Kendran Brooks

Die neunschwänzige Katze


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den Termin bei Gericht noch eine Adoption.«

      Die Alawitin sah auf und direkt in sein Gesicht, schien darin etwas zu suchen, eine Antwort vielleicht auf ihre ständig bohrende Frage, ob die beiden Briten womöglich auf ihren früheren Entscheid einer Adoption zurückkommen wollten und sie gar nicht mehr in Betracht zogen.

      »Ich wäre überglücklich, wenn du einer Adoption durch uns irgendwann zustimmst«, versicherte er ihr mit einem offenen Lächeln, »doch wir werden dich niemals bedrängen, niemals von dir dies einfordern. Du bleibst unser höchst geschätzter Gast, unser Pflegekind, solange du noch nicht bereit bist für eine Adoption.«

      »Geht das überhaupt? Adoption ohne Ehe?«, fragte die Vierzehnjährige.

      Holly drückte sie noch etwas enger an sich.

      »Darüber haben Henry und ich längst gesprochen. Wir würden selbstverständlich vorher heiraten.«

      »Heiraten? Nur meinetwegen?«

      Die junge Alawiten schien entsetzt.

      »Nein, weil wir uns lieben und wir zusammenbleiben werden«, versuchte die Britin das Mädchen zu beruhigen, »du wärst nur der Anlass, Sheliza, nicht der Grund.«

      Das verwirrte die Muslimin sichtlich, diese Unterscheidung zwischen Anlass und Grund. Denn so weit war ihr Englisch noch nicht entwickelt, dass sie die exakte Abgrenzung zwischen Reason, Cause und Motive verstand. Henry sprang darum ein.

      »Was Holly damit ausdrücken will. Wir beide heiraten auf jeden Fall, auch wenn wir noch keinen Termin dafür vereinbart haben. Doch wir würden es sofort tun, wenn es Einfluss auf eine raschere Adoption hätte.«

      »Ich will nicht, dass ihr meinetwegen heiratet.«

      Holly wollte etwas entgegnen, Henry winkte beschwichtigend ab. Bestimmt kam Sheliza von selbst drauf, wie sie die Worte von ihnen beiden verstehen musste. Sie brauchte bloß ein wenig Zeit dazu. Ein weiteres Eindringen auf den Teenager war eher schädlich als hilfreich. So drückte die aparte Frau das Mädchen noch einmal fest an sich, ließ sie danach los.

      »Können wir den Termin morgen früh noch verschieben?«

      Die Stimme der Vierzehnjährigen war bittend.

      »Selbstverständlich. Ich ruf Dr. Coppers gleich an und sag ab. Eile ist unnötig. Warten wir mindestens bis nach unserem Besuch in der Schweiz damit. Okay?«

      Sheliza nickte dankbar. Holly Peterson warf Henry Huxley einen beunruhigten Blick zu. Die junge Muslimin tat so, als hätte sie ihn nicht bemerkt.

      *

      »Mein Gott, was bist du doch für ein Tölpel«, herrschte Shamee den Bediensteten an, »wie kann man nur so blöd sein und mir dieses Zuckerzeug bringen.«

      Angewidert stellte sie das Glas Cola zurück aufs Tablett, das Carlos, der zwanzigjährige neue Angestellte des Hauses ihr immer noch vorhielt. Wie sollte er auch wissen, dass Cola bei Shamee stets den unausgesprochenen Zusatz Zero trug? Gertenschlank war diese Chinesin doch, mager wie ein Bambusrohr.

      »Abmarsch. Bring mir das Richtige.«

      Es war sein erster Arbeitstag und er hatte die anwesenden Familienmitglieder erst vor wenigen Stunden und auch nur ganz kurz kennengelernt, war vom Major Domus, Aílton Santoro, bis eben noch in den Haushaltsbetrieb der Lings eingeführt worden, wurde von ihm zu seinem ersten Einsatz nach oben und zu dieser hochnäsigen Pute geschickt, die Sturm geklingelt hatte, als gälte es einen Großbrand zu löschen.

      »Sehr wohl, Senhorita Shamee Ling«, versuchte er freundlich zu bleiben, was ihm nicht ganz gelang, denn seine Stimme drückte durchaus auch den großen Ärger aus, den er verspürte, »ich bin gleich zurück.«

      »Tu bloß nicht so vornehm, du Kanaille«, meinte die Siebzehnjährige schroff, »wenn du mit mir auskommen willst, dann gewöhne dir rasch einen anderen Ton an, Freundchen. Frag Marta oder Aílton. Die können dir erklären, was Sache ist.«

      Sie entließ ihn mit einem abfälligen Winken ihrer Hand, hatte die Geste womöglich in einem Kostümschinken aus den 1950er Jahren gesehen und sich vor dem Spiegel selbst beigebracht.

