A. Wolkenbruch

Schmetterlinge im Kopf


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Kartoffeln, Nudeln oder reis zu suchen. Und wo waren Mehl und Eier? Sie verließ den Keller und holte einen Zettel und einen Stift von Adrians Schreibtisch. Dann setzte sich an den Küchentisch, um einen Einkaufszettel zu machen. Willhelm kam herein. Er schlurfte zu seinem Stuhl und setzte sich. „Kannst du mit der Waschmaschine umgehen?“ Nora tat, was sie konnte, eins nach dem anderen.

      Sie hatte eine neue Leiter aus dem Baumarkt besorgt und verpaßte nun den letzten sieben Bäumen einen Pflegeschnitt. Sie war nun froh und stolz, wenn sie die Obstwiese betrachtete. Die Bäume wirkten stark und jung.

      Es war weiterhin schwierig, genug Zeit für einander zu finden. Auch wenn Nora auf dem Hof war, übernahm sie nicht die volle Verantwortung für den Haushalt. Sie hat ihr Studium im Kopf, dachte Adrian. Und sie muß auch tun, was sie für richtig hält. Er würde auch nicht verlangen, daß sie alles für ihn aufgab.

      Aber wie sollte es bloß weitergehen? Maria fehlte überall. Er hatte sie nie so deutlich wie seinen Vater wahrgenommen. Aber jetzt spürte er, daß sie es gewesen war, die alles zusammen gehalten hatte. Trotz all der Ungerechtigkeiten, die sie immer wieder ertragen hatte. Diese Gewißheit schmerzte ihn.

      Adrian war nun rund um die Uhr mit der Ernte beschäftigt. Er mähte das Gras und das Getreide und fuhr es in die Scheunen. Bald wäre auch der Mais an der Reihe. Nora half ihm, wo sie konnte. Manchmal, wenn sie sich nach Ruhe sehnte, stieg sie die Leiter zum Heuboden hinauf und setzte sich neben Falkos Käfig auf einen der duftenden Ballen. Hier oben war es still und dunkel. Manchmal wanderte sie über die Obstwiese und begutachtete die kleinen Früchte, die sich zu bilden begonnen hatten. Aber jedes mal, wenn sie durch den Garten ging, haftete ihr Blick sich streng an den verwilderten Beeten fest.

      Eines Tages faßte sie einen konkreten Plan. Es war ein Samstagmorgen und Willhelm und Adrian waren auf den alten Hollandrädern zum Stammtisch ins Dorf gefahren. Nora nahm Geld aus der Haushaltskasse und griff nach dem Autoschlüssel, der am Schlüsselbrett hing. Es war der Schlüssel für den Mercedes. Sie schlich sich aus dem Haus, als wäre jemand da, der sie und ihre heimlichen Machenschaften bemerken könnte. Langsam schob sie das Garagentor nach oben. Als sie den Schlüssel drehte und das Gaspedal betätigte, machte der Wagen einen gewaltigen Satz nach vorne. Nora schrie erschrocken auf. Ihr Herz hüpfte unruhig. Sie versuchte es ein zweites mal mit etwas weniger Druck auf dem Gaspedal. Das Auto fuhr an. Sie fuhr über den Hof zur Scheune, wo der Anhänger stand und parkte den Wagen davor. Das Tor war schwer und sie mußte ihre gesamte Kraft aufbringen, um es aufzuschieben. Den Anhänger zog sie ebenfalls unter Einsatz all ihrer Körperkräfte. Da es aber auf dem letzten Stück leicht bergab ging, rollte er von selbst auf den Mercedes zu. Nora konnte gerade noch zur Seite springen und zusehen, wie die Zugleiste des Anhängers gegen die Stoßstange des Mercedes rammte und der Anhänger schräg hinter dem Auto zum Stehen kam. „Nein“, flüsterte sie mit erstarrtem Blick. Aber in ihrem Kopf begann sich etwas zu drehen. Ein leichtes Schwindelgefühl kitzelte ihr Gehirn. „Halb so schlimm“, hallte es dort, „dafür wird der Garten umso schöner.“ „Ja“, sagte sie, „ja!“ Sie zerrte den Anhänger so zurecht, so daß sie ihn an den Mercedes ankuppeln konnte. Sie versuchte, die Beule an der Stoßstange zu ignorieren. Fröhlich pfeifend schwang sie sich hinter das Lenkrad. Sie drehte das Radio weit auf und sang mit. „Das bin ich, das bin ich, das allein ist meine Schuld...“. Sie mußte Lachen, weil der Text so gut paßte. Auch das, was der Radiomoderator sagte, mußte für sie bestimmt sein. Vielleicht wurde der Hof ja abgehört und was sich dort abspielte zu kleinen Beiträgen zusammen geschnitten im Radio gesendet? Und sie bekam jetzt Zuspruch von dem Moderator. Unterhaltsam wäre eine Eichhof- Dinker- Soap bestimmt, dachte sie schmunzelnd. Und sie würde sich standhaft zeigen, würde weiterhin das Gute vertreten und tun, was sie könnte, um den Pflanzen und Tieren beizustehen. Und natürlich Adrian. Adrian. Er war bestimmt stolz auf sie. Ein Auto kam ihr entgegen. Die Straße war sehr eng und so fuhr sie an den Rand, um dem entgegenkommenden Fahrzeug nicht im Wege zu sein. Nora erkannte Paul hinter dem Steuer und winkte ihm fröhlich mit einer Hand zu. Er winkte freundlich zurück. Sie war nun ein gutes Stück auf der Landstraße gefahren. Sie fühlte sich stark und Vorfreude erfüllte sie, als sie auf den Parkplatz des Gartencenters bog.

