Kirsten Klein

Eine feine Gesellschaft – Marder Misties zweiter Fall


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einen ordentlichen Brocken. „Mach ich doch gern“, beteuert sie und leckt sich über das Schnäuzchen. „Wie du ja weißt, sind Hunde sehr hilfsbereit.“

      Der Kater protestiert. „Aber ich lasse doch meine Freundin nicht für mich schuften! Schließlich bin ich ein Gentleman!“

      Lady will gerade etwas darauf erwidern, da dringt aus dem Mund einer Frau eine besorgniserregende Äußerung an ihre Ohren. „Das Hündchen ist bestimmt irgendwo abgehauen. Wir bringen es ins Tierheim.“

      Ins Tierheim? Das fehlte noch! Bevor jemand auch nur erwägen kann, nach ihr zu greifen, taucht Lady ab unter den nächststehenden Tisch und flitzt zwischen Waden und Handtaschen hindurch. „Warte doch!“, maunzt Captain Nemo ihr hinterher.

      Warten? – Etwa, bis jemand sie am Kragen packt? Lady ärgert sich über die Ungleichberechtigung zwischen Hunden und Katzen, stoppt erst im Schutz eines dicken Blumenkübels. Ist etwa auch nur einer auf die Idee gekommen, Captain Nemo ins Tierheim zu stecken? Von wegen, der darf unbehelligt seine Show abziehen. Und das nur, weil er ein Kater ist! „Lady“, hört sie ihn jetzt maunzen, „Lady!“

      „Nicht so laut“, winselt sie hinter dem Kübel hervor. „Du machst ja alle auf mich aufmerksam.“ Einerseits ist sie noch ziemlich geladen, andererseits aber auch gerührt. Hat Captain Nemo doch tatsächlich seine Lachseinnahmequelle für sie aufgegeben! Außerdem... Wenn sie fair sein will, muss sie zugeben, dass er schließlich nichts kann für das Verhalten der Menschen. „Weißt du“, beginnt er, verbirgt sich jetzt ebenfalls hinter dem Kübel und spickt immer wieder seitlich daran vorbei zu einem etwas abseits stehenden Tisch, woran ein Paar in mittlerem Alter gerade sein Mittagsmahl beendet. „Diese Show war ja bloß ein Intermezzo.“

      „Hä?“ Was soll das denn nun heißen?, fragt sich Lady. Versteh' einer die Katzen.

      „Na ja“, fährt der Kater fort, „eigentlich bin ich diesem Typ da am Tisch nach hierhin gefolgt. Der erscheint mir nämlich verdächtig nervös. Mit dem stimmt irgendwas nicht.“ Neugierig schielt jetzt auch Lady zu besagtem Objekt, einem Herrn mit goldblonder Lockenpracht, um die ihn sicher viele seiner Altersgenossen beneiden. Seinen Nacken umschmeichelt der topmodisch geschnittene Kragen eines in edlem Anthrazit schimmernden Designeranzugs. Die ihm gegenüber sitzende Dame ist nicht minder kostbar gekleidet und versteht ihren erlesenen Tahitiperlenschmuck mit Stolz zu tragen.

      „Noch bevor die MS Viktoria im Hafen vor Anker ging, bekam ich Lust auf einen Landspaziergang und lief denen über den Weg“, erzählt Captain Nemo. „Er tut so, als wäre sie für ihn das Wichtigste auf der Welt.“

      Wie um das zu beweisen, wendet sich der Mann jetzt mit übertrieben besorgter Miene an seine Gattin, die sich nach dem Genuss ihres Seeteufelfilets merklich räuspert. "Steckt dir womöglich eine Gräte im Hals. Ich beschwere mich sofort."

      „Nein, nein“, winkt sie ab, schluckt nachhaltig und legt ihm beruhigend ihre diamantberingte Hand auf den Unterarm. „Sie rutscht schon. Du darfst dich jetzt nicht unbeliebt machen, Julius. Denk an deine Wiederwahl. Man könnte dich erkennen, trotz der Perücke.“

      „Nicht so laut!“, zischt Julius, blickt sich verstohlen um und droht erst dadurch die Aufmerksamkeit anderer Gäste auf sich zu ziehen. Gleich wird seine Stimme zuckersüß. „Möchtest du nicht schon mal vorgehen und dich ein wenig ausruhen, meine Liebe?

      Lady zuckt bei seinen Worten zusammen. „Du traust ihm also auch nicht“, schlussfolgert Captain Nemo. „Er will sie loswerden. Aber deshalb musst du doch nicht so überreagie...“ „Seine Stimme, es ist seine Stimme“, unterbricht ihn die Hündin. „Sie klingt fast genauso wie die von diesem Psychotherapeuten, bei dem meine Sophia gerade ist.“ Plötzlich fällt ihr ein, dass dessen Stimme ihr vorhin auch bekannt vorkam. Doch wie soll das möglich sein? Diesen Herrn hier hat sie noch nie zuvor gesehen oder reden gehört.

