Kirsten Klein

Eine feine Gesellschaft – Marder Misties zweiter Fall


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sich fast seinen buschigen Schwanz in der Tür ein. Vor Schreck darüber stößt er einen Schmerzenslaut aus.

      Lady zupft ihn am Halskragen und beordert ihn zwischen zwei Bankreihen. Sauberkraut, im Mittelgang des Hauptschiffes, blickt sich um.

      „Meinst du, er hat uns bemerkt?“, wendet sich Captain Nemo schuldbewusst an Lady.

      Sekunden der Ungewissheit, in denen Sauberkraut einige Schritte zurückgeht und sich nach allen Seiten umschaut, harren die beiden aus, drücken sich eng an den Boden. Den beachtet er glücklicherweise nicht.

      „An vierbeinige Verfolger denkt der nicht“, frohlockt Lady leise fiepend. „Typisch...“ Mensch, will sie noch sagen – eigentlich. Doch im selben Moment bemerkt sie, wie auch Captain Nemo, dass außer Sauberkraut noch jemand in der Katharinenkirche ist, wenige Bankreihen vor ihnen.

      Angestrengt lauschend spitzen sie ihre Ohren und vernehmen, wie das Objekt ihres Verdachts neben jener Person Platz nimmt. „Merkst du es auch?“, fragt Lady leise. „Ja“, entgegnet der Kater. „Sie halten einen gewissen Abstand voneinander. Besonders gute Freunde werden sie nicht sein.“

      Auf leises Knistern folgt angespannte Stille, allerdings zunehmend erfüllt von Sauberkrauts erregtem Atmen. „Halten Sie mich etwa für blöd?“, fragt er endlich mit schneidender Stimme. „Wie soll ich darauf vertrauen, dass sie das hier nicht veröffentlichen, selbst wenn – ich sage nur – selbst wenn ich die Freilassung dieser Kerle veranlassen könnte.“

      „Sie können“, behauptet eine auffallend tiefe, ruhige Männerstimme. „Ich bin sicher, sie können, in Ihrem eigenen Interesse. Das steht bei Ihnen schließlich an oberster Stelle. Und was das Vertrauen betrifft...“ Der Besitzer der Stimme legt eine Pause ein, die er vernehmlich genießt, ebenso wie seine folgenden Worte. „Bedauere zutiefst, aber da bleibt Ihnen wohl leider nichts anderes übrig.“ Wieder folgt eine Pause, nervenzerreibend lang und durchdrungen von Sauberkrauts nervösen Atemgeräuschen.

      „Also gut“, wird sie endlich von seinem Gesprächspartner mit einer Gelassenheit beendet, die bezeugt, wie fest er Sauberkraut in seiner Hand wähnt. „Das Spiegelverlagshaus ist ja gleich um die Ecke und jetzt, im Sommerloch...“

      Sauberkraut unterbricht ihn, aber was er sagt, können die Lauschenden nicht zweifelsfrei verstehen, denn das Knarren des Hauptportals mischt sich hinein, begleitet von Kinderstimmen. Erwachsene mahnen zu Ruhe und Andacht.

      Lady reckt ihr neugieriges Näschen aus dem Schutz der Bankreihen hinaus ins Sonnenlicht, das von draußen den Mittelgang überflutet. „Pass auf!“, warnt Captain Nemo.

      Zu spät. „Guck Mama, da ist wieder das süße Hündchen!“, ruft eine hohe Mädchenstimme.

      „Tatsächlich!“, entfährt es Mama. „Aber diesmal entwischt es uns nicht!“

      3

      Zu spät bemerkt sie die Gefahr, rennt, rennt, rennt, fühlt sich im Nacken ergriffen und quiekt. „Bitte bitte verschone mich!“

      Mistie will zubeißen, zögert jedoch, das Fell der Maus zwischen den Zähnen. Beiß zu, fordert seine innere Raubtierstimme, beiß endlich zu!

      Er kann nicht, jetzt nicht mehr. Entsetzt wird ihm klar, dass er viel zu lange gezögert und derweil der Maus zugehört hat. Das ist verrückt, absolut verrückt! „Ich hätte dir nicht zuhören dürfen“, jammert Mistie und lässt sie los. „Marder hören nicht auf ihre Beute! Sie beißen mardermäßig zu! Und ich bin schließlich ein Marder! Ach, was bin ich bloß für ein jämmerlicher Marder!“

      „Aber nein, nein“, widerspricht die Maus. „Du bist der beste Marder der Welt, der allerbeste! Überall werde ich dich rühmen, weil du mich verschont hast.“

      „Bloß das nicht, bitte nicht!“, fleht nun Mistie. Wie blamabel für ihn, wenn auch nur einer der anderen Marder davon erfährt.

