A. Wolkenbruch

Schmetterlinge im Kopf


Скачать книгу

lehnte ebenfalls an dem kalten Sein. Sie sah, daß er zitterte. Dann sank er in eine gehockte Haltung und schlug seine Hände vor die Augen. Seine Schultern bebten. Nora hockte sich neben ihn und streichelte seine zuckenden Schultern. Sie merkte, wie er krampfhaft versuchte, sich zu beruhigen. Er wischte sich die Tränen mit seinen offenen Handflächen ab. „Der Wagen ist längst Schrott“, murmelte er.

      „Versuch es noch einmal“, sagte Nora sanft. Adrian nickte, „Entschuldige.“

      „Ich komme mit, wenn du möchtest.“ Er nickte wieder.

      Als sie eine knappe Stunde unterwegs waren, fiel Nora ein, daß sie ein paar Dinge hätte mitnehmen sollen, die Maria im Krankenhaus brauchen könnte. „Wenn sie ein paar Dinge braucht, können wir sie ihr ja später noch vorbei bringen“, sagte sie. Sie war nicht sicher, ob Adrian ihr zugehört hatte. Er konzentrierte sich mit eiserner Miene auf den Stadtverkehr.

      Sein Vater kam ihm fremd vor. So hatte er ihn noch nie gesehen. Er schien geschrumpft zu sein. Traurig und verlassen wirkte er in der großen Eingangshalle des Krankenhauses. „Papa?“

      „Ach ....ihr seid es.“

      Ein Arzt kam und teilte Adrian und Nora mit, daß Maria einen schweren Herzinfarkt erlitten hätte. Sie hätten alles getan, was möglich gewesen war, aber das Herz war schon so geschwächt gewesen, daß es diesen schweren Infarkt nicht überlebt habe.

      Sie fuhren zu dritt nach Hause. Es war jetzt die Zeit, zu der die Bullen ihr Futter erwarteten und Adrian ging in den Stall. Nora machte Kaffe und schmierte Brote und holte ein paar Boskop- Äpfel aus dem Keller, die sie dazu legte. Willhelm saß unbeweglich am Tisch und schaute ihr zu.

      Als Adrian in die Küche kam, saßen Nora und Willhelm schweigend am Küchentisch. Nora schenkte Adrian eine Tasse Kaffee ein. „Ich muß gleich nach Hause fahren....Mein Frettchen hat seinen Vorrat an Wasser und Futter vermutlich aufgebraucht.“

      Willhelm schenkte sich eine Tasse von seinem Tee ein. Schwerfällig, als zöge ihn eine tiefe Traurigkeit nach unten, hob er die Teekanne deutlich langsamer als gewohnt an. Er bemerkte zu spät, daß seine Tasse voll war und der über den Rand laufende Tee bildete einen kleinen See rund um Willhelms Tasse. Es schien ihn nicht zu stören. Vielleicht hatte er es auch gar nicht bemerkt. Adrian schaute ihn sorgenvoll an.

      „Adrian, ich muß nach Hause. Mein Frettchen muß versorgt werden. Sonst gibt es noch einen Toten.“ Nora biß sich auf die Unterlippe. Was plapperte sie für einen Unsinn? Aber sie mußte nach Hause.

      „Soll ich dich zum Bahnhof bringen?“

      „Ja, in zwanzig Minuten fährt der Zug.“

      Adrian schaute zu seinem Vater herüber. Willhelm erschien ihm so ohne Willen, ohne seine sture Zähigkeit, so ruhig und still, wie Adrian ihn noch nie erlebt hatte. Als wäre etwas in ihm erloschen. Das machte ihm Angst. Und Angst machte ihm auch, daß Nora fahren wollte. Vielleicht war das mit dem Frettchen nur vorgeschoben. Vielleicht scheute sie sich vor den Verpflichtungen, die ihre Beziehung jetzt vielleicht beinhalteten könnte.

      „Willst du wirklich fahren?“

      „Ich muß....Ich muß morgen auch zur Uni. Morgen ist das letzte mal vor der Prüfung.“

      Willhelm stöhnte, stand auf und verließ den Raum. Durch das Küchenfenster sahen sie ihn über den Hof gehen. Sein Rücken war vorgebeugt und sein gang hatte etwas Schlurfendes. Nora stand jetzt ebenfalls auf und begann den Tisch abzuräumen. Adrian nahm die letzte Scheibe Brot, die mit Schinken belegt war, und aß sie. Nora stand jetzt mit dem Rücken zu ihm und räumte die Geschirrspülmaschine ein. Während sie den letzten Teller in der Hand hielt begann sie zu zittern. Unsicher schob sie ihn in das Gestell und klappte die Tür der Maschine zu. Immer noch blieb sie mit dem Rücken zu Adrian stehen und legte eine Hand auf ihren Mund, währen sie aus dem Fenster blickte. Tränen rannen still über ihre Wangen. Adrian stand jetzt auf und trat von hinten an sie heran. „Weinst du?“, fragte er vorsichtig. Sie schüttelte den Kopf. Ganz sanft war seine Stimme jetzt, „Hey...“. Er schlang von hinten seine starken Arme um sie. Nora seufzte. Das tat so gut. Sie schluckte die Verzweiflung herunter. Er küßte sie auf die Wange, die ganz feucht war und als er seine Lippen mit der Zunge ableckte, schmeckte er Salz. Er küßte ihr Haar und sah zur Uhr. „Nora, wir müssen uns beeilen, wenn du den Zug noch bekommen möchtest.“ Sie nickte.

