Wolfgang Wirth

look back again


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Die Flure waren videoüberwacht und hier drin konnte ein Patient sowieso nichts anstellen.

      Außer er war auf der Flucht!

      Staryy Medved sprang auf und stürzte auf den Arzt zu. Noch ehe dieser sich umdrehen konnte, hatte der Russe ihn am Kopf gepackt und diesen ruckartig zur Seite gedreht. Mit einem lauten Knacks war das Genick gebrochen. Der alte Bär tauschte mit dem Arzt die Gefängnisjacke und den Arztkittel, setzte sich dessen Brille auf und warf ihn auf das fahrbare Krankenbett. Dann schnitt er mit einer Verbandschere in die Stirn des Mediziners und verband die blutende Wunde notdürftig, so dass sein Gesicht nicht mehr zu erkennen war, wohl aber die blutdurchnässte Mullbinde.

      Als Arzt verkleidet und den Blick nach unten gewendet schob er nun das Krankenbett auf den Flur. Seine Haare waren zwar etwas kürzer als die des Arztes, aber die Kleidung und die Situation, in der es vermeintlich um Leben und Tod ging, ließen die Täuschung sicherlich funktionieren. Der alte Bär kannte natürlich die Pläne des Gefängnisses genau und wusste, ohne sich großartig orientieren zu müssen, welchen Weg er zum Hinterausgang einschlagen musste. Dort würde nun hoffentlich auch der Krankenwagen bereitstehen.

      Am Ende des Korridors versperrte ihm eine verschlossene Gittertüre den Weg, die von einem rundlichen Wachmann gesichert wurde.

      „Schnell, machen sie auf!“, rief der alte Bär in scharfem Befehlston schon von Weitem. Ohne den Kopf zu heben zeigte er auf den blutenden Verletzten. „Und kommen sie als Begleitschutz mit. Dieser Mann hier muss sofort ins Krankenhaus. Ist der Krankenwagen da? Sorgen sie dafür, dass wir freien Durchgang haben!“

      „Jawohl, Docteur! Sofort.“ Der Wachmann sprang auf und öffnete das Gitter. Dann sprach er in sein Funkgerät, um seine Kollegen zu informieren. Nachdem der falsche Arzt an ihm vorbei war, verriegelte er die Tür wieder und hechelte hinterher.

      So erreichten sie nach zwei weiteren Türen, die ihnen unaufgefordert geöffnet wurden, den Hintereingang des Gefängnisses. Auch die Ankunft des Rettungswagens wurde dem alten Bären schon vorab mitgeteilt.

      Als sich die Hecktüren des Sanitätsfahrzeugs öffneten, blickte er erleichtert in zwei bekannte Gesichter, seine Männer hatten also den Wagen in ihre Gewalt gebracht und konnten ihren Chef nun unerkannt mitnehmen.

      „Ich fahre zur Sicherheit mit“, rief der falsche Arzt dem Wachmann zu. „Geben sie drinnen Bescheid. Ich bin spätestens in einer Stunde zurück.“

      Die angeforderten Polizeibeamten, die den Krankenwagen zu begleiten hatten standen neben dem Fahrzeug. Während einer der beiden zu seinem Streifenwagen zurückkehrte, kletterte der andere in den Rettungswagen. Die falschen Sanitäter luden den toten Arzt in den Wagen und während einer als Fahrer nach vorne ging, stieg der andere mit Staryy Medved hinten ein.

      Der Krankenwagen verließ mit Blaulicht das Gefängnisgelände, gefolgt von dem Polizeifahrzeug. Während sich der russische Gefolgsmann am Steuer in halsbrecherischer Fahrt durch den Verkehr schlängelte, wunderte sich der Polizeibeamte im hinteren Teil des Fahrzeugs, warum sich niemand um den Verletzten kümmerte.

      „Unternehmen sie doch etwas!“, rief er. „Der regt sich ja gar nicht mehr!“

      „Das liegt wahrscheinlich daran, dass er tot ist!“, gab der alte Bär zurück und grinste. Er schaute den verdutzten Polizisten mitleidig an, während ihm der andere Russe von hinten die Kehle durchschnitt.

      Jetzt galt es nur noch den Polizeiwagen abzuschütteln, der ihnen problemlos in einigen Metern Abstand folgte. Das nächstgelegene Krankenhaus war das Hôpital Pitié-Salpêtrière, doch sie waren in entgegengesetzter Richtung unterwegs. Der Polizist wunderte sich sicherlich schon darüber, es galt also schnell zu handeln.

