Luca DiPorreta

EXTRA VERGINE


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leisten. Ich esse hier sonst meist alleine.“

      Mit einer Hand wies sie diskret auf die anderen Tische im Hof.

      „Die Leute wissen, dass ich gerne meine Ruhe habe. Aber wenn ich Gesellschaft möchte, setze ich mich auch an einen der langen Gemeinschaftstische.“

      Sie schenkte Max ein weiteres fröhliches Lächeln. „Oder ich lade mir selbst Gäste an meinen Tisch ein. So wie heute.“

      Max wurde etwas verlegen unter dem direkten Blick aus ihren braunen Augen. Natürlich konnte er ihr nicht sagen, dass sie ihm gefiel, so wie sie ihm lächelnd gegenüber sass. Aus leidvoller Erfahrung war er vorsichtig geworden mit Komplimenten über das Aussehen von Frauen. Seine verflossene Liebe Vivienne hatte ihm ihr feministisches Gedankengut näher gebracht, als das ihm oft lieb war. Besser jetzt nichts sagen als das Falsche.

      So lächelte er freundlich zurück und griff zur Speisekarte, die der Wirt vor sie hingelegt hatte. Auf Julias Empfehlung be-stellte Max zuerst die Ravioli mit Trüffeln und als Secondo die Scaloppine mit einem Pilzrisotto. Und ein zweites Bier.

      Julia schloss sich ihm mit ihrer Bestellung an. Auch sie ließ sich ein Moretti bringen, was Max mit einem anerkennenden Lächeln quittierte.

      „Bei uns trinken nur wenige Frauen Bier“, meinte er. „Ich weiß nicht warum, aber Bier gilt noch immer als Männergetränk.“

      „Das ist hier nicht anders“, bestätigte Julia. „Aber ich habe Bier schon als junges Mädchen lieben gelernt, ganz einfach deshalb, weil es immer schon billiger war als viele der Softdrinks. Früher, als mein Vater noch lebte, durfte ich ihn nach dem Markt hierher zum Mittagessen begleiten. Er trank dazu auch meist ein Bier, während er daheim keinen Alkohol berührte. Ich konnte jeweils den Schaum wegschlürfen. So habe ich den Geschmack lieben gelernt. Zu Hause trinke ich meist nur das Wasser aus meiner eigenen Quelle. Aber nach dem Markttag gönne ich mir entweder ein Gläschen Wein oder ein Bier und stoße auf etwas Erfreuliches an, das ich während der Marktstunden erlebt habe.“

      Die Bedienung brachte die bestellten Getränke. Die Gläser waren mit Feuchtigkeit beschlagen, ein Zeichen, dass sie, wie es sich gehört, im Gefrierschrank auf ihren Einsatz gewartet hatten.

      Sie hob das Glas und stieß mit Max an.

      „Auf Ihren hoffentlich spannenden Olivenbericht!“

      Beide nahmen einen kräftigen Schluck und wischten sich kurz den Schaum von den Lippen.

      „Und jetzt erzählen Sie mir, an was genau Sie arbeiten und was Sie von mir wissen wollen!“

      Doch bereits kam der Kellner mit den Ravioli und stellte die heissen Teller vor sie hin.

      „Oder besser, wir essen zuerst und widmen uns dann beim Espresso Ihren Fragen!“

      Die Ravioli und nachher die Kalbsschnitzel waren hervorragend, ebenso der Risotto, den er als Beilage bestellt hatte. Während des Essens fragte Julia ihn ein wenig aus über seinen Beruf und sein Olivenprojekt. Er gab gerne Auskunft und sagte ihr auch, dass er einige Wochen zu bleiben gedachte, je nachdem, wie er mit seinem Text vorankommen würde. Beiläufig erwähnte er das kleine Podere weiter oben am Monte Luco, das er von seinem Onkel geerbt hatte.

      „Na so was“, rief Julia überrascht. „Ich habe Ihren Onkel gekannt. Zwar nur oberflächlich, er ist selten ins Dorf gekommen und lebte offenbar ziemlich abgeschieden. Wenn er mal in der Bar Centrale war oder im Coop beim Einkauf, brachte er kaum mehr als einen brummigen Gruss über die Lippen. Die Casa Pineta kenne ich vom Hörensagen, aber ich war noch nie dort.“

      „Das müssen Sie aber schnell nachholen!“, forderte Max sie auf. „Allerdings sieht es noch nicht allzu gastlich aus bei mir. Doch ich arbeite daran!“

      Im Gegenzug erzählte sie ihm etwas über das Städtchen und die Umgebung. Max merkte rasch, dass sie zwar mehr redete als er, dabei aber kaum etwas zu sich selbst preisgab. Doch er wollte nicht nachhaken. Es würde sich sicher eine andere Gelegenheit ergeben, etwas mehr über sie und ihr Leben zu erfahren.

