E.R. Greulich

... und nicht auf den Knien


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man ...?" Erwartungsvoll weist Walter Becker zur Stubentür.

      "Gehn Sie schon! Aber manierlich, keine Aufregung."

      Behutsam öffnet er die Tür. Mit blassem Gesicht lächelt ihm Luise zu. Aus dem Bündel neben ihr schaut ein winziges dunkelrotes Gesicht, das Köpfchen voller Wuschelhaare. Frau Wiesflecker legt den Finger auf den Mund, verschwindet dann. Walter Becker lässt sich auf dem Bettrand nieder, nimmt die Hände seiner Frau.

      Schwach, doch voller Zärtlichkeit sagt sie: "Ein wunderschönes Kind. Artur soll es heißen".

      Walter Becker nickt. Wenn es Luise wünscht, mag es der Name sein. Nun haben wir zwei Jungen, denkt er, und das mitten im Streik.

      "Wie sieht's aus?", fragt Luise leise, als habe sie seinen Gedanken erraten.

      "Wir werden's schon schaffen." Sacht streicht er ihr über die Stirn. "Mach dir jetzt darum keine Gedanken. Dass ihr beide gesund bleibt, ist die Hauptsache."

      Sie sprechen von ihren Hoffnungen, nicht von den Sorgen. Als sich Walter Becker erhebt, schaut er Kind und Mutter liebevoll an. "Es soll ein guter Junge werden." Leise schließt er die Tür hinter sich.

      Im Korridor hört er aus der Küche Eugens Fragen. Nachbarin und Hebamme haben Mühe, die Wissbegierde des Jungen abzulenken. Warum der Storch nicht lieber durch die Fenster komme? Ob sich das Brüderchen bei der Reise durch den Schornstein nicht wehgetan habe? Sein Verstand wehrt sich gegen den Humbug, denkt Walter Becker, es ist an der Zeit, unsern Kindern Vernünftigeres über die Menschwerdung zu erzählen. Er tritt in die Küche und sagt dem Sohn, er solle Blumen von Frau Grundewski holen für die Mutter. Frau Wiesflecker geht mit dem Kleinen hinaus. Die Hebamme packt ihre Tasche.

      Walter Becker kramt im Küchenschrank nach der Dose mit dem Spargeld.

      "Nun", fragt die Schütz, "habe ich zu viel versprochen?"

      "Ein fein' Bengelchen. Frau Schütz. - Was kriegen Sie?"

      "Wie immer, zehn Mark. Aber lassen Sie jetzt, Becker. Bezahlen Sie's nach dem Streik. - Und was sagen Sie zu seinen Haaren?"

      "Rabenschwarz. Und viel dichter als damals beim Eugen." "Haben Sie den Wirbel gesehen?"

      Walter Becker gesteht, dass er so genau den Sprössling noch nicht besichtigt habe.

      Die Schütz wird ernst, beinah geheimnisvoll. "Das kommt bei tausend Kindern bloß einmal vor. Königskinder nenne ich die."

      Walter Beckers Augenbrauen heben sich. "Dann ist er also in der falschen Gegend abgeliefert worden?"

      "Sein Sie nicht jeck! Ich hab' doch auch nichts für die hohen Herrschaften übrig. Aber ich kenn' mich darin aus. Solche Kinder sind was Besonderes."

      "Wenn mich mein Chef auf die Straße setzt, nützen mir auch zwei Haarwirbel nichts, Frau Schütz."

      Die Hebamme wird krötig. "Ach, ihr Männer! Glück heißt doch nicht bloß gut verdienen. Sind Sie über den kleinen Artur nicht glücklich?"

      Walter Becker lacht. "Jetzt, wo er da ist, ja. Aber wir hätten nichts dagegen gehabt, wenn der Storch bei uns vorbeigegangen wäre. 'Diesem System keinen Mann und keinen Groschen', hat Bebel gesagt. Er weiß natürlich, dass Bebels berühmter Satz sich nicht auf die Geburtenkontrolle bezieht, aber es macht ihm Spaß, Frau Schütz aufzuziehen.

      "Dass ihr Sozialdemokratischen immer politisch werden müsst."

      "Wir müssten den Hebammen und Ärzten die Hölle heiß machen, dass sie uns beraten, wie man nicht so viel Kinder kriegt."

      Die Schütz lacht laut. "Uns brotlos machen? Da möcht' ich sehen, was ihr sagt, wenn wir dann streiken."

      "Seid zufrieden, dass ihr's nicht braucht." Walter Beckers Scherz bekommt einen bitteren Unterton. "Und dann ohne Gewerkschaft. Es ist mit Gewerkschaft schon schwer."

      Die Hebamme gibt ihm einen gutmütigen Klaps auf die Schulter. "Wenn irgendwas ist, schicken Sie den Eugen. Und der Zweite - der ist zu Größerem geboren." Mit schwerem Schritt stapft die Frau aus dem Haus.

