Wolfgang Wirth

look back again


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ihre Kraft inzwischen verloren, so dass dieser Blick zurück nicht mehr funktioniert.“

      „Kann man die denn nicht irgendwie ersetzen?“ Alex gab nicht auf. „Wäre das denn nicht eine Sensation für die Wissenschaft?“

      „Genau das will mein Daddy aber nicht“, schaltete sich jetzt doch David in das Gespräch ein. Offenbar hatte er Alex die ganze Geschichte erzählt und wollte sich nun irgendwie rechtfertigen. „Keiner außer uns weiß davon, da die Uhr in den falschen Händen eventuell Schlimmes bewirken könnte. Der Einzige, der das Geheimnis außer uns kennt, ist dieser französische Geheimdienstler, der aber den Rest seines Lebens wegen Hochverrats in Frankreich im Gefängnis sitzt. Wie ich dir schon gesagt hatte, muss das aber unter uns bleiben, Alex.“

      „Ja klar, keine Angst!“, versicherte Alex und machte eine Handbewegung mit den Fingern als wollte sie ihre Lippen verschließen. „Ich kann schweigen wie ein Grab.“

      Brian schien resigniert und doch schöpfte er wieder Hoffnung nach der Beteuerung der jungen Frau.

      „Im Ernst, Alex“, betonte er. „Es wäre schön, wenn du das für dich behalten würdest. So, wie es ist, ist es sicher am besten. Diese Uhr hat schon genug Menschenleben auf dem Gewissen, es müssen nicht noch mehr werden. Und seitdem dieser wahnsinnige Franzose aus dem Verkehr gezogen wurde und die Uhr nicht wieder aufgetaucht ist, ist es auch so geblieben. So hat die Welt ihre Ruhe.“

      Alex nickte zustimmend, auch wenn man ihr ansah, wie gerne sie mehr darüber erfahren, beziehungsweise die Uhr sicher gerne mal in Händen gehalten hätte.

      Damit war dieses Thema nun aber beendet und die Vier liefen zunächst schweigend weiter, bis wiederum Alex die peinliche Ruhe durchbrach.

      „Sagt mal“, wandte sie sich an Laetitia, „habt ihr nicht Lust morgen Abend mit uns zum Lichterfest zu gehen. Da gibt es Lasershows, die Gebäude werden bunt angestrahlt und zum Abschluss gibt’s ein Feuerwerk. Es wäre doch ein schöner Abschluss dieses wunderschönen Wochenendes. Ich bin so glücklich, euch jetzt endlich mal kennengelernt zu haben. Bitte sagt ja!“

      Auch David begrüßte den Vorschlag.

      „Warum denn nicht, wir haben morgen bisher noch nichts vor“, erwiderte Laetitia und schaute Brian an. Sein zögerliches Nicken verriet ihr, dass er im Moment zwar gedanklich weit weg war, er aber nichts dagegen einzuwenden hatte.

      „Super!“, freute sich Davids Freundin und umarmte Laetitia strahlend. „Ich freue mich drauf. Wir können ja vorher noch was zusammen trinken gehen. Ich kenne da so eine gemütliche Cocktailbar beim Osthafen. Die wird euch bestimmt gefallen.“

      Mit diesem neuen Ziel vor Augen spazierten sie vergnügt nach Hause. Keiner sprach mehr über die Uhr. Alle waren zufrieden mit dem Verlauf des bisherigen Tages und freuten sich auf den gemeinsamen Besuch des Festes am Sonntag. Nur Brian hing seinen Gedanken nach und schritt stirnrunzelnd hinterher.

      Er hatte das Gefühl, als ob ihn die Schatten der Vergangenheit wieder eingeholt hatten.

      Epilog

      Berlin, Sonntag, 8. Oktober, 9.00 Uhr

      Nicki Bischoff war jetzt im zweiten Jahr bei der Berliner Kriminalpolizei, immer noch ein Frischling in den Augen ihrer Kollegen. Zwar war inzwischen ein Großteil der Kollegschaft weiblich, aber dennoch war das Durchschnittsalter weit über ihrem und so sahen die anderen Kripobeamten durchaus ein wenig auf sie herab. Zudem war sie klein und zierlich und hatte ein sehr jugendliches Aussehen. Nicht selten wurde sie beim Besuch diverser Bars und Diskotheken nach ihrem Ausweis gefragt, und es war sogar schon zweimal vorgekommen, dass sie ihren Dienstausweis zückte, da der Türsteher sie beschuldigt hatte, falsche Ausweispapiere zu besitzen. Insofern war Nicki bereits so manchen abschätzigen Blick gewohnt und machte sich nichts weiter daraus.

      Dass sie überhaupt in den Polizeidienst gekommen war und dann auch noch hier zur Kripo Berlin, hatte sie einzig und allein den Beziehungen ihres Vaters zu verdanken, ein Senatsmitglied und alter Freund des Polizeipräsidenten. Dessen war sie sich durchaus bewusst. Ihre theoretischen Ergebnisse im Laufe ihrer Polizeiausbildung waren zwar ganz in Ordnung, ihre körperliche Durchsetzungskraft ließ aber zu wünschen übrig. Aber sie arbeitete weiter daran. Die Arbeit machte ihr größtenteils Spaß, nur mit der Hierarchie des Polizeiapparates hatte sie ihre Probleme. Und die Wichtigtuerei so mancher Vorgesetzten fand sie schlicht lächerlich.

