Max von Pettenkofer

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können nicht mit Kleidern hervorgerufen und nicht damit erhalten werden, diese großen Eigenschaften könnten auch ohne alles Gewand bestehen, als nackte Tugend, als nackte Schönheit, - aber der menschliche Leib könnte so, wie er ist, in unserm Klima nicht, oder nur höchst notdürftige und unvollkommen bestehen ohne Kleidung, welche für unsere Gesundheit viel unentbehrlicher ist, als für unsere Tugend und Schönheit.

      Die Frage, was wir in unserm Befinden alles dadurch ändern, dass wir uns mit verschiedenen Kleidungsstücken bedecken, erheischt eine lange, lange Antwort, die ich Ihnen unmöglich in einigen Stunden ganz geben kann, aber wenn ich Ihnen die Frage auch nicht vollständig beantworten kann, so will ich es doch bruchstückweise versuchen.

      Wenn ich einen Teil meines Körpers mit einem Stoffe bedecke, so ändere ich den Wärmeabfluss auf allen drei vorhin bezeichneten Wegen, ohne aber einen einzigen ganz zu versperren oder auszuschließen.

      Betrachten wir zuerst den Weg der Strahlung. Diese erleidet ein Hemmnis, insofern unsere Oberfläche nicht nach entfernten kälteren Gegenständen im Raume direkt ausstrahlen kann, sondern zunächst nur nach dem bedeckenden Stoffe, welcher diese Wärme aufnimmt. Nach dem Gesetze der Wärmeleitung und Strahlung muss nun die von meinem Körper in den Kleidungsstoff übergestrahlte Wärme durch den Stoff hindurch weiterstrahlen oder geleitet werden, und erst auf der Oberfläche angekommen, kann dann die Wärme wieder so nach entfernteren kälteren Gegenständen hin ausstrahlen, wie sie von der nackten Körperfläche ausstrahlen würde. Durch die Kleidung behalten wir daher die sonst sofort ausstrahlende Wärme in der unmittelbarsten Nähe unserer Körperoberfläche noch längere Zeit zurück. Die leichteste Bedeckung macht sich schon als eine Verlangsamung, als ein Hindernis der Strahlung bemerkbar, der dünnste Schleier hält schon wärmer als gar nichts. Unser Körper verhält sich genauso, wie der Körper unserer Mutter Erde. In windstillen heiteren Nächten verliert die Erde so viel Wärme an den kalten Weltenraum, dass auf ihrer Oberfläche durch Strahlung eine solche Kälte entsteht, dass sich das Wasser der Luft als Tau und unter Umständen sogar als Reif, als Eis darauf niederschlägt, wie das Wasser einer warmen Zimmerluft auf eine kalte Fensterscheibe, die von außen abgekühlt wird; aber wenn die Erde während der Nacht nur mit einem Wolkenschleier bedeckt ist, erkältet sie sich nie so weit, dass es zur Taubildung kommt.

      Es gibt Stoffe, welche die Wärmestrahlen unabsorbiert durch sich hindurchgehen lassen, sogenannte diathermane Stoffe, zu denen z. B. der Kochsalzkristall gehört, aber wir kleiden uns nicht in solche Stoffe, alle unsere Kleidungsstoffe sind nicht diathermane Stoffe, welche alle Wärmestrahlen, die von einer Seite kommen, aufsaugen. Die absorbierte Wärme muss erst durch das ganze Kleid gehen und kann erst auf der Oberfläche desselben wieder weiter so ausstrahlen, wie sie von der unbedeckten Haut ausgestrahlt wäre. Der Durchgang der Wärme durch diese künstliche Körperoberfläche hängt wesentlich von der Wärmeleitungsfähigkeit des Stoffes und von seiner Masse ab, d. i. von der Länge der Zeit und des Weges, welche die Wärme zurücklegen muss, bis sie von der Hautoberfläche zur jenseitigen Oberfläche des Gewandes gelangt. Wir heizen auf diese Art mit der abstrahlenden Wärme die ganze unmittelbare Umgebung unseres Körpers beständig in einer gleichmäßigen Weise und befreien dadurch unsere nervenreiche Haut von den so höchst zahlreichen, teils lästigen, teils schädlichen Einflüssen jedes raschen Wechsels der Wärme unmittelbar auf der Haut.

      Die Wärme bleibt nicht in den Kleidern, sie geht beständig durch, nur schneller oder langsamer, und erwärmt bis zu einem bestimmten Grade auch die Luftschicht, welche unsere nerven- und gefäßreiche Haut in den Kleidern umgibt, und die, wie wir gleich sehen werden, beständig wechselt, ja wechseln muss, wenn wir uns behaglich fühlen sollen. Wir verlieren in der Winterkälte im Freien aus unseren richtig gewählten Kleidern unsere Körperwärme ohne jede Empfindung von Frost, bloß weil wir den Ort, wo sich die große Differenz zwischen der Temperatur unseres Blutes und der Temperatur der Winterluft ausgleicht, von unserer nervenreichen Haut hinweg in ein lebloses, empfindungsloses Stück Zeug verlegen, wir lassen nicht unsere Haut, sondern nur unsere Kleider kalt werden, diese müssen für uns frieren. Genauso wie die Kleider des Menschen verhalten sich die nervenlosen Gebilde der tierischen Haut, Haare und Federn, wie wir bald sehen werden.

