Luca DiPorreta

EXTRA VERGINE


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      Kapitel Elf

      Der Wochenmarkt des Städtchens Castelnuovo war eine bunte Mischung von Ständen mit Lebensmitteln, Kleidern, Schuhen und allerlei Krimskrams. Ursprünglich war der Markt, den es seit über hundert Jahren gab, nur für Händler und Bauern aus der näheren Umgebung gedacht, die ihre Produkte anbieten wollten. Doch inzwischen ging das Angebot weit über die traditionellen landwirtschaftlichen Produkte hin-aus. Die Mehrzahl der Schuhe, Kleider, Ledersachen und Haushaltgeräte auf den Auslagentischen trug irgendwo die Herkunftsbezeichnung „Made in China“ oder diejenige eines anderen asiatischen Landes. Selbst dort, wo die Produkte stolz das Label „Made in Italy“ präsentierten, konnte man nicht so genau sagen, was denn nun in Italien hergestellt und was importiert und nur leicht „italianisiert“ war, etwa in einem der vielen chinesischen Sweatshops im Umfeld von Florenz oder im Süden des Landes, in denen asiatische Männer und Frauen unter prekären Bedingungen „italienische“ Produkte herstellten. Hinter den Auslagetischen standen neben Albanern und Türkinnen oft auch afrikanische oder asiatische Händler. Sie feilschten mit den Kunden nicht weniger gewieft als ihre italienischen Kollegen. Einzig bei den Lebensmitteln konnte man einigermaßen sicher sein, tatsächlich Produkte aus der näheren Umgebung oder zumindest aus italienischer Produktion zu er-stehen.

      Von ihrem kleinen Verkaufsstand aus hatte Julia einen privilegierten Blick auf das morgendliche Marktgeschehen. Die Standplätze gleich gegenüber der Bar Centrale beim Eingangsportal der Kirche waren begehrt. Sie lagen den ganzen Vormittag über im Schatten und waren so vor der selbst im Herbst oft noch großen Hitze geschützt. Und wer zu einem der Dorfausgänge gehen wollte, musste hier vorbeikommen. Wer so einen Marktstandort zugewiesen bekam, behielt ihn meist sein Leben lang und gab ihn schließlich an einen Nachkommen oder anderen Angehörigen weiter.

      Auch Julia hatte ihren Marktstandort von ihrem Vater übernehmen können. Als Kind hatte sie ihn jeden Donnerstag auf den Wochenmarkt begleitet. Ihre Mutter war bei ihrer Geburt gestorben. Der Markttag hatte ein wenig Abwechslung in den sonst immer gleichen Ablauf der Tage gebracht. Bevor sie sich auf den Weg zur Schule machte, half sie mit, die Kisten und Säcke mit den Produkten des Olivenguts in den kleinen Ape-Transporter ihres Vaters zu beladen. Zuerst wurden die Ölkanister und die abgefüllten Flaschen mit Olivenöl sowie die Schalen mit den anderen Produkten des Olivenguts eingeladen. Ganz oben auf dem Berg von Kisten und Schachteln kam der zusammengeklappte Verkaufstisch und ein Sonnenschirm zu liegen. Ein weißes, dicht gewobenes und mit Bienenwachs getränktes Tuch diente als Sonnenschutz für die geladenen Produkte und kam zusammengefaltet über die abenteuerlich hohen Stapel von Kisten zu liegen. Zwei dicke und kraftvoll festgezurrte Hanfseile sicherten die Ladung.

      Auf dem Markt half sie ihrem Vater beim Aufbau des Verkaufsstandes. Meist benötigte das ziemlich viel Zeit, so dass sie nachher ins Schulhaus rennen musste und nicht selten zu spät im Klassenzimmer ankam. Kaum verkündete die Schulglocke mittags das Ende des Unterrichts, rannte sie die Straße zum Markt wieder hinauf und half beim Abbau des Standes. Dann drückte sie sich neben ihrem Vater in die kleine Fahrerkabine des Ape, und gemeinsam tuckerten sie zurück nach Hause.

      Das lag nun schon lange Zeit zurück. Ihr Vater war vor vielen Jahren gestorben. Sie hatte als einziger Nachkomme das Olivengut geerbt und so auch den Standplatz am Markt übernommen. Kurz nach dem Tod ihres Vaters hatte sie geheiratet, einen Burschen aus Siena, in den sie sich bei einem der Cantrade-Feste verliebt hatte. Ihr Mann entpuppte sich leider rasch als arbeitsscheuer Bonvivant, der mehr Zeit mit seinen Kumpanen in der Stadt als bei der Arbeit auf dem Olivengut verbrachte. Das verstärkte sich noch, als sich herausstellte, dass sie keine Kinder bekommen konnte. Er zeigte ihr bei jeder Gelegenheit, wie nutzlos er sie fand.

      An einem kalten Winternachmittag überbrachte ihr der Dorfpolizist Mario die Meldung, ihr Mann sei bei einer Schlägerei in einer Spelunken in Siena so unglücklich gestürzt, dass er sich das Genick gebrochen habe. Sie hüllte sich für ein Jahr in dunkle Kleider, wie der Brauch es verlangte, doch Trauer verspürte sie keine. Sie fühlte sich eher erleichtert. Nun konnte sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen und musste mit ihrer Arbeit nicht noch einen Taugenichts von Ehemann mit durchfuttern.