      Wirklich nicht? „Vielleicht sollte ich doch allmählich zu Sophia zurück...“ „Lady, du bist ja völlig durcheinander“, bemerkt Captain Nemo. „Erzähl’ mal der Reihe nach. Sophia ist also bei einem...“ „Psychotherapeuten, ja. Seitdem sie beinahe ertrunken wäre, hat sie panische Angst vor jedem Wassertröpfchen. Erst gestern...“ Lady stockt, kann nur mit Schaudern daran denken, wie Sophia ohnmächtig wurde, als der Wassernapf zu Boden fiel. Aber es würde zu weit führen, das dem Kater jetzt alles zu erklären, zumal sich am beobachteten Tisch etwas tut. Die Dame lässt durch einen Kellner ein Taxi rufen. Das erscheint so schnell, als wäre es durch die Luft geflogen. Während sie sich von ihrem Julius verabschiedet, einsteigt und davonfährt, folgen ihr neugierige Blicke.

      Kaum ist der Wagen außer Sichtweite, konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf den Zurückgebliebenen. Manche Gäste tuscheln so laut miteinander, dass die beiden Tiere Satzfetzen verstehen. „Sauberkraut“, fiept Lady erregt. „Hast du das auch gehört, Sauberkraut.“

      Captain Nemo stimmt zu. „Ja, er wurde wohl tatsächlich erkannt, scheint ein hohes Tier zu sein. Aber warum regst du dich so über seinen Namen auf?“

      „Weil Sophias Therapeut genauso heißt.“ „Vielleicht sind es Brüder“, vermutet Captain Nemo. „Da, er geht. Wollen doch mal sehen, wohin. Eins sag ich dir, Lady. So ganz sauber ist der nicht, dieser Herr ‘Sauberkraut’.“

      Während sie dem Verdächtigten die Deichstraße in nordöstlicher Richtung folgen und anschließend hinter ihm über eine Holzbrücke das Nikolaifleet überqueren, berichtet Lady dem Kater von ihrem Zusammenleben mit Mistie. „Weißt du“, seufzt sie, „es gestaltet sich halt doch etwas anders, als ich es mir vorgestellt habe.“

      „Das ist meistens so“, meint der Kater weise, ohne Julius Sauberkraut aus den Augen zu lassen. Das fällt ihm leicht, weil nur wenige Menschen unterwegs sind. Die meisten, ob Hamburger oder Touristen, sitzen immer noch beim Mittagessen.

      „Mag sein“, räumt Lady ein. „Aber es ist halt schon sehr viel anders. Mistie verhält sich überhaupt nicht wie ein richtiger Hund.“

      Der Kater bleibt abrupt stehen und vergisst sogar Sauberkraut, zumindest für einen Moment. „Lady!“, stößt er hervor. „Er ist ja auch kein Hund!“

      „Wie meinst du?“ Die Hündin ist einen Augenblick lang irritiert, besinnt sich dann jedoch. „Ja klar, du hast ja Recht. Siehst du, irgendwie vergesse ich das immer wieder, weiß auch nicht, warum.“

      „Wahrscheinlich deshalb, weil er nun wie ein Hund bei dir in der Villa lebt.“

      „Nacht für Nacht treibt er sich herum, wer weiß, wo?“, klagt Lady. „Dabei könnten wir morgens so schön miteinander spazierengehen. Aber nein, entweder ist er noch gar nicht wieder daheim, wenn ich erwache oder kommt gerade von seinen nächtlichen Streifzügen zurück. Nicht ansprechbar, schlüpft er dann sofort nach dem Frühstück unter seine Bettdecke und verpennt fast den ganzen Tag.“

      Je mehr Lady erzählt, desto mehr bemitleidet Captain Nemo seinen Freund und ist zugleich froh über sein eigenes Dasein als Singlekater. „Sei mir bitte nicht böse, Lady“, beginnt er endlich. „Ich als Vertreter der Feliden kann Mistie da natürlich ein bisschen besser verstehen, bin nachts auch gerne unterwegs.“

      „Ich weiß, höre deine Artgenossen nachts oft von den Dächern oder anderswo her maunzen und frage mich dabei, wo Mistie wohl gerade ist, ob er sich womöglich mit einem Fuchs anlegt. Dann ist es vorbei mit meinem sorgenfreien Schlaf. Bis in die frühen Morgenstunden wache ich immer wieder auf, bei jedem kleinsten Geräusch, und fürchte, Mistie könnte einem Jäger vor die Flinte geraten.“

      Während Captain Nemo Ladys Klagen geduldig über sich ergehen lässt, folgen sie Sauberkraut durch die Katharinenstraße und sehen vor sich, hinter einer Gabelung, eine dreischiffige Backsteinkirche aufragen. „Der will doch nicht etwa da rein?“, fragt sich der Kater laut und reißt damit die Hündin aus ihrem Monolog. Sie überlegt kurz und meint dann: „Hm, im Fernsehen sagte mal einer, manche Menschen würden in solchen Häusern ihre Sünden beichten.“

      „So hat der das gesagt?“, wundert sich Captain Nemo. „Na ja, vielleicht nicht genau so, aber ähnlich. Jedenfalls... Wenn du meinst,