      Gemeinsam mit ihrem älteren Kollegen Hermann, bei dem sie bis heute nicht genau wusste, ob das sein Vor- oder Nachname war, hatte sie schon den ein oder anderen gefährlichen Einsatz überstanden, die meiste Zeit aber verbrachte sie dennoch am Schreibtisch mit Recherchen und Berichten. Das konnte sie auch am besten. Hermann war zwar etwas altbacken für ihren Geschmack, aber er war okay und sie kamen gut miteinander klar. Er hatte reichlich Erfahrung in dem Job und sie konnte viel von ihm lernen.

      Zwar gab es keine wirklich geregelten Arbeitszeiten und regelmäßige Wochenendschichten gehörten dazu, trotzdem war die Einsatzbesprechung, zu der die Beiden heute gerufen wurden, ungewöhnlich.

      Ihr Vorgesetzter, Kriminaloberrat Heinrich Geyer, hatte sie an diesem Sonntagmorgen ins Büro beordert. Zu ihrer Überraschung waren sie aber die Einzigen und die Besprechung fand nur zu Dritt statt. Bei sonstigen Einsatzbesprechungen, vor allem, wenn sie so kurzfristig einberufen wurden, war meist die ganze Abteilung dabei. Es kam auch gelegentlich vor, dass eine Sondereinsatzgruppe zusammengestellt wurde, in der es in der Regel fünf Zweierteams gab. Aber nichts dergleichen war heute zu erkennen.

      Ihr Chef wartete an der Türe, blickte sich zu beiden Seiten des Flurs geheimnisvoll um und schloss die Tür hinter ihnen.

      „Hermann, Fräulein Bischoff“, sprach er sie an und blickte beiden bestimmt in die Augen, so dass sein faltenreiches Gesicht noch faltiger erschien. „Ich weiß, ein Briefing in einem so kleinen Kreis ist ungewöhnlich, aber ich habe eine Spezialaufgabe für sie beide. Sie bedarf äußerster Geheimhaltung. Nichts von dem, was ich ihnen jetzt berichte, darf diesen Raum verlassen. Habe ich hierzu ihre Zustimmung?“

      Was für eine Frage, dachte Nicki, war es doch ganz klar ein eindeutiger Befehl. Kurz war sie versucht, zu fragen, was passieren würde, wenn nicht, aber sie unterließ diese Bemerkung. Geyer war ohnehin nicht gut auf sie zu sprechen und ihre lockere Art und flapsigen Kommentare fand er gar nicht witzig. Außerdem störte er sich an ihrem ungewöhnlichen Make-Up, mit dem sie seiner Ansicht nach wie eine Drogenabhängige aussah. Sie genoss zwar wegen ihres Vaters ein Stück weit Narrenfreiheit, zumal sie auch gute Arbeit leistete, aber sie wollte den Bogen doch nicht überspannen.

      „Was kann denn so geheim sein, dass selbst unser Team nichts davon wissen soll?“, fragte Hermann und blickte ungläubig. Er war bereits seit vielen Jahren Kriminalkommissar und hatte schon so manches Seltsame und die kuriosesten Vorgesetzten erlebt, aber die Geheimniskrämerei seines Chefs kam ihm doch suspekt vor.

      „Das werden sie gleich erfahren“, fuhr Geyer mit seiner nasalen Stimme fort und schaltete den Beamer auf seinem Schreibtisch an. An der Wand neben der Türe erschien daraufhin langsam das Bild eines Mannes, der wie ein freundlicher Mathematiklehrer um die fünfzig aussah. Ein kleiner Haarkranz umlief seinen Schädel und er hatte eine altmodische runde Hornbrille auf der Nase. Bekleidet war er mit einem karierten Hemd ohne Krawatte, einem roten Pullunder und einer ausgebeulten Stoffhose. Das Foto, das jetzt immer heller und deutlicher wurde, war offensichtlich auf dem Berliner Hauptbahnhof aufgenommen, Nicki erkannte ein Schnellrestaurant im Hintergrund, wo sie häufig ihren Hunger stillte.

      „Das ist Wladimir Pozorsky, ein Mitglied der russischen Mafia und deren ausführender Arm, wann immer es tödlich wird“, sprach der Kriminaloberrat in unheilbringendem Flüsterton und blendete das nächste Bild ein. „Und das hier ebenfalls!“

      Das zweite Foto zeigte einen scheinbar komplett anderen Menschen, Typ Banker in dreiteiligem Nadelstreifenanzug mit dunklem, militärischem Bürstenschnitt und Dreitagebart. Wieder klickte Geyer weiter und betonte, dass auch das dritte Foto den gleichen Mann zeige. Jetzt sah der Killer wie ein wohlsituierter junger Mann aus, in gepflegten Jeans und