A. Wolkenbruch

Schmetterlinge im Kopf


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Die Männer führten eine hitzige Diskussion auf Plattdeutsch. Nora biß sich auf die Unterlippe. Sie stutzte. Kein Mercedes und kein Anhänger weit und breit. Konnte sie ihren Sinnen noch trauen? Sie schaute in der Scheune nach. Dort standen Anhänger und Mercedes. Erleichtert ging Nora zur Eingangstür. Durch das Küchenfenster drang wieder das Geschrei der Männer. Sie glaubte, mehrfach ihren Namen gehört zu haben und drückte entschlossen die schwere Klinke. Als sie die Küche betrat, verstummten die Männer. Willhelm stand auf und im Vorbeigehen zischte er ihr zu: „Aber ganz doof bist du ja nicht, jetzt wo du schwanger bist, muß er dich ja nehmen!“ Eine Alkoholfahne wehte ihr entgegen und sie drehte den Kopf zur Seite, um ihr auszuweichen.

      Dann sah sie traurig zu Adrian herüber. „Vielleicht sollte ich schon jetzt wieder in meine Wohnung ziehen. Die Semesterferien sind ja sowieso bald vorbei“, sagte sie matt und ließ sich auf einen der Stühle sinken.

      Adrian saß ihr gegenüber. Seine Ellebogen waren auf die Tischplatte gestützt und sein Kopf ruhte auf den Innenflächen seiner Hände. „Ich finde es sehr schön, wenn du hier bist.“

      „Komm mit nach draußen! Ich muß dich John Downie richtig vorstellen!“

      Sie gingen in den Garten und betrachteten den jungen Baum.

      „Die Sorte ist 1875 in England entstanden, alter Adel also. Er bekommt feine, etwas längliche orangerote Früchte, die früh reifen und fallen. Er ist robust und wenig anfällig gegen Krankheiten!“ Ihre Augen leuchteten verliebt.

      „Aha.“

      „Hallo!“ Durch das Gartentor kam jemand auf sie zu.

      „Hallo!“, rief Nora

      „Hallo Paul!“

      „Wollt ihr euch setzen?“, Nora wies auf die Gartenstühle, „Ich hole euch etwas zu trinken.“

      Willhelm saß auf der Bank im Garten und sah verwundert in die Obstwiese. Sein Blick war auf den alten Holunderbusch gerichtet. Es sah aus, als lehne sich das Gehölz mit dem Rücken an die alte Scheune. Er stand in voller Blüte und die weißen Dolden lockten Insekten an. Unter dem alten Holunderbusch wucherten große Brennesseln. Dort erkannte Willhelm nun eine Person, die in gebückter Haltung stand. Er griff mit seiner rechten Hand an seine Brusttasche und zog die Brille heraus, um sie aufzusetzen. Jetzt konnte er erkennen, daß es Nora war. Sie hatte wieder die groben Arbeitshandschuhe angezogen und hielt mit einer Hand die Brennesseln fest. Weiter unten an den Stielen, knapp über der Grasnarbe, schnitt sie sie mit einem großen Küchenmesser ab. Sie hatte jetzt ein kleines Bündel zusammen und richtete sich langsam auf. Sie streckte sich und gähnte. Dann sah sie eine Weile auf das Bündel Brennesseln, das neben ihr lag. Jetzt schaute sie zu den Holunderblüten. An ihrer rechten Hosentasche hing eine Rosenschere. Über dem scharfen Metallende, mit dem man schnitt, hing faltig der dunkelblaue alte Arbeitspullover. Vermutlich hatte sie den einen Teil des Griffes hinein gesteckt in ihre Hosentasche gesteckt, dachte Willhelm. Das konnte er aus dieser Entfernung nicht erkennen. Nora griff jetzt zur Rosenschere und schnitt ein paar der cremeweißen Blüten des Holunderbusches ab. Wilhelm seufzte. Er beobachtete, wie Nora die Dolden auf das Bündel Brennesseln warf. Sie blieben aber nicht auf den Brennesseln liegen, so wie Nora es vermutlich erwartet hätte. Nach dem Aufprall auf dem weichen Bündel kullerten die Dolden auf das Gras der Wiese und lagen verstreut um die Brennesseln. Willhelm sah lächelnd zu, wie Nora die Dolden einsammelte und auf die Brennesseln drückte und das Bündel etwas vom Körper entfernt hielt. Sie trug ihre Beute durch das Tor, das Wiese und Garten verband und ging zielstrebig auf die Hintertür zu. Sie würdigte Willhelm keines Blickes. Aber er war sich sicher, daß sie wußte, daß er sie beobachtete. Nora verschwand hinter dem Haus. Kurze Zeit später kam sie mit dem langen Küchenmesser wieder. Eine Korb hing an seinem Griff über ihren linken Unterarm. Sie nahm wieder den kürzesten Weg durch den Garten, um durch das Tor auf die Wiese zu gelangen. Verwundert folgte Willhelm ihr mit den Augen. Sie wanderte jetzt mit gesenktem Blick über die Wiese. Sie schien etwas zu suchen. Willhelm schüttelte seinen Kopf und kratzt an seinem linken Ohr. Jetzt hockte sie sich plötzlich hin und stach das Messer in den Boden. Das erinnerte ihn an frühere Zeiten, als es nichts zu Essen gab und man essen mußte, was man in Feld, Wald und Wiese fand. Er schüttelte den Kopf. Er litt unter Noras Umständlichkeit. Er litt unter ihrer komplizierten Art und Weise.