      Nach dem traditionellen Trauerjahr ermunterten die Frauen im Dorf sie bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, sich doch wieder zu verheiraten. An Möglichkeiten fehlte es nicht. Sie war noch jung, hübsch und dank ihrem Erbe eine auch finanziell attraktive Partie. Wie zufällig präsentierten ihre Freundinnen ihr immer wieder den einen oder anderen Kandidaten, meist aus der eigenen Verwandtschaft. Doch Julia verspürte keine Lust, sich wieder in die Abhängigkeit eines Ehemannes zu begeben. Und die körperlichen Bedürfnisse einer noch jungen Frau wusste sie mit der einen oder anderen Affäre zu befriedigen. Das trug ihr zwar in ihrem Bekanntenkreis das Prädikat einer „lustigen Witwe“ ein, was sie aber nicht weiter störte. „Besser lustig als vertrocknet“, pflegte sie auf entsprechende Anspielungen mit einem Lachen zu antworten.

      Julias Tisch stand im Schatten der Kirche San Pietro. Hinter den Auslagen hatte sie ihren Pickup abgestellt, der unübersehbar schon viele Kilometer auf dem Tachometer hatte und den Ape ihres Vaters ersetzte. Ihre Olivenprodukte passten ideal zu den Bedürfnissen der jährlich wachsenden Zahl von Touristen, die an ihrem Stand vorbei flanierten. Auf dem Tisch hatte sie Olivenölflaschen unterschiedlicher Größe aufgestellt, daneben in Folien eingeschweißte schwarze Essoliven sowie Gläser und Büchsen mit weiteren Olivenprodukten. Unter dem Tisch, durch ein Wachstuch vor dem Sonnenlicht geschützt, waren Kartons gestapelt, ebenfalls voll mit verschieden großen Olivenölflaschen aus der vorjährigen Produktion. Ein rechteckiger Sonnenschirm gab dem Tisch und der Verkäuferin ein wenig Schatten. Sie hatte sich eine Schautafel anfertigen lassen, die Bilder ihres Olivenhains zeigte, umrahmt von italienischen und englischen Texten, in denen Worte wie „biologisch“, „Extra Vergine“ und „lokal produziert“ groß hervorgehoben waren. Zwar gab es auf dem Markt auch andere Anbieter von Olivenöl. Da sie aber die Einzige war, die sich dank ihrer Schulbildung auch leidlich auf Englisch ausdrücken konnte, war ihr Umsatz meist größer als der ihrer Mitbewerber.

      Natürlich setzte Julia über den Wochenmarkt nur einen kleinen Teil ihrer jährlichen Produktion ab. Doch immer wieder kamen Kunden zu ihrem Stand, die erst ihr Öl mit einem dargereichten Stückchen ungesalzenem Weißbrot degustierten, sich dann als Restaurantbesitzer oder Spezialitätenhändler vorstellten und größere Mengen vom Olivenöl oder von anderen Olivenprodukten bestellten. Aus solchen Zufallskundschaften wurden oft langjährige Abnehmer ihrer Produkte. Die meisten von ihnen waren Italiener. Doch über die Jahre hatte sie sich durch Touristen, die den Markt besuchten, auch einen treuen Kundenstamm in anderen Ländern aufgebaut, die sie über einen Webshop mit ihren Produkten beliefern konnte.

      Kapitel Zwölf

      Am nächsten Morgen fuhr Max gleich nach dem späten Frühstück auf der Terrasse hinunter ins wenige Kilometer entfernte Dorf Castelnuovo.

      An den Markttagen war die einzige Straße durch den Dorfkern mit Marktständen besetzt, und er musste den Volvo auf dem großen Parkplatz gleich beim Dorfeingang parkieren. Gemächlich schlenderte er die Straße hinauf, die sich der hohen Mauer um den Park der Villa Chigi entlang zur Piazza zog. Die Marktstände reihten sich im Schatten der Mauer aneinander, über die Piazza hinaus und vorbei an der wie an jedem Markttag dicht mit Gästen besetzten Terrasse der Bar Centrale.

      Dank Leonardos Beschreibung erkannte er Julia schon von weitem. Er bahnte sich einen Weg durch den Knäuel der Marktbesucher zu ihrem Stand, wo sie in ein Gespräch mit einem Marktbesucher vertieft war. So stellte er sich vorerst neben die Eingangstür der Bar und wartete. Das gab ihm Zeit, die Verkäuferin und ihre Auslagen ein wenig genauer zu betrachten.

      Er sah eine kleine, attraktive Frau in Jeans und einem etwas zu weiten, grob karierten Männerhemd, dessen Ärmel bis über die Ellenbogen aufgekrempelt waren. Arme und Gesicht waren sonnengebräunt. Die dichten schwarzen Haare fielen ihr auf die Schultern. Obschon sie die leicht gewellten Strähnen mit einem Haarband hinter den Ohren zu bändigen versuchte, rutschte ihr die eine oder andere immer wieder ins Gesicht, wo sie mit einer energischen Handbewegung wieder an ihren Platz verwiesen wurde.

      Max hörte sie mit dem Besucher sprechen,