Max von Pettenkofer

Populäre Vorträge


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VERHALTEN DER LUFT ZUM BEKLEIDETEN KÖRPER DESMENSCHEN.

      Wenn ich es wage, hier vor einer so zahlreichen und gewählten Versammlung zu sprechen, so könnte man erwarten oder voraussetzen, dass ich ungewöhnliche Dinge mitzuteilen hätte, die man nicht von München aus nach Dresden schreiben könnte, sondern derentwegen man persönlich kommen, welche man selbst vortragen müsste. Ich bitte meine Zuhörer, eine derartige Erwartung oder Voraussetzung ja nicht zu hegen, Sie würden sonst durch meine Vorträge enttäuscht werden. Diese handeln nur von längst bekannten Dingen, welche Jedermann schon aus dem täglichen Gebrauche kennt, und auch was ich Ihnen darüber sagen werde, ist vielleicht Alles schon einmal irgendwo gesagt oder gedruckt worden.

      Ich habe vom Direktorium des Albert-Vereins die ehrenvolle Einladung erhalten, hier in Dresden einige populäre Vorlesungen über Gegenstände der öffentlichen Gesundheitspflege zu halten. Es ist vielleicht eine nicht unpassende Einleitung, wenn ich Ihnen offen sage, was ich von populären Vorlesungen halte.

      Was sind populäre Vorlesungen und was lässt sich von ihnen erwarten? Ich zähle mich zwar nicht unter diejenigen, welche bei allem, was sie tun oder anstreben, sofort ängstlich nach dem sogenannten praktischen Nutzen fragen, wie er sich etwa in Prozenten des Anlagekapitals berechnen und ausdrücken und weiter verwerten oder verhandeln lässt, aber ich dispensiere mich doch auch nicht gern von aller Pflicht, wenigstens nach dem Zwecke meines nach gewöhnlichen Begriffen unrentablen Geschäftes zu fragen. Durch populäre Vorträge kann Niemand bis zu dem Grade unterrichtet werden, dass er dadurch sofort Sachverständiger würde. Man könnte daher sagen, populäre Vorträge sind eher schädlich, als nützlich, denn sie erzeugen und vermehren nur jenen Dilettantismus, an dem unsere Zeit ohnehin schon genug zu leiden hat, und der auch in unseren Schulen schon einen solchen Umfang zu nehmen beginnt, dass Einem vor der unabsehbaren Ausdehnung des Wissens unserer Kinder angst und bange werden möchte, und nur die geringe Tiefe desselben macht es wieder erklärlich, dass es doch nicht so gefährlich ist, dass zuletzt doch so viel gelernt und auch wieder vergessen werden kann. Ich gestehe Ihnen offen, dass auch ich nicht im Stande bin, den Einwurf zu entkräften, dass populäre Vorträge keine eigentlichen Sachverständigen zu bilden im Stande sind.

      Aber ich glaube, darauf kommt es gar nicht an, dazu sind populäre Vorlesungen auch nicht bestimmt. Sie sind weder ein erschöpfender wissenschaftlicher noch praktischer Unterricht, sondern nur eine wissenschaftliche Erbauung, Erhebung und Anregung, die unsere Blicke und Herzen emporrichten und auf uns wirken soll, ähnlich wie etwa das Anhören eines guten Konzertes, einer Symphonie, deren Zweck auch nicht ist, alle Zuhörer zu Musikern zu machen. Es ist genug, die Harmonie zu empfinden, welche in dem Vorzutragenden von Natur aus liegt. In allem menschlichen Wissen und Thun, Dichten und Trachten, soweit es Wahrheit ist, liegt Harmonie, welche zu empfinden der Sinn im Menschen glücklicherweise so allgemein verbreitet ist, wie der Sinn des musikalischen Gehörs. Diese Harmonie, welche in allen Wahrheiten liegt, kann und soll Jedermann zum Bewusstsein, zur Empfindung gebracht werden, damit sich möglichst Viele daran erfreuen, dafür erwärmen, mit neuen Gegenständen zunächst befreunden und dann vielleicht befassen, oder dass sie doch aus Überzeugung und mit Sympathie denjenigen nach Kräften beistehen, welche sich berufsgemäß mit den Gegenständen eingehender befassen müssen. In dieser Hinsicht haben populäre Vorträge sogar eine sehr hohe ernste Mission, sie sollen richtige allgemeine Vorstellungen schaffen, das Verständnis dafür erleichtern, eine gewisse Liebe für verschiedene Aufgaben der Zeit und des Lebens erwecken und verbreiten, sie sollen Freundschaftsbande knüpfen zwischen Dingen, Ideen und Menschen. Wovon die Menschen nie etwas gehört haben, wovon sie gar nichts wissen und gar keine oder eine falsche Vorstellung haben, dafür darf man billigerweise von ihnen auch keine Teilnahme verlangen, am allerwenigsten aber eine Opferwilligkeit erwarten.

      Und so möchte ich durch einige Vorträge nun Ihre Teilnahme für Gegenstände der öffentlichen Gesundheit oder Hygiene erregen, ich möchte Ihnen namentlich recht lebhaft zur Empfindung bringen, wieviel in dieser Richtung noch zu tun und zu schaffen ist, wozu wir Alle zusammensteuern und zusammenarbeiten müssen.

