Luca DiPorreta

EXTRA VERGINE


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liebsten hätte er dem Redakteur sogleich ein begeistertes „Super! Mach‘ ich!“ ins Handy gebrüllt. Stolz und Berufsehre verlangten jedoch, seine verzweifelte Lage nicht allzu deutlich zu zeigen. So besprachen sie miteinander kurz die wesentlichen Eckwerte bezüglich Inhalt, Textlänge, Ablieferungsdaten und natürlich Honorar und Spesen. Das Angebot, das sein Gesprächspartner ihm machte, war fair. Max war klar, dass der Kollege auf der anderen Seite der Leitung seine prekäre Lage erahnte und von seiner Zusage ausging. Doch sie kannten beide die Spielregeln.

      „Ich verstehe natürlich, wenn Sie etwas Bedenkzeit brauchen“, meinte der Redakteur entgegenkommend. „Ich bestätige Ihnen das Angebot per Mail. Es reicht, wenn Sie mir Ihre Antwort bis morgen mailen.“

      Max bedankte sich und hoffte, dass man seiner Stimme die Erleichterung nicht allzu deutlich anhören konnte.

      „Natürlich bin ich interessiert. Aber ich muss erst einige terminliche Abklärungen treffen. Ich denke, bis morgen weiß ich mehr.“

      „Wie gesagt, das ist kein Problem. Melden Sie sich einfach morgen oder übermorgen bei mir. Dann erledigen wir den administrativen Kleinkram für den Auftrag!“

      Max legte das Handy auf den Tisch. Die Welt sah wieder deutlich freundlicher aus. Und die hämmernde Werkstatt in seinem Kopf hatte ihre Aktivitäten weiter heruntergefahren.

      „Na also!“, sagte er zu Whisky, der mit treuherzigem Blick und schwanzwedelnd zu ihm aufsah und auf eine Belohnung für was auch immer zu warten schien.

      „Auf geht’s, nach Italien!“

      Kapitel Sieben

      Vor einigen Jahren hatte Max die Meldung einer toskanischen Behörde in seinem Briefkasten gefunden, dass ein unlängst verstorbener Onkel ihm in der Provinz Siena ein kleines Olivengut mit dem Namen La Pineta vermacht habe. Er sei offenbar der einzige Erbe des Verstorbenen und man wolle wissen, ob er bereit sei, das Erbe anzunehmen.

      Die Ankündigung hatte ihn überrascht. Er konnte sich kaum mehr an diesen Onkel erinnern. In seiner Jugend hatte ihm sein Vater von einem Bruder erzählt, der unweit von Siena in den Hügeln des Chianti ein kleines Olivengut bewirtschaftete. Sie waren während ihrer sommerlichen Ferien in Italien auch einmal bei ihm für einen kurzen Kaffeehalt vorbeigefahren. Doch Max war damals noch ein kleiner Knabe gewesen und erinnerte sich nur noch an ein altes Steinhaus und einen unangenehm riechenden Mann mit einem langen, struppigen Bart. Aus irgend einem Grund, an den Max sich nicht mehr erinnern konnte, hatte sich der Onkel mit seiner Sippe verkracht und den Kontakt zu seinen Verwandten jenseits der Alpen abgebrochen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, warum der Onkel sein Haus gerade ihm vererbt hatte.

      Nach einigen Abklärungen sagte Max zu, sein Erbe anzutreten. Gleich im darauffolgenden Sommer war er für ein paar Tage in die Toskana gefahren, um seinen neuen Besitz kennenzulernen. Sein Onkel hatte bis zu seinem Tod auf dem kleinen Olivengut La Pineta gelebt. Doch Max fand ein ziemlich heruntergekommenes Anwesen vor, das offenbar seit vielen Jahren nicht mehr gepflegt und bewirtschaftet worden war. Gräser, Sträucher und riesige Brombeerhecken standen fast mannshoch im Gelände. Die vielen Olivenbäume waren in alle Richtungen ausgeschossen. Zwei große Pinien, die Namensgeber des Landguts, standen direkt neben dem Haus. Die Herbstwinde hatten die jedes Jahr abgestossenen spitzen Nadeln weit übers Gelände verteilt. Stämme und Äste der zahlreichen Eichen waren von armdicken Effeusträngen umrankt, welche die mächtigen Bäume zu ersticken drohten. Maulbeerbäume waren wild in die Höhe und Breite gewachsen. Max spürte unter den Schuhsohlen den matschigen Belag ihrer abgefallenen und verfaulenden Beeren. Über das ganze Gelände hatten sich dicke Brombeerranken ausgebreitet, die an manchen Stellen zu einem unüberwindbaren Dickicht verflochten waren. Eine Doppelreihe hoher Ziereichen bildete eine kurze Allee, die zu einem von Seerosen überwucherten und verschlammten Schwimmteich hinunterführte. Wo Max auch hintrat, raschelte es unter und neben seinen Füßen. Er wollte gar nicht wissen, wer und was sich alles unter dem abweisenden Dornengestrüpp und im hohen Gras häuslich eingerichtet hatte.

