Sascha Arntsen

Midgards Erben


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schaut ihn verblüfft an und antwortet:

      „Mögen die Götter auch dich beschützen. Bis morgen.“

      Jan kann nicht glauben, was er da gerade von sich gegeben hat. In diesem Moment überkommt ihm wieder dieses sonderbare Gefühl von heute Morgen, was er dort noch nicht so richtig zuordnen konnte. Er wusste beim Gang zur Schule doch noch gar nichts von Simones Leben, dem Heidentum und das was folgen sollte.

      „Merkwürdig“, denkt er, als er auf dem Weg nach Hause ist.

      Wieder an der alten Stadtmauer entlang, stiefelt er über die Promenade nach Hause. Sollte er es erzählen? Wie würde seine Familie reagieren?

      Am nächsten Morgen geht er mal etwas früher los. Auf dem Schulhof angekommen, nimmt ihn die blonde Tina in Empfang.

      „Was habt ihr denn gestern Mittag gemacht, he? Seid ihr jetzt zusammen?“

      „Wer ihr?“

      „Na, du und Simone!“

      „Hast du ´nen Knall, Tina? Geht’s noch? Ich hab doch nichts mit Simone!“

      „Wir haben euch aber gestern am Rhein gesehen. Ihr seid so schön in die Büsche verschwunden!“

      „Wer wir? Seit wann hast du denn Freunde?“

      „Ha, ha! Sehr witzig!“, sagt sie.

      Ach du je, wie kommt er da nun wieder heraus. Jan denkt:

      „Wir waren ja dort. Und es sah bestimmt so aus als ob.“

      Aber wie soll er diese Situation jetzt klarstellen? Er kann es ja selber kaum glauben.

      „Da war nichts!“, sagt er kurz.

      „Natürlich“, antwortet Tina amüsiert.

      Sie dreht sich um und geht zurück zu den anderen Mädchen der Klasse. Jan wartet auf Simone, doch die kommt nicht. Alex ist aber wieder da.

      „Stimmt das, was hier erzählt wird? Hast du was mit der schrägen Simone? Jan, Jan!“, meint Alex und schnalzt beim schütteln des Kopfes mit der Zunge. „Jetzt ist man mal einen Tag nicht da und es spielen sich hier Dramen ab! Unfassbar.“

      „Ein Feueralarm spricht sich nicht so schnell herum wie so was. Schlimm! Wir haben uns gestern nur unterhalten, mehr nicht.“

      „Ja, Ja. Jan, du bist ´ne Marke.“

      „Wieso heißt es immer, man wäre zusammen, wenn man nur miteinander redet?“

      „Weil wir noch in der Pubertät sind“, gibt Alex lächelnd zum Ausdruck, „da ist das halt so.“

      „Wenn du meinst. Aber Simone ist anders als wir denken. Sie ist nicht bescheuert wie wir immer dachten, sondern ganz normal.“

      „Ja, so fängt es an. Komm wir gehen hoch, Casanova!“

      „Sehr lustig, Alex! Mach heute aber mal dein Handy aus, sonst kann dein Vater das Ding wieder bei der Müller abholen! Dann gibt’s erneut einen auf den Arsch, mein Guter!“, gibt Jan zu verstehen.

      „Es ist doch immer interessant, bei wie vielen man sich rechtfertigen muss, was man am gestrigen Nachmittag so gemacht hat“, denkt er sich, während die beiden auf die Eingangstüre zugehen.

      Alle Schüler stürmen nun in das Schulgebäude und quetschen sich durchs Treppenhaus bis in die Klassenzimmer. Hier beginnt daraufhin auch sofort der Unterricht. Vorbereitung auf die Klassenfahrt nächste Woche.

      „Wie ich sehe, fehlen mal wieder welche“, meint Frau Müller. „Simone ist ja entschuldigt krank, aber der Rest?“

      „Simone ist krank? Gestern sah sie doch noch ganz gesund aus“, denkt sich Jan.

      „Jan, was hast du mit ihr gemacht?“, flüstert ihm Miriam sarkastisch zu.

      Miriam, eine brünette Amazone, die regelmäßig durch ihre zu auffällige und unabgestimmte Kleidung auffällt, sonst im Unterricht aber eher wenig zu sagen hat.

