Wolfgang Wirth

look back again


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Geschirr aufzuheben. Beim Einräumen in den Schrank fand er im hintersten Eck ein kleines Päckchen, sorgfältig in Plastik eingewickelt und mit Einmachgummis zugebunden.

      „Ich hab’s gefunden“, sagte er kleinlaut, lächelte dabei aber überglücklich. „Das war das einzige, ehrlich!“

      „Na gut, Tim. Ich glaube, wir haben uns verstanden.“ David klopfte dem heruntergekommenen jungen Mann leicht auf die Schulter und blickte ihn aufmunternd aber eindringlich an.

      Wie ein Hund mit eingezogenem Schwanz schlich Tim über den Flur in Richtung Haustüre. Er griff in die Tasche und übergab David den Türschlüssel.

      „Sorry, Kumpel. Ich versprech’ dir, ich belästige dich nicht mehr.“

      Tim verschwand auf den Hausflur ohne sich noch einmal umzudrehen und David knallte die Tür wütend zu. Kopfschüttelnd ging er zurück ins Schlafzimmer, wo Alex im Bett saß und ihn mit verständnislosem Blick ansah.

      „Was war das denn, bitte schön?“, knurrte sie.

      David antwortete noch immer gedankenverloren: „Das war Tim, mein ehemaliger Wohnungsgenosse hier, als ich noch in einer WG gewohnt hatte. Ich hatte geglaubt, ich könnte damit Kosten sparen. Tatsächlich aber hat es mich neben der Miete, die ich auch alleine gehabt hätte auch noch meine Nerven gekostet. Es hat insgesamt fast ein Jahr gedauert, bis ich Tim endlich los war. Er ist eigentlich ganz in Ordnung, hat nur seine Drogenprobleme nicht in den Griff bekommen.“

      „Und du willst nicht die Polizei rufen“, entrüstete sich Alex verständnislos.

      „Der Junge hat schon genug Probleme am Hals. Vergiss ihn einfach wieder. Er taucht schon nicht noch mal auf.“

      „Das sagst du! Ich wäre mir da nicht so sicher. Was wäre, wenn du jetzt nicht hier gewesen wärst?“

      „Dann wärst du auch nicht hier gewesen“, lachte David, aber wirklich konnte er seine Freundin nicht beruhigen. „Und wenn wir zusammenziehen, dann sowieso nicht in dieser Bruchbude, oder?“

      Alex senkte den Kopf, sagte aber nichts.

      Was sollte das denn jetzt heißen, fragte sich David und betrachtete das Mädchen Stirn runzelnd. Wie sollte er ihre Reaktion deuten? War das Zustimmung oder Ablehnung. Und wenn Ablehnung, bezog sie sich auf die Wohnung, oder das Zusammenleben?

      Alex drehte David ihren Rücken zu und versank in ihrem Kopfkissen.

      „Schlaf jetzt“, brummte sie, „wir haben schon genug Zeit in dieser Nacht verloren. Ich muss früh raus.“

      David streifte sich seine Boxershorts ab und kroch zu seiner Freundin ins Bett. Er drückte sich an ihren warmen Rücken und schlang seinen Arm um sie. Alex aber zeigte keine Reaktion auf seinen Versuch sich ihr zärtlich zu nähern. Offenbar war sie wirklich müde. Oder hatte er sie etwa mit seiner Bemerkung zu sehr bedrängt?

      Sie waren jetzt seit zwei Monaten ein Paar und überglücklich miteinander. Sie teilten die gleichen Interessen, verbrachten jede mögliche Minute zusammen und konnten meist gegenseitig ihre Gedanken lesen. Sie waren einfach wie für einander geschaffen.

      Leider kam Alex aus einer sehr konservativen Familie, die ein waches Auge über ihre Tochter hatte und bisher noch nichts von ihrer Beziehung wusste. Ich muss es ihnen behutsam beibringen, hatte sie immer wieder gesagt. Offiziell war sie viel mit ihrer besten Freundin Lara unterwegs, die ihr jegliches Alibi verschaffte. Sogar wenn sie bei David übernachtete, war sie ihren Eltern gegenüber bei Lara.

      Das klappte bislang auch problemlos, aber David hätte natürlich ganz gern einmal die Familie seiner Freundin kennengelernt. Aber was das anging, musste er sich wohl noch gedulden. Umgekehrt hatte Alex aber immer wieder betont, dass sie wiederum seine Eltern und seine Stiefmutter kennenlernen wolle. Das hatten sie auch tatsächlich endlich für das kommende Wochenende geplant, zuvor hatte er seinem Vater und seiner Stiefmutter auch schon mehrfach voller Begeisterung von Alex erzählt. Bislang hatte sich aber noch nicht die richtige Gelegenheit ergeben, nun waren sie diesbezüglich einen Schritt weiter. Zu seiner leiblichen Mutter hatte David nur wenig Kontakt, aber auch ihr würde er seine große Liebe natürlich zu gegebener Zeit vorstellen.