      Walter Becker sinnt kopfschüttelnd ihren Worten nach.

      Altweibergeschwätz und Wunderglauben. Von wegen Königskind! Lohnsklave der Mannesmänner und ihresgleichen wird er, genau wie sein Vater, sein Großvater, sein Urgroßvater. Haben vielleicht alle Haarwirbel gehabt, mussten sich trotzdem schinden ums tägliche Brot.

      Behutsam geht Walter Becker wieder in die Stube, betrachtet lange den Neugeborenen. Dann erzählt er Luise von der Unterhaltung mit der Hebamme.

      "Solche Frauen haben einen Blick dafür", sagt sie.

      "Du glaubst am Ende noch diesen Unsinn."Er droht ihr mit dem Finger.

      "Hast selbst gesagt, es soll ein guter Junge werden. Warum können gute Menschen kein Glück haben? Es ist schön, an das Glück seiner Kinder zu glauben."

      "Sie werden glücklich sein, wenn wir alle glücklicher werden."

      Eine Woche später - Luise Becker stand schon wieder auf - kamen Borbachs und Grundewskis, um den Familienzuwachs zu begutachten. Die Frauen brachten Windeln und andere brauchbare Sachen ihrer herangewachsenen Kinder. Alle waren fröhlich wie nach einer bestandenen Prüfung. In jener Abstimmung hatte eine Mehrheit für die Fortsetzung des Streiks gestimmt. Der Unternehmerverband hatte sich zu Verhandlungen bequemen müssen, es war zu einem Kompromiss gekommen, und morgen sollte die Arbeit wieder aufgenommen werden.

      Man kam auf die Prophezeiung der Schütz zu sprechen. Borbach lachte -grimmig. "Sie ist 'ne tüchtige Hebamme; aber im Kopf hat sie Kaffeegrund."

      Grundewski widersprach. "So unrecht hat sie auf ihre Art nicht. Wenn der Artur groß ist, haben wir den Sozialismus."

      "Gigorek wird dann Reichskanzler und du sein Stellvertreter", höhnte Borbach. Er konnte noch immer nicht vergessen, dass Grundewski als Einziger ihrer Werkstatt dem Gewerkschaftssekretär Hilfestellung geleistet hatte.

      Der phlegmatische Mittvierziger war dergleichen Anzapfungen gewöhnt. "Überlegt mal: Trotz des Sozialistengesetzes sind unsere Reichstagsmandate von zwölf im Jahre einundachtzig auf vierundzwanzig im Jahre dreiundachtzig gestiegen. Glatt um das Doppelte."

      "Rechne so weiter", unterbrach ihn Walter Becker, "dann müssten schon jetzt nur noch Sozialdemokraten im Reichstag sitzen."

      Grundewski blieb friedlich. "Ganz so einfach ist es nicht. Aber immerhin, sieben Jahre später hatten wir schon 35 Abgeordnete, jetzt schreiben wir 1905 und lachen über unsere paar Männekens von damals. Einmal kommt's - wir erleben es noch -, dann haben wir die Mehrheit, und dann bestimmen wir, was gemacht wird."

      "Das wird 'nen dollen Stuhlmangel geben", sagte Borbach undurchdringlichen Gesichts. Grundewski sah ihn fragend an, und Borbach erklärte: "Dann müssen doch die Unternehmer an die Werkbänke, und wir setzen uns auf ihre Stühle. Nun sind die aber weniger und wir mehr."

      Walter Becker rieb sich die Hände über den Spaß und schaute nach den Frauen, die in der Stube beim eifrigen Gespräch über Neugeborene saßen.

      Grundewski war ein bisschen beleidigt. "Bist du nun Sozialdemokrat oder nicht?"

      Borbach füllte aus der Flasche Schabau, die er mitgebracht hatte, wieder die Gläschen voll. "Allerdings. Ich glaube bloß nicht, dass unsere Stahl- und Kohlefürsten vor Stimmzetteln zu Kreuze kriechen. Die sind nur so lange demokratisch, wie es ihrem Geldsack nicht wehtut."

      "Dann willst du Bürgerkrieg?"

      "Sowenig wie du. Leider geht es nicht bloß nach uns. Ich bin auch überzeugt, dass wir mal die Mehrheit kriegen. Aber da wirst du staunen, was die Sippschaft dann aufzieht."

      "Ihr alten Schwarzseher", schnaufte Grundewski. In einem Zug kippte er seinen Schabau hinunter und räusperte sich genießerisch nach dem scharfen Schnaps.

      Ähnlich verliefen ihre Gespräche meist. Sie tranken gemeinsam eins, stritten sich heftig, spielten dann friedlich Skat, trugen sich nichts nach, stritten sich aufs Neue