Kendran Brooks

Die neunschwänzige Katze


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gelassen hatte. Das war gestern gewesen, als sie ihr Freundin Cäcilia besucht hatte. Dort nahm sie sie mit ins Bad und ließ sie dort wohl liegen. Sie würde nach dem Mittagessen kurz bei Cäcilia vorbeifahren und sie holen. Die dumme Naara würde am Nachmittag bestimmt große Augen machen, wenn die Bürste auch ohne ihr Zutun auf einmal wieder vorhanden war.

      *

      Es wurde ein recht stilles Christfest für die Lederers. Chufu war in Brasilien geblieben, die Verwandten von Alabima in Äthiopien weit weg, Freunde oder gute Bekannte feierten mit ihren eigenen Familien. Alina freute sich sehr über die Geschenke, auch wenn sie nur einen Bruchteil von ihrem Wunschzettel erhalten hatte. Sie wusste seit letztem Jahr, dass nicht das Christkind oder der Weihnachtsmann, sondern die Eltern die Gaben kauften, quasi als Stellvertreter. Darum hatte sich die Sechsjährige diesmal besondere Mühe gegeben und viele leicht erfüllbare Wünsche aufgelistet, um Alabima und Jules in keine Bedrängnis zu bringen. Der große Tannenbaum im Wohnzimmer mit den vielen, dieses Jahr für einmal sehr bunten Kugeln und den echten Kerzen, hatte sie mit ihrem Vater zusammen auf dem Markt ausgesucht und nach Hause gebracht. Mit ihrer Mutter zusammen wurde er danach geschmückt. Nur auf Lametta musste die Sechsjährige verzichten, denn ihre Mutter wollte dieses Jahr einen recht festlichen, aber zurückhaltenden Baum, keine Glitzerpyramide. Jules trat wenig später mit künstlich aufgesetzter, wichtigtuerischer Miene ins Wohnzimmer, trat vor die geschmückte Tanne, inspizierte sie so streng wie ein Ausbilder in der Armee seine Rekruten, nickte manchmal zufrieden, runzelte ein anderes Mal seine Stirn, ging einen Schritt zurück, kniff die Augenlider etwas zusammen, trat wieder hinzu, hob seinen Arm, berührte eine der Kugeln, so als wollte er sie verschieben, wohl um das Gesamtbild zu verbessern, tat es dann doch nicht, sondern nickte ernst, aber zustimmend.

      »Ja, okay. Ihr könnt abtreten«, meinte er gönnerhaft zu den beiden Frauen.

      Alabima lächelte nur milde, denn Jules hatte ihr schon vor Jahren die Geschichte eines seiner flüchtigen Bekannten erzählt. Der hatte sich nämlich vor ihm damit gebrüstet, dass seine Frau und seine beiden Söhne jeweils den Baum schmücken durften, während er selbst erst am Ende noch korrigierend eingriff, um ihm quasi den letzten Schliff zu verpassen. Auf die Rückfrage von Jules, ob das seinen Kindern und der Ehefrau nicht grässlich auf die Nerven ginge, meinte sein Bekannter voller Überzeugung: »Nein, meine Frau und meine Söhne freuen sich über die Korrekturen und versichern mir stets, wie schön der Baum doch erst dank meiner Hilfe ausschaut.«

      Sein Bekannte merkte nicht einmal, wie er mit seinem rücksichtslosen Verhalten den größten Teil des Weihnachtszaubers regelmäßig zerstörte. Aber vielleicht war ihm das nach dem Einreichen der Scheidungspapiere endlich klar geworden, wahrscheinlich aber nicht einmal dann.

      Alina jedoch hatte ihrem Vater stirnrunzelnd zugeschaut. Und ihre Augen hatten gefährlich zornig aufgeleuchtet, als der seine Hand nach einer der Kugeln ausstreckte. Mit geradem Rücken hatte die Kleine verharrt, behielt ihre Arme hinter ihrem Rücken verschränkt und stand trotzdem bereit, sogleich dazwischen zu springen, falls sich ihr Vater erdreisten sollte, an ihrem Werk mit der Mutter etwas zu verändern. Nur langsam entspannte sich die Tochter nach den Worten ihres Vaters wieder, schnaufte noch einmal durch ihre Nase, wie ein gereizter Stier durch seine Nüstern. Doch dann drehte sich Jules rasch zu ihr hin, hob sie hoch und wirbelte sie herum.

      »Reingefallen, Prinzessin. Ihr habt großartige Arbeit geleistet. Und ich werde mich hüten, auch nur eine Kerze oder eine Kugel anzurühren. Der Baum ist einfach perfekt.«

      Nach dem Abendessen zündeten sie die Kerzen an, löschten alles übrige Licht, sangen gemeinsam zwei Lieder, danach sprach Alina ein kurzes Gedicht, das sie im Kindergarten gelernt hatte. Und während ihre Tochter die Geschenke öffnete, sich freute und sich immer wieder bei ihren Eltern bedankte, saßen Jules und Alabima eng beieinander auf dem Sofa, spürten die Wärme ihrer Körper, hielten sich an den Händen gefasst.

