Wolfgang Wirth

look back again


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erkennen, der sich als Anatolij vorstellte. Er winkte Dimitri freundlich zu und lachte. Dann plötzlich verfinsterte sich seine Miene und er signalisierte seinem Urenkel sich umzudrehen. Als der Junge hinter sich blickte, sah er vierzig bärtige Männer in Turbanen und mit gezückten Dolchen auf ihn zustürmen. Ihr Anführer hatte den längsten Bart und trug ein goldenes Amulett in Form eines Kobrakopfes um den Hals, dessen Rand mit den gleichen leuchtenden Edelsteinen besetzt war, wie sich in dem Sack befanden. Die Räuber stürzten sich auf Dimitri und hielten ihn am Boden fest. Der Junge wehrte sich nach Leibeskräften, hatte aber gegen die starken Arme der Turbanträger keinerlei Chance.

      Der Anführer starrte ihn aus tiefschwarzen und zugleich funkelnden Augen an und rief: „Du Dieb!“

      Dimitri blickte aus unschuldsvollen und flehenden Augen und versuchte zu sprechen, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Keinen Ton brachte er zu seiner Verteidigung heraus.

      Dann hob der Araber mit dem Amulett seinen goldenen Krummsäbel an und ließ ihn über dem Hals des Jungen nach unten schnellen.

      In diesem Moment wachte Dimitri schweißnass auf und wusste augenblicklich, dass ihn dieser Traum sein Leben lang verfolgen würde!

      Berlin, Donnerstag, 5. Oktober, 3.40 Uhr

      „Wach auf, wach auf!“

      Er hörte zwar das Flüstern, aber er wusste zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich, ob er noch schlief und träumte, oder ob die Stimme aus der Realität zu ihm drang. Das Rütteln an seiner Schulter rief ihn aber dann doch ins wahre Leben zurück.

      „David, komm schon. Wach auf. Da ist jemand in der Wohnung!“

      Die Stimme wurde lauter und entschlossener, aber auch hysterischer. Die Furcht in ihr war nicht zu überhören. Das wurde auch David Bishop langsam klar, wusste er sonst doch die glockenhelle und zarte Stimme seiner Freundin zu schätzen, die ihm eher ins Ohr säuselte, als ihn so unsanft zu wecken.

      Er öffnete die Augen und blickte auf den Wecker. Drei Uhr zweiundvierzig. Nicht gerade die perfekte Zeit, um die Nacht zu beenden.

      Wieder schüttelte Alex ihn an der Schulter.

      „David! Hörst du das denn nicht? Da draußen ist ein Einbrecher!“ Nun überschlug sich ihre Stimme und wurde panischer. Ihr Blick richtete sich starr auf die Schlafzimmertüre. Fest umklammerte sie die Bettdecke und zog sie hoch bis an ihr Kinn.

      David hob den Kopf vom Kopfkissen und versuchte sich zu konzentrieren. Jetzt hörte auch er es. Es klang wie das Klappern von Besteck. Er sah Alex an, die mit zerzausten Haaren zitternd im Bett saß, und nickte. Langsam schob er seine Beine über den Rand des Bettes und blickte sich nach etwas um, was man eventuell zur Selbstverteidigung nutzen konnte. Aber nichts sah danach aus, als konnte es einem Eindringling irgendwie Angst einflößen. Vielleicht konnte er dem Einbrecher ja die Socken vom Vortag an den Kopf werfen und er würde dadurch betäubt zu Boden gehen. David musste bei diesem Gedanken trotz der ernsten Situation grinsen.

      Vorsichtig und ohne auch nur ein Geräusch stand er auf und zog sich seine Boxershorts über. Völlig entblößt wollte er nun doch nicht dem vermeintlichen Räuber gegenübertreten. Dann schlich er zur Tür.

      Da vom Treppenhaus her auch nachts öfter ein Poltern der benachbarten Studenten zu hören war, lehnte er die Schlafzimmertüre immer an, was den Geräuschpegel ein wenig senkte. Nun lauschte er an der Türe und spähte durch den schmalen Spalt.

      „Sei vorsichtig, David!“, flüsterte Alex mit bebender Stimme.

      Auf dem Flur konnte David ein Flackern erkennen. Offenbar fuchtelte der Dieb mit einer Taschenlampe in der Küche herum. Leise hörte er unterdrücktes Fluchen.

      Was sollte er nur tun? In die Küche marschieren und den Dieb zur Rede stellen und dadurch riskieren, irgendein Messer zwischen die Rippen zu bekommen? Oder Lärm machen? In der Hoffnung, der Einbrecher würde dann die Flucht ergreifen? Oder vielleicht doch zurück ins Bett kriechen und still verharren, bis der Fremde von sich aus wieder ging? Oder sollte David letztendlich seinen ersten Gedanken verfolgen und zum Gegenangriff übergehen? Schließlich hatte er den Überraschungseffekt auf seiner Seite. Allerdings war auch alles, was er im weitesten Sinne als Waffe nutzen konnte in der Küche. Ausgerechnet da, wo sich sein Widersacher aufhielt.

