Wolfgang Wirth

look back again


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sie zurück zu erlangen.

      Ein schriller Signalton erklang und beendete damit den heutigen Freigang der Gefangenen. Der stärker werdende Nieselregen machte dies zu einem nicht allzu bedauernswerten Umstand und die Häftlinge drängten sich zu dem Tor, das sie ins Trockene ließ. Nur zwei Männer verharrten auf ihren Plätzen ungeachtet des feuchten Wetters und ungehindert vom Wachpersonal.

      Auf der obersten Stufe der Tribüne startete nun ein weiterer Abschnitt eines endlosen Gesprächs, das mehr einem Verhör glich, nur der Verhörte empfand das nicht so. Er sah die Unterhaltung eher als eine erneute Chance ausschweifend über sein Lieblingsthema zu sprechen, seine Sicht der Dinge zu äußern und Pläne zu schmieden. Doch war ihm nicht bewusst, dass er an diesen Plänen selbst gar nicht teilhaben würde.

      Epilog

      Dubai, Freitag, 6. Oktober, 17.30 Uhr

      Der Blick aus der 154. Etage war atemberaubend. Man hatte nicht mehr das Gefühl in einem Hochhaus zu sein, die Perspektive entsprach eher der Sicht aus einem Flugzeug. Hier im obersten und teuersten Stockwerk der nutzbaren Etagen des Burj Khalifa befand sich das exklusive Büro der Unternehmensberatung Falcon Feather Consulting, doch Publikumsverkehr gab es hier keinen. Auch Beschäftigte suchte man vergebens auf den rund sechshundert Quadratmetern edelster Tagungs- und Besprechungsräume.

      Die Räumlichkeiten waren luxuriös ausgestattet in einer Kombination aus traditionellen arabischen Teppichen und Accessoires und modernem Designermobiliar. Originalgemälde alter Meister hingen an den Wänden und teure Schmuckstücke zierten Sideboards und Vitrinen. Alles, was hier goldfarben glitzerte, waren nicht etwa vergoldete Antiquitätenkopien oder gar billige Touristensouvenirs, es waren massivgoldene Skulpturen und Schätze aus alter Zeit, reich verziert mit funkelnden Edelsteinen.

      Dies alles gehörte keinem Geringeren als dem Emir von Dubai höchstpersönlich, dem gütigen und diplomatischen, aber auch mit harter Hand regierenden Oberhaupt des kleinen und mächtigen Emirats am Persischen Golf. Sein Vater hatte bereits nach dem spektakulären Bau des weltgrößten Gebäudes die oberste Büroetage über Drittfirmen erstanden, um dort anonym geschäftliche Treffen zu arrangieren, weit ab von seinen Amtsräumen im Diwan und den Privaträumen seines Palastes.

      Die beiden Männer, die am Fenster über das Lichtermeer Dubais blickten, hatten in diesem Moment aber wenig Sinn für diesen Reichtum oder auch das unvergleichliche Panorama. Sie trafen sich hier in diesen geheimen Räumlichkeiten des Emirs, um wichtige Angelegenheiten zu besprechen. Dinge, die die Geschichte der Familie und des reichen Emirats betrafen, die vergangene sowie zukünftige Geschichte.

      „Raschid bin Hamdan, mein geliebter Neffe!“, sprach der Scheich mit ruhiger, großmütiger Stimme und zeigte mit einer majestätischen Geste auf das Lichtermeer in der Dämmerung unter ihnen. „Alles, was du hier erblickst, hat unsere Familie ermöglicht oder sogar selbst erschaffen. Kein Familienbund weltweit hat Ähnliches erreicht wie unsere Vorfahren und wir als jetzige Herrscher.“

      „Ich weiß, Onkel, Verehrungswürdigster!“ Raschid beugte sich leicht vor und folgte demütig dem Fingerzeig seines Onkels. Trotz der familiären Nähe zu ihm und der Tatsache, dass der Emir ihn wie einen eigenen Sohn behandelte, fehlte es ihm nicht an Respekt.

      „Schon vor dem Ölboom und dem Reichtum, den er nach der Gründung der Vereinigten Arabischen Emirate in unser Land schwemmte, waren unsere Familien trotz verhältnismäßiger Armut privilegiert“, fuhr der Emir fort und legte väterlich den Arm um Raschids Schultern. „Viele Schätze gehörten schon unseren Vätern, als sie noch Stammesfürsten waren und in der Wüste in Zelten lebten. Du kennst die Geschichten, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden und die die Öffentlichkeit nicht immer kennen muss.“

      „Ja, Onkel, Verehrungswürdigster! Ich weiß um den Reichtum unserer Väter und deren Väter. Ich selbst profitiere ja auch davon.“

      „Ja, das tust du und das ist auch gut so. Nie soll es unserer Familie an irgendetwas mangeln. Trotzdem bist du ein fleißiger und cleverer Junge, hast dein Studium erfolgreich absolviert und arbeitest im Ministerium deines Vaters. Das Außenministerium ist ein guter Ort, um internationale Erfahrungen in der Diplomatie zu sammeln, besonders für einen so talentierten jungen Mann wie dich.“ Jetzt klopfte der Scheich seinem Neffen auf die Schulter.