      An dem Tag der Beerdigung herrschte frisches Frühlingswetter. Die Sonnenstrahlen blitzten immer wieder zwischen den Wolken hervor und ein leichter Wind wehte. Nora stellte sich vor, daß Maria dieses Wetter schickte, um alle aufzumuntern.

      Nach dem Gottesdienst waren alle zum Kaffeetrinken in den nahegelegenen Gasthof eingeladen. Es gab Blechkuchen: Streuselkuchen, Bienenstich und Apfelkuchen. Annegreth hatte sich neben Nora gesetzt. „Es ist schon komisch, ich kannte Maria kaum“, murmelte Nora. Annegreth nickte und berührte mit ihrer Hand Noras Unterarm. „Mein Mann ist mit ihr zur Schule gegangen“, sie wandte sich nach links, „Norbert, sag du es. Wie war Maria?“ „Ach unser Marieken. Bescheiden war sie, hat nie etwas verlangt.“ „Du mit deinen blöden Sprüchen, Norbert“, polterte Willhelm und sagte den ganzen Tag nichts mehr.

      Wurzeln

      Nora hatte die Prüfungen knapp bestanden. Sie war froh, daß nun die Semesterferien begonnen, denn sie fühlte sich oft nicht mehr richtig ausgeruht. Sie war nervös und konnte manchmal lange nicht einschlafen. Adrian hatte ihr angeboten, das Frettchen mitzubringen, damit sie nicht gezwungen wäre, während der Ferien so oft hin und her zu fahren. Das tat sie. Falkos Käfig wurde auf den Heuboden gebracht. Nora liebte den Heuboden. Hier roch es immer nach Spätsommer, nach getrocknetem Gras. Immer, wenn sie Adrian im Stall half, konnte sie Falko einen Besuch abstatten. Aber in dem Haus fühlte Nora sich nicht wohl. Es gab so viele Zimmer, die nicht genutzt wurden. Hier waren die wenigen Möbelstücke mit Tüchern abgedeckt und Staub und lange Spinnennetze ließen eine gleichgültige und trostlose Atmosphäre entstehen. Und draußen taten ihr die Obstbäume leid. Tote Äste hingen auf jungen Trieben , ließen ihnen keinen Raum zum Wachsen. Und wo die Äste aufeinander lagen, breitete sich Pilzbefall aus. Es schienen sich auch nicht viele Früchte zu entwickeln. Nora bat Adrian um eine Astsäge. Dann suchte sie in der Scheune, in der die Maschinen untergebracht waren, nach einer Leiter. Schließlich fand sie eine in dem Schuppen , in dem das Feuerholz lagerte. Nun machte sie sich daran, den Apfelbäumen einen Gesundheitsschnitt zu verpassen. Die Leiter knarrte gefährlich. Als Nora die Leiter an den dritten Baum gelehnt hatte und eifrig die Sprossen hinaufstieg, brach eine der oberen unter ihrem Schuh ab. Sie konnte gerade noch einen gesunden Ast ergreifen und sich an ihm festhalten. Ihr Fuß ertastete eine Sprosse und sie belastete diese vorsichtig, um sicher zu sein daß sie hielt. Adrian kam und nahm Nora die Leiter weg. Sie dachte, er würde sie in seine Werkstatt tragen, um sie zu reparieren und war erleichtert, als sie ihn zum Schuppen gehen sah, wo er sie zerkleinerte und zu Feuerholz legte. Sie schichtete die toten Äste ebenfalls dort auf. „Ich würde ja gern noch die anderen Bäume pflegen“, sagte sie.

      „Hättest du nicht Lust, uns was zu Essen zu machen?“

      „Okay..“

      Im Keller standen viele Gläser mit eingemachtem Obst und Gemüse. Marias Erbe, dachte Nora. In der riesigen Gefriertruhe lagerte Fleisch in Form eines ganzen Fasanen und einzeln verpackte Fleischstücke, alles fein säuberlich beschriftet. Alles selbst gemästet oder gejagt, dachte Nora ehrfürchtig. Aber es machte sie irgendwie auch sehr glücklich. Sie war so erdverbunden, daß sie gern den Kreislauf der Nahrung nachvollzog. Je weniger kompliziert und umweltschädlich, je ursprünglicher und tierfreundlicher, desto besser. Ein leichter Groll kam in ihr auf, als ihr bewußt wurde, daß Willhelm ihre Neigung nicht erkannte. Oder er erkannte sie und verstand nicht, daß sie, Nora und er, Willhelm, durch diese Neigung miteinander ähnlich waren. Daß diese Ursprungsliebe sie verband. Nein, dachte Nora wütend. Er stempelt mich als ahnungslose Stadt- Öko- Tussi ab und denkt vermutlich ich finde ihn konservativ und weltfremd. Aber, dachte sie, wir müssen uns ja nicht mögen. Ich muß ihm nicht gefallen. Hauptsache, sie gefiel Adrian. Sie seufzte. Neugierig