Wolfgang Wirth

look back again


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      Das erste Gespräch hatte er mit seinem Maulwurf geführt, den er vor Kurzem bei der Polizei in Berlin aktiviert hatte. Dieser hatte berichtet, dass der aktenkundige Russe Wladimir Pozorsky von der Polizei bei seiner Ankunft erkannt worden war und zwei Beamte damit beauftragt waren, ihn zu finden. Der alte Bär hatte daraufhin klare Anweisungen gegeben, dass sein Gesprächspartner genau dieses zu verhindern hatte. Pozorsky solle frei agieren können, ohne sich mit möglichen Verfolgern auseinander setzen zu müssen. Die Stimme aus Berlin hatte ihm volle Unterstützung versichert.

      Der zweite Anruf hatte Pozorsky selbst gegolten. Der Mann für’s Grobe, wie der alte Bär ihn nannte, hatte bestätigen können, die entsprechenden Anweisungen und die erste Zahlung erhalten zu haben. Ebenso hatte sich sein Informant bereits gemeldet. Die Information zum Aufenthalt des Zielobjektes hätte er bereits bekommen und würde sich am Abend der Sicherstellung widmen. Staryy Medved hatte betont, dass es diesmal keine Toten geben sollte. Die Polizei sollte nicht auf den Fall aufmerksam werden. Auch Einbruchsspuren sollten vermieden werden, ganz im Stillen sollte Pozorsky der Sache habhaft werden. Wenn er mit seiner Einschätzung richtig läge, würden die Eigentümer der Uhr nichts unternehmen, wenn nur diese allein verschwinden würde. Pozorsky hatte seinem Auftraggeber nochmals versichert, dass er sich hundertprozentig auf seine Arbeit verlassen könne und versprochen, sie noch heute abgeschlossen zu haben.

      Es lief also alles nach Plan. Der Franzose hatte offenbar die Wahrheit erzählt. Die Uhr befand sich dort, wo er sie vermutet hatte und schon morgen würde der alte Bär sie selbst in Händen halten können. Außerhalb der Mauern ging es demnach voran, nun war es an der Zeit auch innerhalb des Gefängnisses die Geschehnisse voranzutreiben.

      Die Vorbereitungen dafür waren getroffen. Vor dem Gefängnis waren zwei Männer instruiert einen voraussichtlich bald eintreffenden Krankenwagen abzufangen. Einer der diensthabenden Wachangestellten namens Blaise Rabane, ein junger, drahtiger Schwarzer mit leeren Augen und ebensolcher Brieftasche hatte eine großzügige Kontobewegung zu erwarten, wenn er heute im richtigen Moment nach Plan handeln würde. Und einer der jungen Handlanger auf der untersten Stufe der russischen Treppe hatte vor wenigen Minuten dem Anführer der schwarzafrikanischen Häftlingsgruppe eine Information zugesteckt, die dieser mit sofortigem Blick in Richtung des alten Bären quittiert hatte. Der Afrikaner rückte seine dunkelgrüne Wollmütze zurecht und rief seine Männer zu sich.

      Es war soweit, die Show konnte beginnen.

      „Lass uns ein paar Schritte gehen, Towarischtsch Philippe“, forderte er seinen Sitznachbarn auf. „Etwas Bewegung wird uns alten Männern guttun.“

      Renard hatte nicht wirklich Lust dazu, wollte aber nicht widersprechen und erhob sich schwerfällig. Sie stiegen die Stufen hinab und schlenderten über den Gefängnishof. Sofort gesellten sich vier Auserwählte der russischen Gemeinschaft als Geleitschutz an ihre Seite.

      Auf der anderen Seite des Hofes versammelte sich von den Wachen unbemerkt eine Handvoll dunkelhäutiger Insassen um den Mann mit der grünen Mütze und kamen der russischen Gruppe plötzlich entgegen.

      Der alte Bär steckte die Hand in seine Jackentasche und bekam das Teppichmesser zu greifen, das er dort vorbereitet hatte. Auch seine Männer ließen ihre Hände in die Taschen gleiten.

      Als die beiden Gruppen aufeinander trafen, blieben sie stehen und der Gefangene mit der Wollmütze wandte sich in provokantem Ton an Renard: „Du bist also ein dreckiger Bullenchef?“

      Der alte Geheimdienstchef wich unwillkürlich einen Schritt zurück, während sich die Männer der beiden Delegationen um ihre Anführer gruppierten. Staryy Medved versicherte sich mit einem flüchtigen Blick zur Seite, dass Blaise Rabane das Geschehen verfolgte und nickte ihm fast unmerklich zu.

      „Ich bin kein Bulle!“, versicherte Renard mit ängstlicher Stimme. „Wäre ich sonst hier?“

      „Red‘ keinen Scheiß, Mann. Ein freundliches Vögelchen hat mir gezwitschert, dass du so manchen meiner Jungs hier in den Knast gebracht hast. Und dann wegen Landesverrats selbst hier gelandet bist.“ Der Ton des Schwarzen wurde schärfer.

