Sascha Arntsen

Midgards Erben


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      „Du bist ja lustig! Ich glaube einfach nicht, dass sich meine Eltern und Simone auch nur ansatzweise verstehen würden. Mental gesehen zumindest.“

      „Woher willst du das wissen? Hast du doch noch nicht versucht, oder?“

      „Nein, aber einige Sachen spürt man einfach.“

      Nach dieser Äußerung fällt Jan wieder die Sache mit der inneren Stimme ein, von der Simone gestern gesprochen hat. Aber warum sollte seine innere Stimme eine Zusammenkunft beider Seiten nicht befürworten? Spricht da gegebenenfalls eine Art Angst im Hintergrund, oder ist es nur Vorsicht, um dem unvorhersehbaren auszuweichen?

      Beim Spaziergang durch die kleine Stadt kommen die beiden über die zweite Einkaufsstraße in Richtung Wallanlage. Sie gehen die leichte Steigung des kleinen Weges, der zurück zum Rhein und dem Schulzentrum führt, hinauf. Der Weg ist geschottert und bespickt mit diversen Tretminen von Hunden rücksichtsloser Herrchen. Alex ist erstaunt:

      „Ist ja interessant, dass man hier in der Stadt keinen aus unserer Klasse sieht.“

      „Denen ist es bestimmt zu heiß heute. Viele schauen sich auch bestimmt gerade die penetranten Gerichtssendungen an, die sich kontraproduktiv auf die Libido auswirken.“

      „Jetzt haust du aber auf die Kacke, Alter“, ergänzt Alex und meint weiter: „Normalerweise hängen einige von denen ja im Stadtpark ab. Sollen wir mal nachschauen?“

      „Ne, lass mal. Die hab ich nächste Woche noch lange genug um die Ohren. Und außerdem laufen wir auch gerade in die entgegengesetzte Richtung.“

      „Ist doch noch früh!“

      „Ja, nein, ich werde mal so langsam nach Hause gehen, muss gleich noch zur Fahrschule.“

      „Fahrschule? Seit wann gehst du denn da hin?“

      „Heute das erste Mal. Hatte mich letztens mal angemeldet“, meint Jan.

      „Du musst ja Kohle haben!“

      „Sponsored, Alex.“

      „Na denn. Man kann sich‘s ja leisten!“

      Kurze Zeit später kommen sie an das Ende des mit Bäumen umsäumten Wallweges.

      „So, dann biege ich hier mal ab, wir sehen uns spätestens am Montag, Jan.“

      „Ja der Montag. Habe ich schon gesagt, dass ich darauf überhaupt keine Lust habe?“

      „Du erwähntest es bereits. Aber es kommt doch eh alles anders als man denkt, oder? Hat das nicht irgendein Dichter mal verfasst?“

      „Da war was, bis denne, Alex.“

      „Ciao Jan.“

      Jan verschwindet durch die Rünkelstraße, einer direkten Verbindung zum Markt, in Richtung seines Zuhauses. Dort, am anderen Ende der Stadt, betritt er das Elternhaus. Seine Eltern sind aber noch nicht von der Arbeit zurück. Er geht in sein Zimmer und legt sich auf sein Bett, setzt die Kopfhörer auf und hört Musik. Als er nach einer Weile gerade einzuschlafen droht, klopft es an der Tür.

      „Jan, bist du da?“, ruft sein Vater, der nun, von der Arbeit zurück, im Flur steht.

      „Ja, bin da!“, antwortet er, nachdem er bei einer leisen Passage seiner Musik den Klopfruf seines Vaters hörte. Er setzt die Kopfhörer wieder ab und bittet ihn herein.

      „Du bist schon da?“

      „Darf ich nicht?“

      „Doch, natürlich.“

      „Was machst du bei einem solchen Wetter hier im Haus?“

      „Schon vergessen? Ich habe gleich Fahrschule.“

      „Oh ja, stimmt. Dann mal viel Spaß bei deiner ersten Theoriestunde“, erwidert er und verlässt den Raum wieder.

      Jan legt sich erneut auf sein Bett und blickt an die Wand, wo unter anderem einige seiner selbst gemalten Ölbilder hängen. Zwischen all diesen teils sehr guten Werken, blickt er auf ein kleines Kreuz, dass er zu seiner Firmung bekommen hat. Dabei denkt er an Simone und den heutigen Ereignissen in der Schule. Er fühlt sich schlecht.