      *

      Sie waren in die St. Pauls Kathedrale gegangen, nicht zur Mitternachtsmesse, sondern bereits um fünf Uhr am Nachmittag. Sheliza trug ihren Abaya, hatte auf den Niqab jedoch für dieses Mal verzichtet, trug nur eine Hidschab. Einige Kirchengänger betrachteten die Muslimin trotzdem stirnrunzelnd, die meisten lächelten sie jedoch freundlich an, dachten sich wohl, sie schnuppere an der älteren Weltreligion, könnte sich für sie möglicherweise erwärmen. Henry, Holly und Sheliza blieben im hintersten Teil der Kirche, gleich neben dem Eingang, stehen, nahmen auch nicht aktiv an der Messe teil, hörten sich die Orgelklänge und den Chorgesang an, folgten der Zeremonie mit den Augen, achteten kaum auf die Predigt. Hinterher, auf dem Nachhauseweg, den sie gemütlich zu Fuß zurücklegten, auf dem sie auch ein paar der noch offenen Geschäfte besuchten und zu einer Tasse Tee bei Fortnum & Mason einkehrten, da sagte Sheliza plötzlich, sie standen zu dritt am Zebrastreifen vor dem Ritz und warteten auf das Umschalten der Fußgängerampel: »Danke«.

      »Wofür bedankst du dich?«, fragte Holly ruhig zurück.

      »Dafür, dass ich bei euch sein darf, hier in London, in Sicherheit.«

      Holly legte ihren Arm um die Schulter des Mädchens, drückte sie sanft.

      »Du bist eine große Bereicherung für unser Leben, Sheliza. Ich möchte dich unter keinen Umständen mehr missen.«

      Die Vierzehnjährige sah die Mitte-Vierzig-Jährige skeptisch an.

      »Bei all den Schwierigkeiten, die ich euch mache?«

      »Was für Schwierigkeiten?«, gab die Britin zurück, »du machst uns doch keine Probleme?«

      Damit log sie zwar und die junge Alawiten wusste das auch. Doch die Muslimin hatte mittlerweile genug über englische Umgangsformen erfahren, so dass sie die Unwahrheit akzeptieren konnte.

      Sie gingen weiter, kamen an den Auslagen des Caviarhouse vorbei, blieben vor dem Schaufenster kurz stehen.

      »Diese Preise?«, jammerte Sheliza einmal mehr, »wenn du dir nur vorstellst. Eine Flasche Champagner für über 500 Pfund? Ich glaube, in ganz al-Busayrah lebt kein einziger Mensch, der so viel Geld in einem ganzen Monat verdient. Das ist doch nur noch dekadent.«

      »Die Menschen haben nun einmal sehr unterschiedliche Bedürfnisse und finanzielle Möglichkeiten. Auch Familie Assad in Damaskus wird bestimmt mit solch teurem Champagner zu Silvester anstoßen. Oder noch teurerem.«

      Henry sagte es ruhig zum Mädchen, hoffte, dass sein Hinweis auf den offiziellen Herrscher Syriens die junge Muslimin etwas weniger hart über den Westen urteilen ließe.

      »Das ist aber nicht Allahs Wille«, kommentierte die Alawitin jedoch ungehalten, »wie kann man nur Geld für solch einen überflüssigen Luxus ausgeben, während hunderte von Millionen Menschen im Elend leben und sogar hungern müssen?«

      Henry legte seine Hand väterlich auf ihre Schulter, doch die Vierzehnjährige schüttelte sie rasch ab. Der Brite schaute sie aufmerksam, aber nicht enttäuscht an.

      »Weißt du, Sheliza, in deinem Alter waren auch Holly und ich über die Welt aufgebracht, konnten sie nicht verstehen, wollten sie verändern, zum Besseren führen.«

      »Und? Was ist daraus geworden?«

      Ihre Fragen kamen spitz und diesmal angriffslustig zurück. So leicht wollte sie sich nicht beruhigen oder gar einlullen lassen.

      »Wenn man älter wird und mehr von der Welt gesehen hat, zieht man andere Vergleiche, als wenn man noch so jung und unerfahren ist.«

      »Was für andere Vergleiche

      Die junge Muslimin betonte die letzten beiden Worte auf verächtliche Weise.

      »Nun, du siehst dir zum Beispiel die verschiedenen Wirtschaftssysteme an, solche, die von der Religion beherrscht werden und auch andere, die vom Staat gelenkt werden und in denen alle Menschen gleichwertig behandelt sein sollten. Und dabei erkennst du, dass der Mensch einfach nicht perfekt genug ist, um ein solches System wirklich gerecht aufzubauen, es zu steuern und zu kontrollieren, so dass es tatsächlich allen gleich gut geht. Oder du findest heraus, dass wir Menschen ganz einfach nicht fürs Paradies auf Erden geschaffen sind.«

      »Wofür