhnisch auf und öffnete die Lade eines Tisches.

      Plötzlich hatte er einen Revolver in der Hand. Da ich die einzelnen Szenen nur im Augenblick verstand, während der vorhergehende Moment sofort verblasste, nahm ich die Situation wahr, wie sie sich im Entstehen darstellte. Er zielte auf mich und ich erinnere mich, wie ich zuerst dachte, wir hätten Rauschgift genommen und unsere Handlungen wären außer Kontrolle geraten. Mich quälte der dringende Verdacht, Mike wäre durchgedreht und würde mich gleich erschießen. In der nächsten Sequenz glaubte ich, Mike würde Spaß machen. Er wollte mich bloß erschrecken, um mir die Unsinnigkeit der Möglichkeit eines Horrortrips vor Augen zu führen, wenn man innerlich solid war und sich wohl fühlte. Sein Gesicht war hochrot und seine Augen schwarz und glänzend wie Insektenaugen. Ich schluckte und blickte in die Mündung seiner Waffe. Die Wirklichkeiten wechselten einander rasend schnell in meinem Kopf ab, ohne zu einer stabilen Realität zu gelangen.

      Was geschah tatsächlich? Da wir nur ein Bewusstsein für das Jetzt hatten, registrierten wir ausschließlich die momentane Stimmung. Es gab keine logischen Zusammenhänge. Ich wurde von einem Wahnsinnigen, der nicht begriff, was er tat, bestialisch ermordet und gleichzeitig erlaubte sich ein Freund einen Spaß mit mir. Beide Wirklichkeiten schrieben ihre eigene Geschichte, jede Realität ging für sich einen anderen Weg, ganz so wie Schrödingers Katze. Von dieser armen, eingeschlossenen Katze wusste niemand, ob sie in dem Karton noch lebte, oder schon tot war. Bis zum Zeitpunkt des Öffnens gab es keine verlässliche Information. Entweder lebte sie, oder war verstorben.

      Plötzlich legte Mike die Waffe in die Lade. Seine Züge waren von der übermenschlichen Kontrolle, zu wissen, in welcher Realität wir uns befanden angespannt und verzerrt. Ich hatte meine Lektion gelernt. Er hatte mir die totale Kontrolle über verschiedene Aspekte des Seins transportiert, ohne in eine spezielle Situation abzugleiten. Ich schwitze stark. Ich hatte