      Staryy Medved gab seinen Männern ein Zeichen und der Fahrer hielt kurzerhand am Straßenrand an. Auch das Polizeiauto hinter ihm stoppte mit quietschenden Reifen. Der zweite Sanitäter sprang hinten aus dem Rettungswagen, ging schnellen Schrittes zu dem Streifenwagen und signalisierte dem Polizisten die Scheibe herunterzulassen. Noch ehe der Beamte nach dem Grund des Haltens fragen konnte, hatte er eine Kugel im Kopf. Der Russe sprang wieder in den Krankenwagen und die Fahrt wurde ohne Blaulicht fortgesetzt.

      In einem nahegelegenen Parkhaus wartete bereits ein schwarzer Mercedes auf sie. Sie ließen den Rettungswagen mit den beiden Leichen stehen, der russische Mafiachef wechselte seine Kleidung und sie fuhren mit der dunklen Limousine davon.

      Der alte Bär war auf dem Weg nach Berlin!

      Epilog

      Berlin, Sonntag, 8. Oktober, 18.00 Uhr

      Die Straßen waren voll mit Besuchern aus aller Welt und Bürgern der Hauptstadt. Wie jedes Jahr war der Andrang groß, alle wollten Berlins Monumente im bunten Licht erstrahlen sehen. Das Wetter spielte mit, es war trocken und nicht zu kalt, die Menschen waren in Feierlaune.

      Laetitia und Brian hatten sich für die Bahn entschieden, heute einen Parkplatz zu finden war so gut wie aussichtslos. Aber auch der Zug füllte sich immer mehr, je weiter er sich der Innenstadt näherte. Die Menschen standen eng zusammen.

      Eine schwitzende dicke Frau hatte ihren Arm nach oben gestreckt, um sich festzuhalten, genau vor Brians Gesicht. Der sah Laetitia an, rümpfte die Nase und rollte mit den Augen. Seine Frau musste grinsen und drehte sich dezent zur Seite.

      Gut, dass sie Mr. Jones zuhause gelassen hatten. Zwar liebte er es seltsamerweise beim Feuerwerk zuzuschauen, aber Menschenmengen, die sich einen Dreck darum kehrten, was zwischen ihren Füßen herumlief, waren eine Tortur für den Hund.

      Sie erreichten den Treffpunkt am Osthafen pünktlich, aber von Alex und David war noch nichts zu sehen. Es dämmerte bereits und sie stellten sich gut sichtbar neben die Litfaßsäule und blickten sich um.

      „David ist doch sonst immer pünktlich“, wunderte sich Laetitia.

      „Aber jetzt“, lachte Brian, „ist eine Frau an seiner Seite, die die Uhrzeiten bestimmt. Vergiss das nicht! Und Frauen brauchen nun mal ihre Zeit, bis sie vorzeigefähig sind. Wer wüsste das besser als du!“

      Brian wusste, dass dieses Thema seine Frau auf die Palme brachte und stichelte deshalb umso lieber. Andererseits wusste er auch, dass sie ihn gut genug kannte, um es ihm nicht übel zu nehmen.

      „Wer hat denn heute eine Viertelstunde vor dem Spiegel verbracht, bis auch das letzte Haar gestylt war und perfekt lag?“, gab Laetitia zurück. „Wollte sich da nicht jemand besonders zurechtmachen, um einer jungen hübschen Frau zu imponieren?“

      „Wie kommst du darauf?“, erwiderte Brian mit Unschuldsmiene. „Ich möchte nur neben meiner schönen Gattin nicht aussehen wie ein Penner.“ Er drückte seiner Frau einen Kuss auf die Stirn.

      Laetitia lächelte und blickte an ihrem Mann vorbei. „Da kommen sie ja“, sagte sie und winkte in Richtung des jungen Paares, das sich eng umschlungen näherte.

      „Tut mir leid!“, entschuldigte sich David und umarmte seine Eltern. „Wir sind ein bisschen spät dran. Alex hat ein wenig länger gebraucht.“

      Die beiden Männer wechselten einen vielsagenden Blick.

      „Ist doch nicht schlimm“, intervenierte Laetitia sofort, die das Thema nicht weiter vertiefen wollte.

      „Ja, ich bin dran schuld“, erklärte Alex. „Ich musste noch dringend telefonieren, das hat etwas länger gedauert und wir haben die U-Bahn verpasst.“

      Auch Alex umarmte Laetitia und Brian, aber irgendwie erschien sie etwas abwesend und nicht ganz so herzlich wie am Vortag. Sorgenfalten zogen sich über ihr hübsches Gesicht und ihr ansteckendes Lächeln, mit dem sie die beiden am Vortag so unbeschwert für sich gewonnen hatte, wirkte heute etwas gequält.

      „Also, wo führst du uns hin?“, fragte Laetitia.

      „Es ist gleich hier um die Ecke, mit Blick übers Wasser.“

      Alex zeigte nach rechts und die drei anderen folgten ihr zu der kleinen, urig ausschauenden Cocktailbar