Luca DiPorreta

EXTRA VERGINE


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Don Felice, der nun vor der raumhohen Glastür zur Terrasse stand, die Hände tief in den Taschen seiner Anzugshose vergraben.

      Carreras Stimme bekam einen drohenden Unterton.

      „Versuche nicht, uns Steine in den Weg zu legen! Risiken gehören zum Geschäft. Wir haben sie immer großzügig abgegolten. Es bleibt, wie wir es vereinbart haben.“

      Don Felice drehte sich um und blickte zu Carrera. Auch sei-ne Stimme wurde noch eine Spur bestimmter. „Die Risiken werden mir zu groß. San Vicente ist seit fünf Generationen Stammhaus meiner Familie. Ich bin euch weit entgegengekommen. Doch so kann und wird es nicht weitergehen.“

      Carreras Gesicht war ausdruckslos, als er Don Felices Blick erwiderte.

      „Halte dich an unsere Abmachungen!“, erwiderte er mit unüberhörbarer Schärfe. „Du hast unser Geld immer gerne genommen. Ohne den Vertrag und den Kredit wäre San Vicente pleite und der Ruf deiner Familie längst ruiniert.“

      Kapitel Sechzehn

      Don Felice war sich durchaus bewusst, dass sein grosser geschäftlicher Erfolg in den vergangenen Jahren weniger seinen unternehmerischen Fähigkeiten als der Zusammenarbeit mit der Organisation zu verdanken war. Mit deren Kapital hatte er sein Landgut und seine gesellschaftliche Position über all die Jahre hinweg halten können. Doch inzwischen hatte er sich neue Kapitalquellen erschließen können. Anders als noch vor einigen Jahren war er auf das Geld der Organisation nicht mehr angewiesen.

      Er drehte sich um und blickte Carrera direkt an.

      „Ich werde den Kredit zurückzahlen. Damit wird unser Vertrag hinfällig. Die Details besprechen wir in den nächsten Tagen.“

      Carreras Miene blieb ausdruckslos. Überrascht war er nicht. Er vermutete seit geraumer Zeit, dass Don Felice beabsichtigte, sich aus der Zusammenarbeit zurückzuziehen. Über sein weitverzweigtes Netzwerk hatte der Verwalter ins-geheim verfolgt, wie der Gutsbesitzer begonnen hatte, sich nach alternativen Finanzierungsquellen umzusehen. Offenbar hatte er inzwischen welche gefunden und glaubte, ihn und die Organisation damit loswerden zu können.

      Ob so viel Naivität konnte er nur den Kopf schütteln. Seine Stimme war leise, aber schneidend, als er auf Don Felices Ankündigung antwortete.

      „Du scheinst trotz unserer langjährigen und erfolgreichen Zusammenarbeit etwas Fundamentales nicht zu verstehen. Die Verträge mit uns werden nicht gekündigt. Niemals. Und von niemandem. Das brauche ich wohl nicht weiter auszuführen.“

      Don Felice sah Carrera wortlos an. Dann griff er nach sei-ner Aktenmappe.

      „Ich denke, dass wir uns schon einigen werden. Wir können heute ohnehin nichts mehr machen“, beendete er das Gespräch. „Ich lege mich ein paar Stunden aufs Ohr. Wir werden später entscheiden, wie wir weiter vorgehen.“

      Damit öffnete er die Bürotür.

      „Buonanotte“, sagte er mit einem knappen Nicken und verschwand im Dunkel des Flurs.

      Carrera blieb nachdenklich zurück. Hatte Don Felices Stim-me einen drohenden Unterton gehabt, oder bildete er sich das nur ein? Hatte er etwas in der Hand, mit dem er ihn, Carrera, erpressen konnte?

      Er zuckte mit den Schultern und setzte sich an sein Pult. Don Felice profitierte von den illegalen Aktivitäten, auch wenn er nur eingeschränkte Kenntnisse hatte von dem, was tatsächlich auf San Vicente geschah, seit Carrera und seine Leute die Leitung des Landguts übernommen hatten. Er würde sich nicht selber schaden wollen, indem er sich der Organisation in den Weg stellte und die sorgfältig aufgebaute Tarnung ihrer Aktivitäten gefährdete.

      Carrera verscheuchte diese Gedanken aus seinem Kopf und weckte einen der Monitore auf seinem Arbeitspult aus dem Stromsparmodus.

      Sobald er sich ins System eingeloggt hatte, erregte ein kleines, rot blinkendes Ausrufezeichen in der linken oberen Ecke des Bildschirms seine Aufmerksamkeit. Jemand musste in den vergangenen Stunden, in denen er selbst nicht eingeloggt war, in den abgesperrten Bereich des Systems eingedrungen sein. Das sollte nach Meinung der Experten, die er mit der Einrichtung des firmenweiten Netzwerks betraut hatte, eigentlich gar nicht möglich sein. Ein solcher Eingriff setzte Administratorenrechte voraus, über die auf San Vicente nur er verfügte.

