Luca DiPorreta

EXTRA VERGINE


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Geld auf dem Konto hatte, beauftragte er Handwerker mit der Instandsetzung eines Teils der Infrastruktur. So waren mit der Zeit neue Leitungen für die Elektrizität eingezogen worden. Er hatte die sanitären Anlagen erneuern, die undichten Stellen im Dach ausbessern und die rostigen Wasserleitungen sanieren lassen. Mit den Jahren war die Pineta so zu einem zwar immer noch wenig komfortablen, aber zumindest in den warmen und trockenen Jahreszeiten gut bewohnbaren Haus geworden.

      Kapitel Acht

      Der Auftrag war unterschrieben, der ausgehandelte Honorarvorschuss auf Max‘ Konto eingegangen. Gut eine Woche später war er mit seinem in die Jahre gekommenen Volvo-Kombi unterwegs in die Toskana. Im Laderaum lag seine vollgepackte lederne Reisetasche, auf dem Rücksitz, mit einem Gurt gesichert, Whisky.

      Max war schon viele Male in Italien gewesen. Seine Vorfahren stammten aus einem kleinen Dorf in den toskanischen Abruzzen. Max’ Vater war wie viele hunderttausend Italiener seiner Generation als junger, arbeitsloser Mann über den Gotthard in die Schweiz gekommen, um hier im Straßenbau zu arbeiten. Dann hatte er sich in eine Schweizerin verliebt, sie geheiratet und war geblieben.

      Die früheren Reisen zu den Großeltern während der Sommerferien waren für Max als Kind und Jugendlicher immer ein Abenteuer gewesen, auf das er sich das ganze Jahr gefreut hatte. Die langen sommerlichen Aufenthalte in den Abruzzen und am Meer waren mit ein Grund, weshalb Max gut Italienisch sprach. Auch später, wenn er als Erwachsener beruflich oder privat nach Italien reiste, war die lange Fahrt trotz Hitze und Stau auf der Autobahn für ihn immer wie eine Heimfahrt.

      Sein letzter Aufenthalt auf der Pineta lag schon einige Jahre zurück. Umso mehr freute er sich auf die jetzt vor ihm liegende Zeit in der Toskana. Er kam gut voran, obwohl wie im-mer unter der Woche eine der Autobahnspuren von endlos scheinenden Lastwagenkolonnen blockiert war. Am späteren Nachmittag passierte er Florenz und wechselte wenig später auf die Superstrada in Richtung Siena. Die vierspurige Schnellstraße war im gleich schlechten Zustand wie damals, als er das letzte Mal hier südwärts fuhr. Auch wenn offensichtlich in der Zwischenzeit Anstrengungen zur Sanierung der schlimmsten Teilstücke unternommen worden waren, bezog sich das „Super“ im Namen der Straße noch immer vor allem auf die Größe der Schlaglöcher und Bodenwellen, über die man hinwegbretterte. Was ihm daheim unweigerlich einen kräftigen Fluch entlockt hätte, nahm er diesmal kommentarlos in Kauf. Das war halt Italien. Nur beim Passieren der zahlreichen gewagten Brückenkonstruktionen zwischen Bologna und Florenz musste er mit einem mulmigen Gefühl an die Bilder der eingestürzten Morandi-Brücke in Genua denken.

      Mit den letzten Strahlen der Mitte September schon früh untergehenden Sonne fuhr Max an den Stadtmauern von Siena vorbei. Eine halbe Stunde später erreichte er sein Ziel für den heutigen Abend.

      Die Casacchia Guelfi lag etwas erhöht am Abhang des Monte Luco inmitten von Rebbergen und Olivenhainen, einige hundert Meter vom mittelalterlichen Flecken San Gusmé entfernt. Die wenigen Gästezimmer waren in eine alte Gutsvilla integriert, die sich ein Adeliger aus Siena vor mehr als hundert Jahren hatte bauen lassen. Leonardo, der heutige Besitzer, hatte die Villa von seinem Vater geerbt, sie umbauen lassen und gemeinsam mit seiner Frau Maria in ein gemütliches kleines Boutiquehotel verwandelt. Es entsprach dem, was Max unter „klein, aber fein“ verstand. Nur wenige Zimmer, dafür jedes individuell eingerichtet. Freundliches Personal und ein Restaurant, das eine einfache, aber qualitativ hervorragende italienische Küche bot. Vor allem die Pasta von Mamma, der Mutter des Hoteliers, war eine Legende, die sich längst im weiteren Umkreis des Chianti verbreitet hatte.

      Vor Jahren hatte Max einmal einen Artikel in seiner Zeitung platziert, der in fast schwärmerischen Tönen das kleine Hotel und seine Umgebung beschrieb. Darauf hatten die Buchungszahlen von Gästen aus dem Norden stark angezogen. Für Leonardo und Maria, die wussten, wem sie die steigende Nachfrage zu verdanken hatten, war Max seither ein in jeder Hinsicht spezieller Gast geworden, dem kein Wunsch abgeschlagen wurde. Auch dieses Mal hatte er sich für die ersten zwei Nächte vorsichtshalber ein Zimmer reserviert, da er nicht wusste, in welchem Zustand sich sein eigenes Haus weiter oben am Monte Luco nach seiner langen Abwesenheit befand. Nach der langen Fahrt wollte er ein gemachtes Bett und ein gutes Nachtessen vorfinden und sich nicht über allfällige Wasser- oder Stromprobleme auf der Pineta ärgern müssen.