      Sie verzichteten beide auf das Dolce. Die Teller wurden ab-geräumt, und sie bestellten den obligaten Ristretto.

      Julia lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und blickte ihn an. „Jetzt sind Sie an der Reihe. Was möchten Sie denn wissen?“

      Kapitel Vierzehn

      Der Lunch hatte sich weit in den Nachmittag hinein-gezogen. Die Zeit war ihnen wie im Flug vergangen, und erst als der Wirt sie demonstrativ fragte, ob er noch etwas für sie tun könne, und ein Kellner die Stühle zurechtzurücken begann, blickte Julia erschrocken auf ihre Uhr.

      „Mamma mia, schon so spät? Ich muss heim, ich erwarte den Elektriker!“

      Max klappte sein Notizbuch zu und bedankte sich überschwänglich.

      Zu Max‘ großer Freude schlug Julia ihm bei der Verabschiedung vor, ihr Gespräch doch bald einmal fortzusetzen.

      „Du könntest bei mir vorbeikommen“, lud sie ihn ein. „Dann kann ich dir manches direkt im Olivenhain zeigen. Ich schicke dir eine SMS. Einverstanden? “

      Sie war umstandslos dazu übergegangen, ihn zu duzen, was er sogleich aufnahm. Er war selbst erstaunt, wie sehr er sich über ihre Einladung freute. Und das keineswegs nur wegen der Informationen für seinen Artikel. Er wollte sie unbedingt wiedersehen, das war ihm schon nach diesem ersten Treffen klar. Und ihre Einladung interpretierte er so, dass auch sie sich auf ein Wiedersehen freute.

      Max begleitete Julia zu ihrem Pickup, dann machte er sich auf den Weg zur Pineta. Gleich hinter dem Dorf begann die malerische Weinstrasse, die viele der renommierten toskanischen Weindörfer miteinander verband. Er passierte den Weiler mit dem schönen Namen Stellino, ehe er in die Passstraße zum Monte Luco einbog. Vor ihm öffnete sich das immer wieder atemberaubende Panorama aus Rebbergen und Olivenhainen, in dessen Mitte der mittelalterliche Flecken San Gusmé lag.

      Die Abzweigung zu seinem Nachtquartier in der Casacchia Guelfi ließ er diesmal links liegen und fuhr zügig weiter auf der asphaltierten Straße, die sich den Abhang des Monte Luco hinaufschlängelte. Nach etwa zehn Minuten erreichte er die Abzweigung, bei der ein hölzerner Wegweiser mit verwitterter schwarzer Farbe den Weg zur Casa Pineta wies. Er bog in die schmale Naturstraße ein und stand nach einigen hundert Metern vor dem hölzerne Tor, von dem aus ein schmaler, grasüberwachsener Fahrweg hinunter zur Pineta führte.

      Das Tor hing schief in seinen Angeln und gab einen ächzenden Ton von sich, als Max es einen Spalt breit öffnete. Die Zufahrt war einst mit Kies bedeckt gewesen. Inzwischen war sie mit Gräsern und unzähligen Arten von Unkraut überwachsen.

      Er stellte den Volvo gleich beim Tor ab, befreite Whisky aus seiner Box und ging einige Schritte den verwachsenen Weg hinunter. Als er das letzte Mal hier gewesen war, war es kühl und regnerisch gewesen. Die steinernen Mauern des Hauses hatten abweisend auf ihn gewirkt. Jetzt, im warmen Licht der nachmittäglichen Septembersonne, erschien ihm das Haus viel einladender. Auch das umliegende Gelände mit den verwilderten Olivenbäumen, der Allee aus Ziereichen und den mächtigen Maulbeerbäumen sah anders aus als in seiner Erinnerung. Er hatte den Eindruck, ein verwunschenes Paradies zu betreten.

      Rasch ging er über die zugewachsene Einfahrt zum Haus und die paar Stufen vom Vorplatz hinauf zum Eingang. Die Haustür war verschlossen. Er suchte den Schlüssel hervor und öffnete die Türe.

      Ein kurzer Rundgang durch das Haus bestätigte ihm, dass alles noch so war, wie er es in Erinnerung hatte. Wenn er sich ein paar zusätzliche Einrichtungsgegenstände besorgte und noch die eine oder andere Ausbesserung vornehmen liess, konnte er gut ein paar Wochen hier verbringen. Nach seinem letzten Besuch hatte er Leonardo einen Schlüssel überlassen und ihn gebeten, während seiner Abwesenheit hin und wieder zum Haus zu schauen und die dringendsten Reparaturen zu veranlassen. So war das Haus inzwischen wieder am Stromnetz der Gemeinde angeschlossen, und auch die Wasserversorgung funktionierte. Max erinnerte sich, dass das Wasser aus einer zum Gut gehörenden Quelle kam. Zwar floss aus den Leitungen zuerst nur rostgelb verfärbtes