      „Das Kreuz muss weg!“, flüstert er.

      Kaum gesagt, ist es auch schon verschwunden. Er wirft es erst einmal auf seinen Schreibtisch, der vor dem Zimmerfenster, sonnenbestrahlt da steht.

      „Mist das wir kein Internet haben, dann wäre das Leben bestimmt einfacher. Ich könnte mich dann mal über die ganze Sache informieren. Aber meine Eltern wollen das ja nicht“, denkt er so vor sich hin. „Aber was nicht ist?!“

      Nach einer depressiven minutenlangen Pause meint er weiter:

      „Na komm, ich gehe mal los zur Fahrschule.“

      Wie gesagt so getan. Er steht auf und verlässt das Haus. Damit war es das dann auch mit dem Freitag. Auch der Samstag bringt immer wieder dieses Kribbeln. Die Ablenkung in Form des Radfahrens bringt aber keine wesentliche Besserung. Er kann einfach nicht den kommenden Montag abwarten, an dem er vielleicht eine Erklärung auf seine Fragen bekommt. Doch wie soll er mit der Wahrheit klarkommen, wenn diese gegebenenfalls nicht seinen Erwartungen entspricht. Denn es schwebt immer noch das Damoklesschwert der Braunen über seinen Gefühlen. All das zerstreut ihn doch sehr. So sehr, dass er glatt vergessen hat, sich vor der Radtour gegen die Sonne einzucremen. Den Endeffekt bekommt er am Abend nach seiner Rückkehr zu spüren. Denn da wo seine Armbanduhr den Arm umschloss, klafft nun ein runder weißer Fleck.

      „Wo warst du denn?“, fragt ihn seine Mutter, die ganz erschrocken schaut. „Hast du den ganzen Tag in der Sonne gelegen?“

      „War mit dem Rad in Emmerich. Hab aber leider vergessen mich vorher einzucremen.“

      „Das sieht man. Bist ganz schön rot. Das muss doch höllisch wehtun!“

      Kurz berührt sie Jans Haut an der extrem roten Stelle im Nacken.

      „Au! Lass das!“

      „Du siehst ja aus wie ein rot gekochter Hummer.“

      „So fühle ich mich auch.“

      „Ja, selbst Schuld kann man da wohl nur sagen, oder? Creme die Haut aber jetzt nachträglich noch mal mit Feuchtigkeitscreme ein, ja?“

      Dann verlässt sie sein Zimmer wieder.

      „Und, das Essen ist gleich fertig!“, ruft sie nochmal zurück, als sie schon fast wieder in der Küche verschwunden ist.

      „OK, ich komme gleich!“

      Kapitel 2

      Die Reise beginnt

      Nun ist es endlich soweit. Es ist Montagmorgen, sehr früh. Die Sonne lässt gerade ihre ersten Strahlen tief im Osten durch die dünnen Schleierwolken blicken. Aufstehen ist nun angesagt, denn um sechs Uhr fährt schon der Bus von der Bushaltestelle der Schule ab. Sein Köfferchen hat Jan bereits gestern Nachmittag gepackt. Sehr müde schiebt er sich ein letztes Butterbrot zwischen die Zähne und taumelt danach zur Schule. Er ist aber nicht der Einzige, der so übermüdet die Straße bevölkert. Auch Alex sieht nicht sehr agil aus. Denn der hat am gestrigen Abend noch sehr lange an der Spielekonsole gezockt. Abreagieren nennt er das. Jan stellt sein Gepäck auf dem Schulhof unter einem Vordach ab, direkt neben dem seines Kumpanen.

      „Na, alles Fit?“, spricht ihn Alex mit einer leicht müden Aura an. Augenringe umschließen seine Sehorgane.

      „Geht’s dir wieder besser? Mit dir war am Freitag ja mal gar nichts los.“

      „Mir geht’s gut“, erwidert Jan, „Alles wieder Fit im Schritt.“

      „Bin ich müde!“

      „Hast gestern wieder zu lange gezockt, wa? Alter, dein Papi hat doch letztens gesagt, dass du nicht so lange aufbleiben