      David lauschte Alex’ ruhigem Atem, sie schlief offenbar schon. Behutsam streichelte er über ihre weiche Haut, deren Geruch er genussvoll einatmete. Er wollte sie aber nicht wecken, darum drehte er sich auf den Rücken und starrte in die Dunkelheit, während er sich an ihre erste Begegnung erinnerte.

      Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, als er Alex im Sommer unabsichtlich angerempelt hatte. Sie war vor ihm her gelaufen und ihre aufregenden Kurven waren ihm längst aufgefallen. Die langen Beine über den hohen Absätzen in Verbindung mit dem kurzen Rock ihres Kostüms hatten ihn völlig zum Träumen gebracht. Bei jemand anderem hätte dieses Outfit vielleicht billig wirken können, Alex jedoch verlieh es eine Klasse, die ihn regelrecht hypnotisiert hatte. So hatte er auch nicht rechtzeitig reagieren können, als sie abrupt stehen geblieben war, um in ihre Tasche zu schauen und so war David mit seinem frisch gekauften Eis in der Hand unvermittelt in sie hineingelaufen. Ihr langes, pechschwarzes Haar war augenblicklich über und über mit klebrigem Vanilleeis bekleckert gewesen.

      David war das natürlich überaus peinlich gewesen und mit hochrotem Kopf hatte er sich entschuldigt und nach einer fadenscheinigen Erklärung für sein Missgeschick gesucht. Er war darauf vorbereitet gewesen, die schlimmsten Verwünschungen und Flüche an den Kopf geworfen zu bekommen, aber Alex hatte ihn mit einem Blick angeschaut, den er wahrscheinlich sein Leben lang nicht vergessen würde. Ein Blick voller Güte und Sanftheit, voller Verständnis und Mitgefühl und von einer bezaubernden Schönheit.

      Er wusste gar nicht, wie ihm geschah und irgendwie hatte er auch zunächst kein klares Wort mehr herausgebracht, es aber danach trotzdem irgendwie geschafft, diese Traumfrau zu überreden, seine Entschuldigung in Form einer Einladung anzunehmen. So kam es zu ihrer ersten Verabredung und sein bis dato noch gar nicht geträumter Traum hatte sich vorzeitig erfüllt.

      Es war einfach alles perfekt, fast wie in einem kitschigen Hollywoodfilm. Aber es war real und es lief bestens mit ihnen beiden. Sie genossen die Zeit, die sie miteinander verbrachten und hatten Spaß zusammen. Und wenn es David jetzt noch irgendwann schaffen würde, ihre Eltern zu überzeugen, stand einer glücklichen Zukunft wohl nichts mehr im Wege.

      Alex drehte sich im Bett um und schmiegte sich mit einem wohligen Seufzer an Davids Schulter. Mit einem Lächeln auf den Lippen schloss er die Augen und schlief zufrieden ein.

      Epilog

      Paris, Freitag, 6. Oktober, 16.30 Uhr

      Der Hof strahlte eine beklemmende Stille aus. Einige Männer liefen wortlos auf und ab, andere unterhielten sich im Flüsterton in kleinen Gruppen. Auf einer treppenförmigen Tribüne saßen über ein Dutzend finstere Gestalten auf verschiedenen Ebenen. Es war offensichtlich, dass die jeweilige Sitzposition auf den Stufen einer strengen Rangordnung folgte. Ganz unten war das Fußvolk, das jeden, der sich der Tribüne näherte, entweder davon abhielt, oder nach Zustimmung von Männern höherer Stufen, zu genau diesen passieren ließ. Die Aufgabe dieser Männer der mittleren Ebene war es, jegliches Begehren vorab zu prüfen und die weitere Passage zu gewähren. Ebenso waren unter ihnen zweifelsfrei Beobachter, die jedwedes Treiben auf dem Gefängnishof überwachten und analysierten, um es dann wiederum nach oben zu melden.

      Auf der vorletzten Stufe saßen zwei Adjutanten, die das Geschehen organisierten und befehligten. Sie standen sehr wohl mit dem Mann, der über allem thronte, in Kontakt, blieben aber ehrfurchtsvoll auf ihrer Sitzposition unterhalb.

      Alle Angehörigen dieser geschlossenen Organisation waren mehr oder weniger eindeutig russisch-slawischer Abstammung. Bei manchen war dies nicht so augenscheinlich, aber alle waren klar von den anderen Gefangenen abzugrenzen, die größtenteils arabischer oder schwarzafrikanischer Herkunft waren und sich ebenfalls in Gruppen zusammenfanden. Es schien nur wenig neutrale Insassen zu geben, die sich nicht einer dieser Gruppierungen zuordneten, was ihr Dasein in der Justizvollzugsanstalt nicht eben leichter machte.

      In