      „Du beschämst mich mit deinem Lob, Onkel!“

      „Nein! Das tue ich nicht! Du hast dir inzwischen einen Namen gemacht und mein Bruder, in seiner Funktion als Minister und ich sind sehr zufrieden mit deiner Arbeit. Du verfügst über viele Talente. Wie viele Sprachen sprichst du?“

      „Neben den verschiedenen arabischen Dialekten und englisch noch weitere fünf. Mit chinesisch habe ich aber so meine Schwierigkeiten.“

      „Ich glaube“, lachte der Emir laut auf, „mit chinesisch haben sogar die meisten Chinesen ihre Schwierigkeiten. Es heißt, es gibt nur wenige Chinesen, die tatsächlich alle Schriftzeichen beherrschen. Stimmt das?“

      „Ich weiß nicht. Aber ich weiß, dass viele nur einen Bruchteil ihrer eigenen Sprache kennen. Ist das nicht traurig?“

      „Ja, das ist es!“ Der Emir hob eine Augenbraue und wurde plötzlich ernst. „Ich habe dich aber nicht hier her gebeten, um mit dir deine berufliche Karriere zu besprechen. Die hast du, so glaube ich, ganz gut selbst im Griff. Du erfüllst mich und unsere Familie mit Stolz. Und das ist auch der Grund, warum du hier bist.“

      Der junge Emirati schaute seinen Onkel mit fragendem Blick an. Dieser drehte sich zu ihm, ergriff mit beiden Händen seine Schultern und sah ihm tief und eindringlich in die Augen.

      „Raschid, ich habe Dringendes mit dir zu besprechen.“ Mit diesen Worten verdunkelte sich der Blick des Scheichs immer mehr. „Eine ursprünglich familiäre Angelegenheit, die aber auch ein internationales Problem darstellen könnte. Und ich brauche deine Hilfe. Du verfügst über die notwendigen Fähigkeiten und ich vertraue dir. Deshalb will ich diese heikle Sache in deine Hände geben.“

      Raschid schien nicht wirklich begeistert, offenbar ahnte er bereits, dass es sich um eine riskante und delikate Angelegenheit handelte. „Und du glaubst, dass ich wirklich der Richtige dafür bin, verehrungswürdigster Onkel? Gibt es nicht erfahrenere Männer dafür?“

      „Du bist der Einzige, der über die notwendige Kombination aus Loyalität, Sprachkenntnissen und anderen Fähigkeiten verfügt, die du dir nicht zuletzt in der Sondereinheit zur Terrorbekämpfung angeeignet hast. Du hast eine besondere Ausbildung genossen und kennst die verstrickten Wege der Diplomatie. Aber eben auch die Wege daran vorbei. Und du hast das Wichtigste: mein grenzenloses Vertrauen.“

      Jetzt erst ließ der Emir die Schultern seines Neffen los. Sein Blick bohrte sich aber noch tiefer in die schwarzen Augen des jungen Mannes. „Ich will und kann dich nicht zwingen, Raschid. Ich bitte dich als mein Vertrauter und Mitglied unserer Familie. Und im Namen aller friedliebenden Völker dieser Erde!“

      Raschid wurde bei den letzten Worten richtig mulmig zumute. Wie konnte er, ein kleiner Beamter des Außenministeriums, der gerade mal Mitte Zwanzig war, solch eine international wichtige Aufgabe übernehmen, die zudem noch offenbar mit der Familienehre zu tun hatte? Mitglied der Herrscherfamilie hin oder her, über seine Kenntnisse verfügten Hunderte andere auch, die mit Sicherheit mehr Erfahrung aufzubieten hatten. Aber er wusste, er konnte auf keinen Fall die Bitte seines Onkels ablehnen. Sie war nichts anderes als ein nett verpackter Befehl. Natürlich konnte er ihn nicht zwingen, aber hatte Raschid eine Wahl? Also nickte er vorsichtig und erwiderte den festen Blick des Emirs.

      „Setz dich“, sagte dieser und führte Raschid zu dem mit Goldfäden bestickten Sofa. „Ich werde dir bei einem Glas Tee die Einzelheiten erläutern. Ich denke, ich brauche nicht zu erwähnen, dass unser Gespräch hier absolut vertraulich ist. Niemand, selbst unter Anwendung von Folter, darf von dem, was ich dir nun erzähle, jemals Kenntnis erlangen!“

      Raschid schluckte bei dem letzten Satz, bestätigte er doch seine Befürchtungen, dass sich der Auftrag als gefährlich erweisen würde. Er setzte sich aber ergeben