      Immer noch kramte der Einbrecher in den Küchenschränken und Schubladen. Glaubte er etwa, David würde sein Bargeld in einem Kochtopf verstecken? So etwas machten doch für gewöhnlich nur alte Leute mit ihrem Notgroschen, die kein Vertrauen zu Banken hatten. Studenten wie David hatten ohnehin nie Bargeld, lediglich eine Kreditkarte eines schon längst überzogenen Kontos.

      David fasste einen Entschluss. Das Gefühl, einen Fremden in seiner Wohnung zu haben, verursachte bei ihm ein ungutes Gefühl. Und obwohl keine reale Gefahr bestand, dass etwas Wertvolles gestohlen werden konnte, wollte er den Eindringling verjagen.

      Sein Ziel war der Messerblock neben dem Kühlschrank gleich an der Türe. Wenn David den Fremden überraschte und es bis dorthin schaffte, war er nicht mehr wehrlos.

      Der junge Mann riss die Schlafzimmertüre auf, stürmte auf den Flur und in die Küche. Dabei stieß er ein martialisches Geschrei aus, das an das Kriegsgeheul mancher Südseevölker erinnerte.

      Er knallte seine Hand auf den Lichtschalter und schaffte es bis zu den Küchenmessern, wo er das erstbeste mit einem großen Griff in die Hände bekam. Es war das Brotmesser, nicht gerade der Inbegriff einer todbringenden Stichwaffe.

      Erst jetzt wendete er sich dem Eindringling zu, der sich erschreckt zu ihm umgedreht hatte und dabei unter lautem Gepolter mehrere Töpfe fallen ließ. Auch der Fremde schrie auf und blickte voller Furcht auf den mit dem Brotmesser bewaffneten Wohnungsbesitzer. Abwehrend hob er die Hände.

      „David, ich bin’s! Tim! Beruhige dich!“

      Jetzt erst erkannte David den vermeintlichen Einbrecher. Er stand vor ihm mit verlotterter Kleidung und zitterte, so dass die seitlich herunterhängenden Bommel seiner bunten Strickmütze vibrierten.

      Tim war sein ehemaliger Mitbewohner gewesen, bevor David die Wohngemeinschaft vor einigen Monaten aufgelöst hatte.

      „Was in Teufelsnamen machst du hier?“, raunzte David ihn an und schüttelte ungläubig den Kopf. „Und wie bist du überhaupt hier reingekommen?“

      „Sorry, Alter. Tut mir echt leid.“ Tim ließ schuldbewusst die Schultern hängen. „Wollte Dich nicht erschrecken. Hab gedacht, wenn ich hier nachts vorbeikomme, kriegst du es nicht mit und ich bin in Null Komma Nichts wieder weg. Hatte doch noch einen Zweitschlüssel.“

      „Eine selten dämliche Idee, wirklich. Aber was suchst du denn? Oder wolltest du mich etwa beklauen?“

      „Nee, echt nicht, Alter!“, beteuerte Tim in tumbem Wortfall. „Würd’ ich nie tun. Hab nur was hier vergessen, das wollt’ ich holen. Wusst’ aber nicht mehr, wo es war.“

      „Ja, um Himmels willen, was denn? Und warum kannst du nicht, wie jeder normale Mensch, einfach anrufen oder an der Türe klingeln?“ David war sichtlich aufgebracht. Gut, Tim war noch nie der Hellste und seine Ideen früher schon etwas fremdartig gewesen. Aber das hier schlug dem Fass den Boden aus.

      Tim blickte verlegen zu Boden.

      „Du hast doch nicht etwa in meiner Wohnung Drogen versteckt?“, fragte David langsam, obwohl er in diesem Moment die Antwort schon kannte. Tims Drogenprobleme waren der Grund dafür gewesen, dass David nicht mehr seine Wohnung mit ihm teilen wollte. Tim war ein netter Kerl und er würde einem jeden Gefallen tun, wenn er gerade mal clean war. Doch er war immer weiter in den Sumpf hineingezogen und unzuverlässig geworden. Und nachdem das erste Mal ein Drogendealer in ihrer Wohnung aufgekreuzt war, zog David endgültig einen Schlussstrich. Ein paar Mal hatte er seinen Mitbewohner noch auf der Straße getroffen, aber selten mit klarem Kopf.

      „Okay! Jetzt nimmst du dein Zeug, lässt meine Schlüssel da und verschwindest hier. Hast du verstanden? Du kannst gerne mal auf ein Bier vorbeikommen, wenn du sauber bist. Aber ich will mit deinen Drogengeschäften nichts zu tun haben. Und wenn du