Wolfgang Wirth

look back again


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      Geyer klickte zurück zum ersten Foto und erklärte: „Pozorsky ist vor ein paar Tagen hier in Berlin eingetroffen, wo er sich derzeit aufhält, wissen wir nicht. Er ist ein Handlanger der russischen Mafia und dort, wo er auftaucht, gibt es kurze Zeit später Leichen. Er regelt alles lautlos und diskret, nicht ist ihm nachzuweisen. Meistens ist er wieder von der Bildfläche verschwunden, bevor man die Spuren seines Tuns findet.“

      „Und was will er hier?“, wollte Nicki wissen.

      „Genau das sollen sie beide herausfinden, und möglichst, bevor etwas passiert.“

      „Habe ich das richtig verstanden?“ zweifelte Hermann immer noch an dem Auftrag. „Wir sind zwei, keiner sonst soll davon wissen, und wir sollen einen Mann ausfindig machen, der sich wie ein Chamäleon bewegt und von dem wir nur einen Namen und ein paar völlig unterschiedliche Fotos kennen?“

      „Eine exakte Zusammenfassung, Hermann!“, stimmte sein Chef zu, ohne auch nur die geringsten Anzeichen dieses weiter kommentieren zu wollen.

      „Und warum können wir dafür nicht mehr Leute einsetzen?“, fragte die junge Polizistin.

      „Das will ich ihnen erklären, Fräulein Bischoff.“ Geyer machte sich immer wieder einen Spaß daraus, Nicki mit Fräulein anzusprechen, denn er wusste, dass sie das nicht mochte. In diesen Momenten sprach er noch mehr durch die Nase als sonst.

      „Sagen wir mal, es fehlt uns an Renommee in dieser Dienststelle. Der Polizeipräsident hat letztens angedeutet, dass unsere Aufklärungsrate zu gering sei und wir mit Stellenabbau und Etatkürzungen zu rechnen haben, wenn sich das nicht bessert. Wir haben durch diese Geschichte jetzt die Chance, das zu ändern. Normalerweise ist das hier ein Fall für das Bundeskriminalamt, da es sich um eine bundesweite, ja sogar internationale Verbrecherorganisation handelt. Wir haben Glück, dass mir ein Informant gesteckt hat, dass Pozorsky ausgerechnet hier aufgetaucht ist. Ich hoffe, dass er auch etwas in Berlin plant und natürlich, dass sie ihm dabei auf die Schliche kommen, im günstigsten Fall sogar seine Pläne vereiteln können. Wir legen dann dem BKA den gelösten Fall vor und stehen gut da. Da aber ihre anderen Kollegen die Zusammenarbeit mit der Bundespolizei suchen würden, habe ich sie beide ausgesucht. Hermann, sie sind mein erfahrenster und loyalster Beamter, ich zähle auf sie. Und Bischoff, sie können jetzt einmal beweisen, dass sie mehr drauf haben, als Kaugummikauen und Computerspielen.“

      Wirklich glücklich waren die beiden Polizisten nicht über ihren Spezialauftrag, aber welche Wahl hatten sie schon.

      „Sie berichten direkt an mich oder an Frau Ripper, sie ist als Einzige in unsere Aktion eingeweiht“, fuhr Geyer fort mit Hinweis auf seine direkte Assistentin, eine willensstarke Kollegin kurz vor dem Rentenalter, die Selbstbewusstsein zuweilen mit Sturheit verwechselte. An guten Tagen konnte sie durchaus kooperativ sein, offene Kommunikation war allerdings nicht ihre Stärke.

      „Ich möchte jeden Tag über ihre Fortschritte informiert werden. Finden sie diesen Pozorsky und stellen sie fest, was er vorhat. Dann schnappen sie ihn, am besten in dem Moment, wo er zuschlagen will.“

      Der Polizeichef reichte den beiden einen Umschlag mit weiteren Informationen und schickte sie an die Arbeit. Um noch einmal die Geheimhaltung zu unterstreichen, legte er dramatisch den Zeigefinger auf seinen Mund.

      „Und kommen sie erst wieder hierher, wenn sie etwas haben!“

      Nicki und Hermann verließen den Besprechungsraum und schauten sich verwundert, ja fast verärgert an. Der ältere Polizist signalisierte seiner jungen Kollegin ihm zu folgen und sie gingen zunächst in die Kantine, die um diese Zeit kaum besucht war. Sie nahmen sich einen Kaffee und verkrochen sich in eine ungestörte Ecke.

      „Was hältst du davon?“, fragte er skeptisch.