      „Ja, ich war mal Staatsbeamter, das stimmt“, versuchte Renard zu beschwichtigen und suchte mit hilflosem Blick die Unterstützung seines russischen Freundes. Der aber zog die Augenbrauen hoch und sah den Franzosen auffordernd an, als wollte er ihm signalisieren, dass er allein auf sich gestellt war und nun Rede und Antwort stehen müsste.

      „Ich hatte aber mit internationalen Terroristen zu tun“, stammelte Renard wenig überzeugend weiter. „Ich bin jetzt auf eurer Seite, glaubt mir. Ein Krimineller, genau wie ihr!“

      „Einmal Bulle, immer Bulle!“, konstatierte der Häftling und schob seine grüne Mütze in den Nacken. Dann ließ er seine langen Arme lässig aber provozierend nach unten baumeln und sah in die Runde seiner Verbündeten.

      Und dann ging alles ganz schnell. In dem Bruchteil einer Sekunde ließ der Schwarze seine Faust nach vorne schnellen und Renards Nase brach unter lautem Knacken. Blut schoss augenblicklich hervor und er fiel wie ein gefällter Baum zu Boden. Während die Russen jetzt ihre Waffen wie Schraubenzieher und Gabeln aus den Taschen hervorholten und sich auf die Afrikaner stürzten, beugte sich der alte Bär über seinen französischen Kameraden und zog das Teppichmesser aus der Tasche.

      „Au revoir, mein Freund“, flüsterte er Renard ins Ohr, „und danke für die interessanten Gespräche!“ Der Franzose blickte ihn mit ungläubig aufgerissenen Augen an und mit einer einzigen Handbewegung schlitzte ihm der alte Bär die Kehle auf. Dann führte er sich selbst das Messer an die Augenbraue über seinem rechten Auge und fügte sich einen Schnitt zu. Tief genug, dass er binnen Sekunden blutüberströmt war, aber dennoch nicht zu tief, so dass die Blutung schnell mit einem Druckverband zu stoppen wäre.

      In diesem Moment ertönte auch schon die Alarmsirene und die Wachmannschaft eilte heran, angeführt von dem hageren Rabane. Die Beamten prügelten die schon blutenden Streithähne mit Gummiknüppeln nieder und zogen sie auseinander. Rabane kniete sich über die drei Opfer am Boden, nahm das Teppichmesser vom Boden und drückte es dem Mann mit der grünen Mütze in die Hand, der regungslos, mit einem Schraubenzieher im Auge steckend, da lag.

      Die Lage wurde rasch vor Ort geklärt, wobei, nicht zuletzt durch die Aussage Rabanes, ersichtlich war, dass in dem Handgemenge der Franzose durch die Hand des Afrikaners getötet wurde, und dieser wiederum durch einen anderen Häftling, der nicht zu ermitteln war. Solche Zwischenfälle gab es zuweilen in dieser Strafanstalt und soweit keine Beamten zu schaden kamen, wurden sie unter den Teppich gekehrt. Es waren einfach zwei Verbrecher weniger, die somit den Geldbeutel des Steuerzahlers nicht länger belasteten und außerdem war wieder Platz für Neue.

      Das Problem war nur, dass sich die Situation inzwischen weiter aufgeheizt hatte, andere Gruppen hatten sich eingemischt und die Russen hatten weitere Streitereien angezettelt. Es wurden zusätzliche Wachleute herbeigerufen und von dem Wachturm in der Mitte des Hofs fielen Warnschüsse, die die Menge im Zaume halten sollten. Die Beamten hatten alle Hände voll zu tun, um eine Eskalation zu verhindern.

      Die beiden Leichen wurden vom Hof geschafft, indessen brachte Rabane den blutüberströmten Mafiachef in den Sanitätsraum, wo der Verletzte vorsorglich verarztet und darüber entschieden werden sollte, ob er weiter in ein Krankenhaus transportiert werden musste. Ein Krankenwagen sollte vorsichtshalber schon einmal angefordert werden.

      Blaise Rabane nickte dem Russen kurz zu und verließ den Raum wieder.

      Staryy Medved lag auf dem Krankenbett und stöhnte. Der grauhaarige Gefängnisarzt beugte sich über ihn und klebte gerade ein Pflaster über die genähte Wunde.

      „Alles halb so schlimm“, beteuerte er, schob seine dicke Brille über die Nasenwurzel und schaute seinen Patienten aufmunternd an. „Nur eine kleine Schnittwunde. Aber sie haben Glück gehabt, nur einen Zentimeter tiefer und sie hätten ihr zweites Auge auch noch verloren. Bleiben sie bitte noch einen Moment liegen. Ich gebe inzwischen dem Krankenwagen wieder Entwarnung, den brauchen wir glücklicherweise nicht.“

      Während der Arzt sich umdrehte, um die blutgetränkten Tupfer zu entsorgen, blickte der alte Bär sich um. Niemand