      Mit ein paar Tastatureingaben öffnete Carrera eine Systemdatei und rief das im System gespeicherte Zugriffsprotokoll der vergangenen Tage auf. Er scrollte sich durch die eng beschriebenen Zeilen und suchte nach dem unerlaubten Eingriff.

      Lange musste er nicht suchen.

      Kapitel Siebzehn

      Das Login-File zeigte, dass erst vor einigen Stunden jemand von einem anderen Terminal aus auf eine passwortgeschützte Datenbank zugegriffen hatte, die außerhalb der normalen Systemarchitektur der Fattoria geführt wurde. Darauf hatten nur Carrera und zwei seiner Mitarbeiter Zugriff. In ihr speicherten sie sensible Informationen zum Herstellungsprozess des Olivenöls, das nicht in der alten Fattoria, sondern in der vom übrigen Gutsbetrieb abgetrennten und streng überwachten Ballonhalle im Valle Castagna verarbeitet wurde. Protokolle, Formeln, Mengenangaben, Mischverfahren, Zusatzstoffe, aber auch Informationen zu Lieferanten sowie geheime Angaben zu Abnehmern, Einkaufs- und Verkaufspreisen oder Transportwegen wurden dort abgelegt. Mit diesen Informationen konnte jemand, der sie zu interpretieren verstand, den komplexen Produktionsprozess nachvollziehen, mit dem die Organisation seit vielen Jahren ihre riesigen Gewinne erzielte.

      Carreras Miene wurde immer finsterer, als er mit einer Reihe von Befehlen den Pfad des Hackers zurückzuverfolgen begann. Schon nach wenigen Minuten erkannte er, dass der Einbruch in die geschützte Umgebung nur von einem Ort aus erfolgt sein konnte.

      Vom Büro Don Felices.

      Carrera lehnte sich in seinem gepolsterten Bürosessel zu-rück und betrachtete die Codezeilen auf seinem Bildschirm.

      Don Felice also. Wie zum Teufel war es ihm gelungen, in das „Darknet“ von San Vicente einzudringen? Doch er ermahnte sich sogleich, dass diese Frage im Moment nicht relevant war. Wichtig war nur eines: Was hatte Don Felice gesehen, womöglich sogar heruntergeladen, kopiert und irgendwo abgelegt? Oder, schlimmste aller Optionen, an Dritte weitergegeben?

      Er hämmerte eine Serie weiterer Befehle in die Tastatur. Für ihn, der als Einziger auf San Vicente mit allen Administratorrechten ausgestattet war, war es nicht schwierig, sich in Don Felices Terminal einzuloggen. Was er in nüchternen Codezeilen der Logfiles und Transaktionsdateien sah, bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. Der Gutsbesitzer hatte die gesamte gesperrte Fraktion der Harddisk ihres Servers heruntergeladen und auf eine externe Datenquelle überspielt.

      Don Felice kannte natürlich sowieso die meisten Details der Operationen, die auf San Vicente stattfanden. Aber längst nicht alle. Er wusste, dass sie hinten im abgeschotteten und permanent überwachten Valle Castagna im geheimen Produktionsgebäude aus der tonnenweise angelieferten billigen und meist schon verdorbenen ausländischen Olivenbrühe ein „erstklassiges“ toskanisches Olivenöl herstellten, das sie dann an unzählige Abnehmer nördlich der Alpen verkauften. Natürlich war er strikt dagegen gewesen, den guten Namen seines Olivenguts als Deckmantel für das schmutzige Geschäft mit gepanschtem Olivenöl zu benutzen. Doch er war finanziell zu stark von der Organisation abhängig, als dass er etwas gegen die Betrügereien hätte unternehmen können. Bisher war sich Carrera sicher gewesen, dass er den Mund halten würde. Die Organisation brauchte ihn und die Fassade der legalen Produktion in San Vicente als wichtigen Teil des Schutzwalls für ihre illegalen Aktivitäten.

      Schon seit geraumer Zeit hatte Carrera jedoch das Gefühl, dass Don Felice eine eigene, von den vereinbarten Zielen der Organisation abweichende Agenda verfolgte. Die materiellen Rahmenbedingungen hatten sich in den Jahren der Zusammenarbeit mit der Organisation sowohl für Don Felice selbst als auch für San Vicente zum Besseren verändert. Die offizielle Buchhaltung der Fattoria zeigte Jahr für Jahr steigende Gewinne, die scheinbar aus dem Verkauf der gutseigenen Produkte stammten: dem Olivenöl, dem Wein und den diversen Früchten,