      Carlos nickte, nicht besonders tief, nicht besonders ehrerbietig, presste dabei seine Kiefer zusammen, konnte so die spitze Antwort auf seinen Lippen zurückhalten, drehte sich abrupt weg und verschwand. Er war auf den Verdienst in diesem Haus dringend angewiesen, musste seine Mutter und die beiden jüngeren Geschwister finanziell unterstützen, die noch zur Schule gingen und mehr aßen, als erwachsene Männer und trotzdem ständig ein Loch im Bauch fühlten. Nachdem er die Stelle in der Kartonfabrik verloren hatte, mussten sie drei Wochen lang sogar hungern, so knapp waren ihre Geldmittel. Doch die Miete für die Dreizimmer-Wohnung ging nun einmal vor, denn ohne feste Adresse bekam man in der größten Stadt Brasiliens auf dem Arbeitsmarkt keinen Fuß mehr auf den Boden. Sein Onkel kannte zum Glück die Köchin des Hauses Ling. Sie vermittelte sein Vorstellungsgespräch mit dem Major Domus. Der hatte ihn eingehend befragt und auch getestet. Überglücklich erfuhr er am Vortag vom positiven Entscheid, war heute sogar eine Stunde früher als ausgemacht vor dem Gittertor des Anwesens erschienen, hatte beinahe fiebrig auf die vereinbarte Zeit gewartet. Der Lohn war recht gut, sogar besser als in der Fabrik, und die Arbeit erschien ihm ausgesprochen leicht. Etwas Dienern, Botengänge erledigen, bei Reparaturen mithelfen. Ja, einfach und angenehm, das hatte er zumindest angenommen, bis eben erst.

      Mit einem stummen Fluch auf den Lippen stieg er die Treppe zur Küche hinab. Unten erwarteten sie ihn am großen Tisch sitzend wie die Geier, der Major Domus Santoro, die Köchin Marta und das Hausmädchen Naara, das fürs Putzen und Bettenmachen angestellt war.

      »Und? Alles zufriedenstellend verlaufen?«, fragte ihn die Köchin beinahe anzüglich.

      »Du wusstest, dass sie Cola Zero erwartete?«

      Er stellte zwar die Frage, kannte jedoch längst die Antwort.

      »Wir dachten, es wäre nur gut, wenn du unseren Augenstern gleich zu Anfang richtig kennenlernst.«

      Die dicke Köchin sah ihn aufmunternd an.

      »Nimm´s dir nicht allzu schwer, mein Junge. Shamee schikaniert uns alle, wo sie nur kann.«

      »Dieser Philippine, dieser Chufu, der Freund von Mei Ling, wisst ihr, wie der sie nennt?«, fragte Naara anzüglich und sah die anderen triumphierend an.

      »The Shame«, meinte Major Domus Aílton Santoro trocken.

      »Und das bedeutet?«, fragte Carlos zurück, der kaum ein englisches Wort sprach.

      »Desondra

      Carlos sah ihn nachdenklich an. Die Klingel von oben meldete sich wieder und alle vier zuckten unter dem schrillen Dauergeläut zusammen. Zero wurde wohl dringend erwartet.

      »Ja, der passt«, gab Carlos zurück und beeilte sich.

      *

      Die wenigen Tage in der Schweiz hatten ihnen trotz allem gutgetan. Die vierzehnjährige Sheliza hatte zwar auch bei den Lederers zu Hause stets ein Kopftuch aufbehalten und eine Niqab übergezogen, sobald sie das Haus verließen. Doch im Gegenzug musste sie die Fragen der aufgeweckten sechsjährigen Alina über sich ergehen lassen. Warum sich verschleiern? Wozu dieser Abaya, der doch jede Frau so unförmig erscheinen ließ? Wieso ein Kopftuch sogar im Haus drinnen, wo doch gar kein Wind wehte?

      Die Vierzehnjährige hatte mehr als einmal hilfesuchend Henry oder Holly angeblickt, von ihnen jedoch nur ein nachsichtiges Lächeln oder Schulterzucken erhalten. Den Kampf mit der Kindergartenschülerin musste die Alawitin schon selbst bestreiten. Und so versuchte die junge Muslimin der noch jüngeren Christin glaubhaft zu vermitteln, dass sie sich unter den Tüchern weit sicherer vor neugierigen Blicken fühlte. Als aber die Kleine meinte, dass doch die Frauen im Dorf dies auch nicht täten und die Leute überall gleich wären und überhaupt, dass es doch höchstens eine Frage des Selbstbewusstseins sein müsste, da wurde Sheliza zornig.

      »Meine Religion verlangt das von mir«,