      In dem Maße als die Wärmeverluste nach außen wachsen, während die Wärmebildung im Innern sich nahezu gleich bleibt, fühlen wir das Bedürfnis, die Wärme immer langsamer aus der unmittelbaren Nähe unseres Körpers zu entlassen.

      Dieses Geschäft einer gewissen Regulierung besorgt bis zu einem gewissen Grade schon der unbekleidete Körper von selbst, ohne unser Zutun. Ein gewisser Wärmeverlust löst eine gewisse Bewegung unserer vasamotorischen Nerven aus, ähnlich wie ein gewisser Kohlensäuregehalt des Blutes die Atembewegungen. In Folge dieses Nerveneinflusses verengern sich alle feinen Blutgefäße unserer Körperoberfläche, es strömt weniger Blut und damit auch weniger Wärme zum Abfluss an die Oberfläche, und es darf uns eine Zeit lang frieren, ohne dass zu befürchten ist, dass wir auch im Innern kälter werden. Das Gefühl des Frostes auf der Haut ist nicht maßgebend für die Temperatur im Innern des Körpers, es gibt sogar eine Krankheit, das sogenannte kalte Fieber, oder Wechselfieber, wo während des Frostanfalles die Temperatur der inneren Organe beträchtlich steigt, weil in Folge eines Gefäßkrampfes in der Haut, welcher hier nicht wie beim gewöhnlichen Froste eines Gesunden von äußerer Kälte, sondern wahrscheinlich von dem Malariagifte ausgelöst wird, zu wenig Wärme in die Haut geführt wird. Dieser natürliche Regulator für den Wärmeabfluss kann aber nur bis zu einem gewissen Grade und bis zu einer gewissen Zeit der Wärmeökonomie genügen. Bei höherer Kälte oder längerer Andauer auch geringerer Kältegrade würde das Zurückdrängen des peripherischen Kreislaufes doch nicht mehr genügen, teils weil der Wärmeabfluss zu groß würde, teils weil die Spannkraft des Regulators allmählich doch erlahmen müsste, so dass wir besser tun, den Wärmeabfluss durch mehr Kleider zu verlangsamen und die vasamotorische Kraft zu schonen. Auf vielfache Erfahrung gestützt, ziehen wir dann mehrere Kleider übereinander, und es verhält sich das untere zu dem oberen Kleide stets ebenso, wie die Haut zur untersten oder ersten Umhüllung. Von diesem Gesichtspunkte aus bitte ich die Aufeinanderfolge von Hemd, Weste, Rock, Überrock und Mantel u. s. w. zu betrachten, wodurch wir den vasamotorischen Nerven den größten Teil ihrer Arbeit ersparen.

      Es ist eine offene Frage, welche gegenwärtig bei dem unvollkommenen Stande unseres hygienischen Wissens noch nicht gehörig beantwortet werden kann, wie weit wir die Regulierung des Wärmeabflusses durch Kleidung vornehmen sollen, wie weit wir sie mit Vorteil unserm Organismus und seiner Fähigkeit, mehr oder weniger Wärme aus den Centren nach der Peripherie des Körpers zu schaffen, überlassen können. Diese Mithilfe, diese Selbsttätigkeit des Organismus und die Fertigkeit, welche durch häufige Übung dieser Funktion erlangt wird, bezeichnet man gewöhnlich mit dem Ausdrucke Abhärtung, das Gegenteil mit Verweichlichung. Die Abhärtung wird zwar nie ganz entbehrlich sein, man darf sie aber doch auch nicht zu hoch anschlagen, oder zu sehr in Anspruch nehmen. Man muss die Fähigkeit besitzen und bereit haben, braucht aber nicht immer Gebrauch davon zu machen. Der Zweck aller Kultur ist, die größte Wirkung mit dem geringsten Aufwand von Mitteln zu erzielen, man soll immer das Mittel wählen, was den Zweck erreichen lässt, ohne unsere Kräfte zu erschöpfen, um diese nicht höheren Zwecken zu entziehen; und so sollte man auch bei Lösung der Aufgaben, welche uns die Verwaltung der Wärmeökonomie stellt, in allen Fällen, wo es angeht, die Kleider jeder überflüssigen Abhärtung vorziehen. Es ist nicht bloß überflüssig, sondern auch geradezu schädlich, sich abzunützen. ,

      Dass von der Oberfläche unserer Kleider die Wärme unseres Körpers teilweise ausstrahlt, – ich glaube, dafür brauche ich Ihnen keine besonderen Beweise mehr beizubringen, das halten Sie schon für bewiesen und selbstverständlich; aber es wäre möglich, dass je nach der Natur, Beschaffenheit oder Farbe des Stoffes das Ausstrahlungsvermögen seiner Oberfläche sehr verschieden wäre. Darüber hat Dr.Krieger , einer der wenigen Ärzte, welche sich um die Kleidung etwas näher umgesehen haben, die Versuche an Wolle, Waschleder, Seide, Baumwolle, Leinwand und Kautschukzeug angestellt und keinen wesentlichen Unterschied gefunden.

      Krieger bekleidete Blechzylinder, welche mit warmem Wasser gefüllt sind, mit verschiedenen Stoffen und auf verschiedene Weise, und beobachtete die Abnahme der Temperatur des Wassers in bestimmten Zeiträumen. Bei einer Doppelschicht aus verschiedenen Zeugen, z. B. aus Leinwand und Wolle,