      Ihre Klassenlehrerin ergreift erneut das Wort:

      „Ihr habt hoffentlich alles soweit für die nächste Woche vorbereitet? Ich muss darauf hinweisen, dass wir beim Besuch der Externsteine Vorsicht walten lassen müssen. Dieser Ort wird oft von der rechten Szene als Kultort genutzt. Wie ihr sicher wisst, wurde im dritten Reich dieser Ort von den Nazis schon fast verehrt. Die Szene bedient sich der heidnischen Symbolik und hält dort auch gelegentlich Treffen ab.“

      Jan fährt es wie ein Blitz in die Knochen. Neonazis, Heiden, Simone?

      „Das kann doch nicht sein, dass Simone dieser Szene angehört, oder etwa doch?“

      Jan erschaudert´s.

      Enttäuscht und gleichzeitig schockiert geht er nach der Schule nach Hause. Während der Schulzeit konnte er sich keine Minute lang mehr auf den Unterricht konzentrieren. Alex begleitet ihn noch einen kurzen Moment, da er in die gleiche Richtung muss.

      „Was ist los, Alter? Du wirkst momentan so komisch. Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?“

      „Nein Alex, ist alles in Ordnung. Ich sag dann mal bis Montag.“

      Er biegt in eine Seitengasse ab, die zum so genannten >Weißen Turm< führt, einem alten Zollturm der Stadtbefestigungsanlage. Direkt nach Hause kann und will er auch noch nicht.

      „Mach‘s gut Jan, bis Montag“, ruft ihm Alex hinterher.

      Jan kann es immer noch nicht fassen. Dieser Gedanke macht ihn fertig.

      „Muss es denn immer alles anders kommen?“

      Er hat sich irgendwie in Simone verguckt, und dann wirft Frau Müller solche Argumente in den Raum? Immer wieder denkt er an den gestrigen Tag, als er die Unterhaltung mit Simone hatte. Es war ein Megatag und alles schien so einfach gewesen zu sein. Er sah zum ersten Mal die Welt mit ganz anderen Augen. Aber aus der Rosafärbung wurde gewaltsames Braun. Mit dieser Nazigesellschaft, wie er immer sagt, will er nun überhaupt nichts zu tun haben.

      Das Wochenende kann sich so lange hin ziehen. Und Jan weiß noch nicht einmal, ob Simone am Montag überhaupt mit fährt. Aber mal ehrlich, will er es denn auch? Es ist ein ernster Konflikt, den er da nun bewältigen muss.

      Nach der Schule geht Jan immer zu seiner Oma Mittagessen. Denn seine Eltern sind beide berufstätig und somit sieht er sie auch erst ab dem späten Nachmittag. So kam es, dass er dafür hier einquartiert wurde. Ist aber auch nicht das Problem, da sie ja fast genau neben Jan und seinen Eltern wohnt. Dort angekommen, setzt er sich an den Tisch. Seine Oma bereitet gerade einen Teller mit Spaghetti vor und stellt ihm die Portion hin.

      „Was sind Heiden?“, schmettert er beim Essen mit halbvollem Mund in den Raum.

      Seiner Oma fallen beinahe ihre dritten Zähne heraus. Sie hustet.

      „Wie kommst du denn darauf?“

      „Ach, wir müssen so einen Bericht in der Schule schreiben. Und da dachte ich, ich frag erst einmal dich, bevor ich die Bücher wälze.“

      Jan weiß bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was er sich mit dieser Frage eingebrockt hat. Dann aber antwortet sie:

      „Weißt du Jan, Heiden sind Leute, mit denen in der Regel keiner was zu tun haben will. Die haben eine Menge Götzenbilder, laufen meist in Lumpen herum und sind asozial. Halten sich auch meistens im Wald auf. Kurz, die gehören nicht so recht in unsere Gesellschaft. Früher hat man viele bekehren können und die, die das nicht wollten, verschwanden einfach. In der heutigen Zeit sind die auch kein Umgang für uns.“

      „Ach ja?“, denkt sich Jan, der daraufhin keine weiteren Fragen mehr hat und selber gerne verschwinden möchte.

      „Wie kann sie nur so etwas sagen?“, denkt er weiter.

      Er ist geschockt und macht auch keine weiteren Andeutungen mehr. Nach dem Essen geht er los zur Bücherei um sich ein wenig Lektüre anzuschauen.