      Mit Einbruch der Dämmerung fuhr er den Volvo auf den gekiesten Parkplatz hinter dem Haus. Er ließ Whisky aus dem Wagen springen, lud seine Reisetasche aus und ging durch die Hintertüre des Hauses direkt zur kleinen Rezeption. Whisky, aufgeregt hin und her schnuppernd und den Schwanz steil in die Höhe gerichtet, folgte ihm auf dem Fuß. Ein freudiger Ausruf empfing ihn, kaum hatte er das Haus betreten.

      „Mamma mia! Max!“

      Maria war seit seinem letzten, nun schon einige Jahre zu-rückliegenden Besuch noch ein wenig fülliger geworden. Ächzend wuchtete sie sich aus ihrem Sessel hinter der hölzernen Rezeption.

      „Sie sind ja eine Ewigkeit nicht mehr hier gewesen! Leonardo! Vieni subito!“

      Mit ausgebreiteten Armen kam sie hinter dem Tresen her-vor und drückte ihn mit aufrichtiger Wiedersehensfreude an ihren mächtigen Busen.

      „Comé sta? Tutto bene? Benissimo! Lassen Sie doch die Tasche hier. Lucia wird sie gleich auf Ihr Zimmer bringen. Kommen Sie mit! Leonardo ist in der Bar!“

      Max folgte ihr zur Bar, wo Marias Mann Leonardo damit beschäftigt war, die zahlreichen Flaschen im Gestell über dem Tresen abzustauben und neu einzuordnen. Auch er begrüßte Max überschwänglich. Zu dritt setzten sie sich an eines der Bartischchen. Leonardo öffnete eine Flasche ihres Hausweins, mit dem sie auf ihr Wiedersehen anstießen, während Whisky sich zufrieden schnurrend unter dem Tisch auf Max‘ Füßen zusammenrollte.

      Leonardo fragte ihn nach seinen weiteren Plänen.

      „Sie haben für zwei Tage gebucht, wie ich gesehen habe. Gehen Sie nachher auf die Pineta? Oder was haben Sie vor?“

      Max sagte, dass er diesmal länger in der Toskana zu bleiben gedachte.

      „Ich werde oben in der Pineta wohnen, sofern es nicht zu kalt wird. Heizung habe ich ja immer noch keine. Für die ersten Nächte bleibe ich jedoch gerne noch hier bei euch. Morgen schaue ich mir dann die Pineta an und besorge das Nötigste, um eine Zeit lang dort wohnen zu können. Ich werde mir wohl auch noch ein paar Möbel kaufen.“

      Maria und Leonardo versicherten ihm, dass es hier noch längere Zeit so warm bleiben werde, dass eine Heizung nicht notwendig wäre.

      „Und sollte es doch zu kühl werden, kann ja das große Cheminée im Wohnraum notfalls das Haus etwas erwärmen“, fügte Maria hinzu. „Aber jetzt müssen Sie nach der langen Fahrt zuerst etwas essen!“

      Leonardo begleitete Max in die direkt an die Bar anschliessende Gaststube, während Maria in die Küche verschwand. Wenig später kehrte sie mit einem Teller dampfender Pappardelle mit Wildschweinragout zurück. Max war tatsächlich ziemlich hungrig und machte sich über die Teigwaren her. Bei einem weiteren Glas Chianti unterhielten sich noch eine Weile, doch Max bat bald, sich auf sein Zimmer zurückziehen zu dürfen. Die lange Fahrt hatte ihn müde gemacht. Er brauchte eine erfrischende Dusche und ein bequemes Bett. Sie würden noch genug Gelegenheit haben, sich über die Welt im Allgemeinen und die italienische Politik im Besonderen auszutauschen.

      Kapitel Neun

      Das Gurren der Tauben im Gebälk des Hauses holte Max am nächsten Morgen aus seinen Träumen zurück in die Realität. Oder waren es die Sonnenstrahlen, die durch das geöffnete Fenster erst auf die Zimmerwand und wenig später auf sein Gesicht fielen?

      Jedenfalls war der halbe Morgen schon vorbei, als er im kleinen Frühstücksraum des Hotels erschien. Der Raum mit wenigen gedeckten Tischchen war leer, doch die Türflügel zur Terrasse standen weit offen. Ein warmer Luftzug blähte die zurückgezogenen Vorhänge neben der Tür. Die Septembersonne hatte noch genügend Kraft, um die verwitterte Hausfassade und die Steinplatten der Hotelterrasse ein wenig aufzuwärmen.

      Auf der von Tonfiguren