      Nora war unendlich stolz. Sie hatte den Küchentisch geschmückt. Heute mittag hatte jeder eine große Servierte aus dünnem hellgrünem Papier auf seinem Teller liegen. Sie war eingerollt und auf den darum gewickelten Bastfaden war eine Zinnienblüte aufgefädelt. Eine alte Glasvase stand in der Mitte des Tisches. An ihren langen grünen Stielen schauten die unterschiedlich gefärbten Köpfe der Zinnien daraus hervor Neben jedem Teller stand ein Glas Orangensaft.

      Die Männer kamen wie jeden Tag pünktlich um zwölf Uhr in die Küche. Noras Wangen glühten.

      „Oh, ist heute was besonderes?“ Adrian war irritiert.

      „Nein. Aber irgendwie ist doch jeder Tag etwas besonderes, oder?“

      Willhelm pustete genervt Luft durch seine Lippen

      Adrin trat einen Schritt auf Nora zu. „Das sieht auf jeden Fall sehr schön aus“, flüsterte er.

      Hoffentlich schmeckt es ihnen, dachte Nora. „Nun setzt euch schon!“

      Sie stellte die große Salatschüssel auf den Tisch. „Das hier ist ein Gänseblümchen- Löwenzahn-Salat. Aus eigener Wiese.“ Dann stellte sie einen Topf auf dem Tisch ab. „Dies hier sind Pfifferlinge in einer mit abgekochtem Eichelmehl angedickten Sosse auf Fasan. Alles aus eigenem Wald.“ Sie ging wieder zum Herd. „Und dieser letzte Bestandteil des Hauptgerichtes sind Bratlinge aus eigenen Brennesseln und leider fremdem Mehl und Ei.“

      Adian und Willhelm bedienten sich an der Pilzsoße und dem Fleisch. Nora sah, wie Willhelm die Pilze genau untersuchte. Er wollte vermutlich sichergehen, daß es tatsächlich Pfifferlinge waren und keine Fliegenpilze, dachte Nora schmunzelnd und war zufrieden mit sich. Von dem Salat nahm nur Adrian und er ließ von der winzigen Portion den Großteil auf dem Teller liegen. Nora fand den Salat lecker. Sicher, die ersten Blätter im Frühling, die zart und hell waren, wiesen sicher weniger geschmackliche Bitterkeit auf als diese sommerlichen, großen, dunkelgrünen.... Sie spürte aber förmlich, wie gut ihr das Vitamin C der Gänseblümchen tat und wie der Löwenzahn ihren Bauch putzte. Das Kind muß gut gepflegt werden, dachte Nora. Ihr Bauch hatte sich bereits leicht gewölbt. Die Bratlinge wollte Willhelm nicht probieren. Adrian war etwas mutiger. Ganz langsam schnitt er ein kleines Stück ab und steckte es sich in den Mund.

      „Und?“

      Er nickte kauend. „Ja...Ja, das geht.“

      Nora war etwas enttäuscht. Aber was hätte sie anderes erwarten sollen? Maria hatte bestimmt immer nach dem Geschmack der Männer gekocht, der vermutlich auch ihrem entsprach. Ihr Leben lang hatten die beiden , Vater und Sohn, vermutlich eine geringe Auswahl an deftigen Gerichten gegessen. Vielleicht konnte man nicht verlangen, daß sie ihre Gewohnheiten so schnell änderten. Vielleicht konnte man auch gar nicht von ihnen verlangen, daß sie ihre Gewohnheiten veränderten. Aber sie hatte ja noch den Nachtisch! Und der entsprach nun sicherlich einem älteren Rezept! Nora räumte hastig den Tisch ab und deckte kleine Teller mit Vertiefung und Löffel auf. Dann setzte sie eine Auflaufform neben die Vase mit den Zinnien.

      „Dies hier“, sagte sie bedeutungsvoll, „ist die Nachspeise. Es sind Holunderblüten aus der eigenen Wiese in einem Teigmantel aus Ei, Mehl , Zucker und Butter. Man sagt auch „Hollakuchen“ dazu. Die Sosse besteht aus Brombeeren aus dem eigenem Garten.“

      Willhelm aß die Brombeersoße und stand dann auf. Schlurfend verließ er die Küche.

      „Schmeckt es dir denn wenigstens?“

      Adrian bemühte sich, deutlich zu nicken, während er an dem „Hollakuchen“ knabberte.

      Als sie schließlich allein mit dem dreckigen Geschirr in der Küche stand, verspürte Nora eine starke Müdigkeit. Sie öffnete die Klappe der Geschirrspülmaschine und stellte erschrocken fest, daß der Inhalt mit benutztem Geschirr gefüllt war. Sie war wütend. Es war egal,