      „Überlass’ sie mir“, meldet sich plötzlich eine Stimme hinter ihm. Er wendet sich um und blickt in das Gesicht eines Mardermädchens. „Du bist doch der mit der Villa, nicht wahr? Du kannst es dir leisten, anderen deine Beute zu überlassen.“ Schmeichelnd reibt sie sich an ihm. „Wirst es auch nicht bereuen.“

      Doch inzwischen ist es egal, wie Mistie sich entscheiden würde, denn die Maus hat ihre Chance genutzt und ist geflohen. „Weichling“, schimpft das Mardermädchen verächtlich.

      Vergebens entschuldigt sich Mistie. Sie will ihm nicht zuhören. „Du bist das Letzte, wirklich das Allerletzte, weder ein richtiger Marder noch ein richtiger Hund!“

      Jetzt reicht’s! Mistie will Einspruch erheben, wird aber von dem ohrenbetäubenden Gezeter einer Elster überstimmt. Er schreit dagegen an, umsonst.

      Plötzlich ist das Mardermädchen weg. Stattdessen spürt Mistie über sich seine Bettdecke. Dem Himmel sei Dank! Es war ein Traum, nur ein Traum!

      Aber warum hört er dann die Elster immer noch? Lauschend bewegt er seine Ohren, um herauszufinden, aus welcher Richtung die Schreie dringen. Aha, von unten, aus Sammys Praxis. Was hat eine Elster dort verloren?

      Mistie findet keine Ruhe mehr, hüpft aus dem Bett, die Treppe hinunter, läuft durch das mittlerweile leere Wartezimmer und kratzt an der Tür zum Behandlungsraum. Abrupt verstummen die Schreie.

      Sammy öffnet einen Spalt breit, überlegt und lässt den Marder herein, dabei ein Auge auf ihn und das andere auf die Elster gerichtet. In etwas zerrauftem Federkleid hockt sie neben einer Pappschachtel auf dem Tisch, hält den Kopf schief und beäugt den Eintretenden neugierig aus ihren blanken Knopfaugen. „Schön brav, Mistie“, mahnt Sammy vorsichtshalber. „Das ist eine Patientin.“ Der Marder schaut zu ihm auf. „Klar, schließlich ist sie in deiner Praxis, und du bist Arzt“, sagt sein Blick. „Oder hältst du mich etwa für begriffsstutzig?“ Als sie ihre Flügel ausbreitet, erkennt Mistie, dass die Elster noch nicht flügge sein kann. Sie besitzt nämlich noch keine Schwungfedern.

      „Wir wollen sie Elsie nennen“, schlägt Sammy vor und sieht beide Tiere fragend an. „Was meint ihr?“

      Mistie fühlt sich geschmeichelt. Schließlich hat ihn noch nie jemand bei einer Namensgebung um seine Meinung gefragt. „Elsie“, krächzt die Elster. „Meinetwegen, wenn ich dann endlich was zu futtern kriege.“

      Sammy nickt zufrieden und setzt die Frischgetaufte in die Schachtel, als das Telefon klingelt. Zwar trägt er noch seinen weißen Kittel, aber die Praxis hat geschlossen. Er wirft einen Blick auf die Wanduhr. „Schon nach zwei. Eigentlich müssten unsere Mädels längst zurück sein.“

      Die Schachtel mit Elsie unter dem Arm und Mistie auf den Fersen, verlässt Sammy den Behandlungsraum und nimmt am Empfang das Gespräch entgegen, obwohl der AB den Anrufer darüber informieren würde, dass die Praxis erst wieder um sechzehn Uhr öffnet.

      Schon nach wenigen Worten erkennt Mistie, dass es eine Anruferin ist, die dringend einen Termin für einen Hund vereinbaren will. „Nun beruhigen Sie sich erst mal!“, schreit Sammy, um Elsie zu übertönen, die lautstark gegen ihre Schachtelhaft protestiert. „Wenn er erst seit vorhin Durchfall hat, kann er unmöglich so dehydriert sein, dass er eine Infusion braucht!“

      Geduldig hört Sammy weiter zu, setzt sich auf den Empfangstresen, nimmt die Schachtel auf den Schoß und streicht Elsie mit seiner freien Hand beschwichtigend übers Gefieder. Davon überrascht, hält sie den Schnabel, legt aber gleich wieder los, lauter als zuvor. „Nein, so weit lassen wir es nicht kommen! Geben Sie ihm bitte nichts zu fressen, Wasser natürlich! Und Ruhe! Ihre Unruhe überträgt sich auf ihn!

      Warum ich so schreie, habe gerade einen Notfall! Kommen Sie gleich um sechzehn Uhr, wenn der Durchfall anhält! Wieder... ...hören“, vollendet Sammy leise, was jedoch in Elsies Geschrei versinkt, legt das Telefon beiseite und wirft einen erschöpften Blick zu Mistie. Der wendet sich energisch an die Elster. „Entweder du hältst jetzt endlich den Schnabel, oder ich erinnere mich daran, dass ich ‘eigentlich’ ein Marder bin!“

      „Bingo,