      „Sag du es mir! Du bist doch der Mann mit Erfahrung!“ Nicki äffte ihren Vorgesetzten nach. „Ich kann nur Kaugummi kauen!“

      „Lass dich von dem doch nicht ärgern. Der hat doch selbst den größten Vogel! Nichtsdestotrotz haben wir einen Job zu erledigen. Kann uns doch egal sein, ob er sich damit profilieren will. Das geht sowieso in die Hose und wir folgen nur seinen Anweisungen.“

      „Na, ein bisschen Ruhm und Ehre könnten wir auch gebrauchen. Er kann ja nachher nicht behaupten, er hätte alles im Alleingang gelöst.“

      „Noch haben wir nichts gelöst. Ich bezweifele auch, dass wir das überhaupt schaffen können. Zu zweit sind wir doch machtlos.“

      „Unterschätze uns nicht, Hermann! Wir sind doch ein gutes Team!“ Nicki war voller Tatendrang. „Also, wo fangen wir an?“

      Ein wenig wurde Hermann schon von Nickis Euphorie mitgerissen. Er überlegte kurz, dann sagte er: „Ich schlage vor, wir schauen erst einmal, wo unsere russischen Freunde gewöhnlich auftauchen und rumlaufen. Das kannst du von hier aus machen, ich befrage mal unsere Spitzel in dem Umfeld, ob die etwas mitbekommen haben. Dann schauen wir mal vor Ort, ob wir was finden. Wenn er mit der Bahn gekommen ist, hat er wahrscheinlich ein Taxi genommen, das müssen wir finden. Wir haben ein Foto von Pozorsky an dem Tag seiner Ankunft. Das müsste doch machbar sein.“

      Hermann nickte Nicki ermunternd zu und leerte seinen Becher. „Also los, trink deinen Kaffee aus und setz dich an den Computer. Wir treffen uns in zwei Stunden am Hauptbahnhof am Taxistand.“

      Nicki warf ihren halbvollen Kaffeebecher in den Müll, warf sich einen rosa Kaugummi ein und marschierte los in Richtung Treppenhaus. Hermann nahm den Aufzug Richtung Tiefgarage.

      Sie hatten einen Job zu erledigen.

      Epilog

      Paris, Sonntag, 8. Oktober, 14.10 Uhr

      Staryy Medved, der alte Bär, saß auf der obersten Stufe seiner Treppe und genoss die Sonnenstrahlen, die ihm das faltige Gesicht wärmten. Es war ein großartiger Tag. Die Sonne lachte vom blauen Himmel, als wollte sie ihm ihre Unterstützung signalisieren. Heute würde vieles zum Abschluss gebracht und ein neues Kapitel sollte beginnen. Alles war bis ins Detail geplant und vorbereitet, nichts durfte schief gehen. Die wenigen Eingeweihten in seinem direkten Umfeld waren dementsprechend angespannt. Jeder hatte genaue Instruktionen.

      Neben ihm kauerte Philippe Renard. Zwar durfte er auf gleicher Stufe wie der Russe sitzen, allen war aber bewusst, dass dies nur vorübergehend war und die Körperhaltung des Franzosen verriet Unterwürfigkeit.

      Er hatte Staryy Medved alles erzählt, was er selbst über die mysteriöse Uhr wusste und was er glaubte zu wissen. Renard war überzeugt, dass auch seine Freiheit und damit ein neuer Lebensabschnitt für ihn unmittelbar bevor lag. Er war sich nicht sicher, wie dieser aussehen würde, sein Leben lang hatte er auf der Seite der Gerechtigkeit und seines Vaterlandes gestanden, auch wenn er dies gern etwas eigenwillig auslegte. Sein Kampf hatte immer dem Verbrechen und dem Terrorismus gegolten, aber sein Land hatte ihn verraten, der Präsident seine Arbeit nicht zu schätzen gewusst. Nun war er sozusagen gezwungen, die Seiten zu wechseln. Wie seine Allianz mit der russischen Mafia in der kommenden Zeit aussehen würde, wusste er noch nicht, aber er glaubte in dem alten Russen einen starken Partner gefunden hatte. Die Zukunft gehörte ihnen. Wenn sie erst einmal die magische Uhr in ihrem Besitz hatten, würden sie die Welt erobern. Mit ihrer Fähigkeit konnten sie alles und jeden kontrollieren. Sobald sie draußen waren, würden die nächsten Schritte eingeleitet. Trotz der Ungewissheit war Renard zuversichtlich, aber er hatte seine Zweifel. Er hatte genug der Gefängnisinsassen um ihn herum selbst hierher gebracht, natürlich nicht persönlich, es aber veranlasst. Und er wusste, wie sicher oder auch unsicher diese Mauern waren. Andererseits vertraute er seinem neuen russischen Freund.

      Aus dem Augenwinkel beobachtete Staryy Medved den Franzosen neben ihm. Er glaubte, seine Gedanken lesen zu können. Hatte er ihm wirklich alles erzählt? Bis zu diesem Morgen war sich der Russe nicht ganz sicher gewesen, war der ehemalige Geheimdienstchef doch immer noch verschlagen genug, ihm wesentliche Fragmente seines Wissens vorenthalten zu können. Aber dann hatten ihn die letzten Informationen eines Besseren belehrt.

      An diesem Vormittag hatte