      Das mächtige Steinhaus erinnerte Max eher an eine Ruine als an ein stattliches Podere, wie man die kleinen Gutshäuser in der Toskana bezeichnete. Überall waren Steine aus der Fassade herausgebrochen. Brombeerstauden rankten sich auch hier den Mauern entlang bis hinauf zum Dach, das von einer grün schimmernde Moosschicht überzogen war. Viele der einst rostroten Ziegel waren zerbrochen, einige hatten die Herbststürme vergangener Jahre vom Dach geweht. Ihre Reste bröselten auf der fast zugewachsenen Einfahrt vor sich hin. Vom Vorplatz führte ein überwachsener Fahrweg hinter dem Haus hindurch zu einem gedeckten, ebenfalls weitgehend eingewachsenen Anbau. Er hatte seinem Onkel wohl einst als Unterstand für Maschinen oder ein Fahrzeug gedient. In vielen der verwitterten Fensterrahmen waren Glasscheiben herausgebrochen, deren Splitter im Gras und Unkraut rund um die Hausmauern lagen.

      Als Max über die kleine Steintreppe zur offenstehenden Haustüre hinauf und in das Halbdunkel des Hauses trat, schlug ihm von den schimmligen Wänden ein muffiger Geruch entgegen. Die Dachbalken waren von Pilzen befallen. Durch einzelne undichte Stellen des Daches malte das eindringende Sonnenlicht Muster auf den Boden der Wohnung. Im grossen Wohnraum lagen verdorrte Blätter am Boden, die der Herbstwind durch die offene Tür und die zerbrochenen Fenster herein geweht hatte. Ein Laubteppich bedeckte den mit alten Terrakotta-Platten bedeckte Fussboden.

      Ein kurzer Rundgang durch die Räume des Hauses zeigte, dass es überall ähnlich aussah. Max wagte kaum, sich an eine Wand oder einen Türrahmen zu lehnen aus Furcht, etwas könnte einstürzen und ihn unter sich begraben. Strom gab es nicht, und als er versuchsweise einen Wasserhahn in der Küche öffnete, kam außer einem kurzen Gurgeln und ein paar rostroten Tropfen nichts aus der Leitung. Im Küchenschrank schimmelte ein von Maden zerfressener Käselaib vor sich hin. Das einfache Bett im Schlafzimmer war mit einem hellblauen Spannleintuch bezogen. Eine feine Schicht Holzstaub auf dem kargen Mobiliar zeugte von den Aktivitäten der Holzwürmer im Dachgebälk. Im Kleiderschrank, dessen Türen weit offen standen, fand Max zwei muffig riechende Hemden und einen mottenzerfressenen Pullover.

      Schließlich brach er die deprimierende Besichtigung seines neuen Immobilienbesitzes ab und setzte sich auf eine der sonnenwarmen Treppenstufen vor der Eingangstür. Er hatte sich im nahegelegenen Dorf eine Flasche Chianti und ein mit Fleischscheiben, Tomaten und Gurken belegtes Sandwich mit-gebracht. Genussvoll kaute er den würzigen Mortadella und spülte mit kleinen Schlucken Wein das ungesalzene italienische Weißbrot hinunter.

      Der Rundgang hatte ihn ernüchtert. Man musste kein Baufachmann sein, um zu erkennen, dass sich das ganze Anwesen in einem schlechten Zustand befand. Es würde Zeit und vor allem viel Geld brauchen, um das Haus wieder bewohnbar zu machen. Vom Sanierungsbedarf des umliegenden Geländes und des großen Olivenhains gar nicht zu reden.

      Immerhin war der Ausblick von der Eingangsstiege aus phänomenal. In der Ferne sah er die steinernen Türme von Siena. Die Abendsonne tauchte die Mauern der Stadt und die sich dahinter bis zum Horizont hinziehenden Olivenhaine und Rebfelder in ein warmes Licht. Im Olivenhain bewegten sich die silbern schimmernden Blätter der Olivenbäume im Abendwind. Die Allee mit den Ziereichen lag bereits im Schatten.

      Eine tiefe Ruhe erfasste Max. Kein Auto war zu hören. Auch keines der tausend anderen Zivilisationsgeräusche, die sich fast überall sonst zu einem Klangteppich verwoben, der sich zäh und klebrig über die Welt legte. Dafür hörte er das Zirpen der Zikaden in den Bäumen, das mit der fortschreiten-den Dämmerung immer lauter wurde. Vom Teich her setzte wie auf Kommando das Quaken einer dort heimischen Froschkolonie ein.

      Ein Zauber, den er nicht in Worten zu fassen vermochte, lag nun über der abendlichen Landschaft, deren Bild sich mit der fortschreitenden Dämmerung von Minute zu Minute veränderte. Auch Whisky, der ihm auf seiner Erkundungstour aufgeregt schnuppernd und eifrig mit dem Schwanz wedelnd überall hin gefolgt war, schien sich wohlzufühlen und rollte sich zu seinen Füßen vor dem untersten Treppenabsatz auf den noch sonnenwarmen Steinplatten zusammen.

      Dieser erste Besuch auf seinem Besitz lag nun schon einige Jahre zurück. In seinen Ferien war er seither manchmal für ein paar Tage oder auch eine ganze Woche zur Pineta zurückgekommen. Er hatte sich jeweils ein Zimmer in