      Adrian und Willhelm hatten sich am Nachmittag auf den Heimweg gemacht Willhelm hatte während de Stammtisches so viel getrunken, daß sein Fahrrad jetzt hin und her schlingerte. Er war durch eine Pfütze gefahren und die Reifen seines Fahrrades hinterließen Wellen auf dem Asphalt. Konzentriert behielt Willhelm die Straße und die Grasstreifen links und rechts von ihr im Blick. Er wußte, was passieren konnte, wenn das Fahrrad von der Straße abkam. Adrian fuhr voraus. „Vorsicht“, rief er über die Schulter Willhelm zu, „wir müssen jetzt abbiegen!“ Dann bog er nach links ab, auf den langen Teerweg, der zum Hof führte. Als er durch die Einfahrt fuhr, war er irritiert. Mitten auf dem Hof stand der Mercedes seines Vaters. Der Anhänger war an ihn angekoppelt und die Rückklappe war geöffnet. Die Reifen von Mercedes und Anhänger waren lehmverschmiert und der Dreck war bis an die Fensterscheiben gespritzt. Die Garage war geöffnet und der Gartenschlauch war bis auf den letzten Zentimeter abgerollt und verschwand hinter der Hauswand im Garten. Die Haustür stand offen. Ein Kabel führte aus der Steckdose im Flur hinaus zu einem Radio, das neben der Haustür stand. Laut hallte die Musik im Innenhof wieder. Adian, der von seinem Rad gestiegen war, ging auf das Gerät zu. Mit einer Hand zog er wütend an dem Kabel, so daß der Stecker im Flur aus der Steckdose und auf die Fliesen fiel. Adrian sah seinen Vater langsam durch die Einfahrt fahren und überlegte, ob er zu ihm gehen oder Nora suchen sollte. Er entschied sich für letzteres und folgte dem Gartenschlauch hinter das Haus. Dort hockte Nora. Ihre Hände steckten in derben Handschuhen und schoben große Erdbrocken in eine Vertiefung.An einigen Stellen konnte man Spuren von Mist erkenne, den Nora vermutlich in das Loch gefüllt hatte. In diesem stand ein junger Apfelbaum. Nora drückte die Erdklumpen über seinen Wurzeln so sorgfältig fest, daß sie Adrian nicht bemerkte. Dann stand sie auf und tippelte ,mit ihren Füßen den Boden festtretend, um den Baum herum. Er ließ seinen Blick schweifen. Die Beete waren umgegraben und ein Brombeerbusch war gestutzt worden. Auf der Rasenfläche lagen wild verteilt ein Spaten, eine Rosenschere und eine Astschere, so wie unzählige schmale Zaunlatten und einige dickere. Ein Sack Zement und eine große Plastiktüte, so wie verschiedene Kräuter in kleinen Plastiktöpfen vervollständigten das Chaos. Adrian verschränkte die Arme vor seiner Brust und sah zu Nora, die sich jetzt aufrichtete und seien Blick erwiderte. „Oh, hallo. Ich habe mich schon gewundert, wieso das Radio auf einmal nicht mehr zu hören war!“

      „Du hast einfach Vaters Auto benutzt. Ohne ihn zu fragen!“

      „Es sollte eine Überraschung sein.“

      „Ja, das wird ihn auch überraschen! Du tust auch wirklich alles, um ihn zu ärgern!“

      Wenn schon, dann um ihn zu verärgern, dachte Nora wütend und machte sich wortlos daran, die Dinge, die auf dem Rasen lagen, in die Garage zu tragen. Adrian sah ihr stur dabei zu. Nun lag nur noch der Zementsack dort. Adrian seufzte und schleppte ihn hinter Nora her, die gerade in der Garage verschwunden war. Sie sah zu, wie er den Sack unter das schmale Metallregal schob. „Wozu brauchen wir eigentlich noch einen Apfelbaum im Garten, wo wir doch die Obstwiese haben?“, fragte er.

      „Es ist ein ganz besonderer Apfelbaum.“

      „...Haben die dir im Baumarkt erzählt!“ Adrian schnaubte abfällig.

      „Nein. Ich habe mir einen Katalog zukommen lassen und dann diesen Baum bestellt. Ich wollte genau diesen Baum genau hier pflanzen. Er heißt John Downie und ist eine sehr alte und sehr zähe Sorte. Er wird schmackhafte Früchte tragen und dem Bärlauch Schatten spenden, die ich unter ihm pflanzen werde.“

      „Ich muß jetzt nach Willhelm sehen. Er könnte unglücklich fallen.“ Adrian verließ die Garage.

      Nora lehnte sich an das schmale Fensterbrett. Plötzlich fühlte sie sich traurig und sie fragte sich, wie sie jemals wieder zur Uni gehen sollte. Sie konnte sich beim besten willen nicht mehr vorstellen, in einem der Hörsäle zu sitzen und dem Lernstoff zu folgen. Bei diesem Gedanken wurde sie von Panik ergriffen. In zwei Wochen fing das Semester wieder an. Sie fühlte sich einsam. Wenn Adrian nur etwas mehr Zeit hätte, damit sie miteinander reden könnten. Das würde aber bestimmt nach der Ernte wieder besser. Sie seufzte und stand