      Der Gegenstand, den ich mir für diese Vorträge gewählt, scheint ein sehr bekannter, leichter und einfacher zu sein, die Luft, in der wir leben, wie der Fisch im Wasser.

      Es bedarf der Mensch der Luft beständig, er mag sein wo er will, auf dem Lande, auf dem Meer, über und unter der Erde, im Freien und in der eng geschlossenen Wohnung.

      Wir brauchen die Luft zu verschiedenen Zwecken, hauptsächlich aber zu zweien, erstens als Nahrung, zweitens zur Abkühlung. Schon die Menge Luft, welche ein erwachsener Mensch in 24 Stunden ein- und ausatmet, beträgt im Durchschnitt 9000 Liter oder circa 360 Kubikfuß oder 150 Eimer. Was wir an fester und flüssiger Nahrung und an Getränken in 24 Stunden einnehmen und wieder ausscheiden, nimmt durchschnittlich den Raum von etwa 3 Litern ein, beträgt also dem Volumen nach nur den dreitausendsten Theile des Volums der Atemluft. Im Jahre beträgt dieser Luftgenuss 3 285 000 Liter. Man erstaunt förmlich über diese Menge, wenn man sie zum ersten Male ausrechnet oder hört, und es beschleicht einen ein sonderbares Gefühl, wenn man denkt, dass diese Arbeit Tag und Nacht fortgeht. Von der Geburt bis zum Tode unausgesetzt müssen wir auf diese Art Blasbalg ziehen, damit die Orgel unseres Lebens nicht verstumme.

      Die Luftmenge, welche uns außerdem noch beständig auf der ganzen Oberfläche umfließen muss, ist noch viel, viel grösser.

      Man könnte einwerfen, die Luft sei ein so leichter Körper, dass ihr Gewicht nicht in Betracht komme. Schon gut: aber ein Gewicht hat sie doch, sie ist bloß 770mal leichter als Wasser, und die 9000 Liter, die wir täglich atmen, haben schon ein Gewicht von 111/2 Kilo oder 23 Zollpfunden. Doch ich habe nicht vor, mich gegenwärtig mit dem Luftgenuss als Sauerstoffnahrung zu befassen, über die Stoffwechselverhältnisse in Bezug auf unsere Ernährung möge an dieser Stelle einmal ein Anderer das Wort ergreifen, ich will heute namentlich nur den zweiten Gebrauch, den wir von der Luft machen, die Entwärmung unserer arbeitenden Maschine, ins Auge fassen.

      Sie Alle wissen, dass die gesamte Liebestätigkeit an chemische Prozesse gebunden ist, welche in unserm Innern ununterbrochen vor sich gehen, welche Prozesse wir durch Einnahme von fester und flüssiger Nahrung und von Sauerstoff aus der Luft unterhalten. Der regelrechte Vorgang dieser Prozesse ist unter anderen Bedingungen

      Auch an eine bestimmte Temperatur gebunden, über und unter welcher die Prozesse zwar nicht stillstehen, aber anders verlaufen, so dass sie die Zwecke des normalen Lebens nichtmehr erreichen – und Krankheit oder Tod zur Folge haben. Beim Menschen ist diese Gleichmäßigkeit der Temperatur seiner Organe eine der allerwichtigsten Lebensbedingungen. Das Blut des Negers, welcher in der heißen Zone unterm Äquator lebt, ist nicht um 1/10 Grad wärmer, als das Blut des Eskimo im höchsten Norden zur kältesten Jahreszeit, immer ist es 371/2° Celsius. Die Extreme der Temperatur, unter welchen Menschen leben, sind in den Tropen 35 bis 40° C. über Null, und in den Polargegenden 32, ja selbst 47° C. unter null, also eine Differenz von 100 Graden. Selbst die mittleren Monatstemperaturen mancher Gegenden differieren um mehr als 40 Grade, und doch sind die Organe des Menschen überall gleich warm.

      Wodurch, mit welchen Mitteln vermag der Mensch so kolossale Differenzen auszugleichen? Welche Waffen gebraucht er in diesem riesigen Kampfe?

      Vergegenwärtigen wir uns etwas näher die absoluten Wärmegrößen, über welche der lebendige Organismus verfügt. Die chemischen Prozesse welche in einem erwachsenen Menschen unter gewöhnlichen Umständen vor sich gehen, erzeugen in 24 Stunden annähernd etwas über 3 Millionen Wärmeeinheiten. Unter einer Wärmeeinheit versteht man jene Wärmemenge, welche erforderlich ist, um 1 Gramm Wasser in seiner Temperatur um 1°C. Zu erhöhen. Mit der von einem Menschen im Tage produzierten Wärme könnte man also 3000 Liter Wasser in seiner Temperatur um 1°C. Erhöhen, oder 30 Liter von 0 bis 100°, d. h. bis zum Sieden erhitzen.

      Es gibt Zustände, in denen der Mensch mehr und weniger Wärme produziert, z. B. in dem Maße, als er mehr oder weniger Nahrung genießt, mehr oder weniger Muskelanstrengungen macht; solche Abweichungen vom Mittel können zeitweise bis zu 50 Pro Cent der ganzen Größe betragen – aber immer ist es Aufgabe des Körpers und unerlässliche Bedingung für seine Gesundheit, dass die Wärme seines Blutes sich nicht wesentlich ändere, höchstens innerhalb eines Grades auf- und abschwanke.