an den kärglichen, dürren Gräsern hatte zupfen können. Aber sie brauchten das Tier lebend dringender, er jedenfalls hatte keine Kraft für einen Fußmarsch quer durch halb Mandura. Und die Frau … sicherlich auch nicht, sie schien arg erschöpft, schlotterte vor Kälte. Er kannte ihren Namen nicht, und wann immer er daran dachte, sie danach zu fragen, vergaß er den Gedanken sogleich wieder; er schob es auf das Fieber, die ständig gegenwärtigen heftigen Schmerzen, seine miserable Verfassung. Doch sie waren in Mandura, sie mussten es sein, eins der verfallenen, zerstörten Gebäude erinnerte ihn an einen Tempel, und …
Sie blieben, bis die Angst, und nicht der Hunger, sie weiter trieb, Angst, Maroks Truppen könnten sie hier aufstöbern. Die Frau – er musste sie wirklich nach ihrem Namen fragen – hatte tatsächlich irgendwelche Lumpen, verrottete alte Säcke in den Trümmern gefunden, um sich damit zu bedecken, und er aß ungefragt, was auch immer sie ihm anbot, Kräuter oder junge Triebe.
Wenn sie zu zweit ritten, war es tatsächlich etwas wärmer, westwärts, hinunter durch die Vorberge. Und als ihm klar wurde, dass sie das Kitainagebirge hinter sich gelassen hatten, liefen ihm die Tränen über das Gesicht, nässten den verdreckten Verband über seinem Auge. Unbewusst summte er das Lied der Garde, sang lauter, brüllte es geradezu heraus, bis er hinter sich das Schluchzen der Frau hörte. „Was ist denn? Wir haben es geschafft, freust du …“
Doch die Frau schüttelte bloß abwehrend den Kopf. „Nein.“
„Warum denn nicht, wir sind durch, bald …“
„Ich habe Angst, entsetzliche Angst. Was werden sie uns antun?“
„Antun? Ich verstehe nicht, warum sollten sie … Du meinst, was sie dir tun werden?“
„Ich bin eine Kalimatan und ihr seid Nordländer, Feinde. Wir führen Krieg und … Siehst du?“ Ihre Stimme zitterte, als sie an ihm vorbei nach vorn zeigte.
„Was …“ Er kniff das heile Auge zusammen, starrte in die von ihr angedeutete Richtung und fluchte unterdrückt, griff instinktiv zu seinem … Kein Schwert, er trug keine Waffen, ballte die Fäuste. „Verdammte Schweine!“
Vorsichtig lenkte er das Pferd in den Schutz einer Baumgruppe, rutschte schwerfällig aus dem Sattel, seine Beine trugen ihn kaum. „Bleib hier.“
„Wenn aber noch …“
„Dann hätten sie uns gesehen und wären längst hier. Sie sind weiter gezogen.“
Er starrte lange Zeit auf das Gehöft, die schwelenden Trümmer des Hauses, doch nichts regte sich, keine Bewegung, keine Spur von Leben. Langsam ging er am Rand des frisch gepflügten Feldes entlang, mühsam humpelnd, er ahnte, was ihn erwartete. Verharrte angestrengt atmend an der Umzäunung des kleinen Geheges und blickte über die Kadaver der sinnlos abgeschlachteten Schafe. Drei Tage, höchstens, seit die Ostländer hier gewütet hatten. Ohne Hoffnung ging er weiter auf die Ruine des Haupthauses zu, die verkohlten Balken waren noch warm, schaute sich im Gebäude um. Vier Leichen lagen zwischen den verbrannten Überresten der zertrümmerten Einrichtung, er glaubte nicht, dass es bereits alle waren. Suchte, er wusste nicht wonach, fand in dem, was einst die Küche war, ein noch brauchbares Messer und nahm es an sich, ging mit schweren Schritten Richtung Scheune, das Tor weit offen. Seine Augen brannten, als er die drei übrigen leblosen Körper entdeckte, achtlos liegengelassen. Wieder dachte er an Dalgena, dachte an Gela, und ballte die Faust um den Stiel einer Mistforke. Drehte sich nicht um, als er die Frau hinter sich hörte. „Komm nicht rein.“
Aber natürlich konnte sie auch vom Pferd aus sehen, was er ihr ersparen wollte, er hörte sie ächzen. „Was ist denn…“ Hörte sie vom Pferderücken rutschen, den Klang ihrer zögernden Schritte.
„Du sollst draußen bleiben, verdammt! Komm nicht hier rein!“
Sie weinte, starrte, die Hände vor den Mund gepresst, auf die geschundenen Frauenleichen. Brüsk drehte er sie an den Schultern zu sich herum, drückte ihren Kopf an seine Brust. „Schau doch nicht noch länger hin.“
„Sind sie …“
„Tot, ja. Komm, wir …“
„Wir können sie doch nicht so liegen lassen!“
„Sie sind tot, Frau, tot wie die vier im Haus. Wie können nichts mehr für sie tun.“
„Aber du kannst doch nicht einfach …“
Hatte sich jemand, irgendein anständiger, mitfühlender Mensch um Gelas Leichnam gekümmert? Resigniert schüttelte er den Kopf, sah in das verzweifelte, tränenüberströmte Gesicht der Frau. „Nein, kann ich auch nicht. Doch lass uns erstmal hier raus und … Ich kenne nicht einmal deinen Namen, Frau.“
„Du willst wissen, wie ich heiße?“
Er drängte sie aus der Scheune, schaute sich um, alles wie tot, leblos, zum hinteren Eingang des Hauses. „Ja. Bevor ich wieder zu fragen vergesse, ich bin … Mein Name ist dir bekannt, nehme ich an, ansonsten …“ Er schob die Frau in die Küche, nicht ganz so stark zerstört wie der Rest des Gebäudes. „Hiron, aus dem Haus Ligoban.“
Misstrauisch blickte sie sich um, die Arme schützend um den Oberkörper geschlungen, hob dann das Gesicht und lächelte ihn unsicher an. „Das … das habe ich mitbekommen. Und ‚aus dem Haus Ligoban’, das bedeutet …“
„Ist der Name meiner Familie.“
„Ja, ich verstehe. Ist das gut?“
„Kann ich nicht beurteilen. Es ist, hm, eine ziemlich große, bekannte und recht alte Familie in Mandura, nicht die älteste. Dein Name?“
„Nuri.“ Sie biss sich auf die Lippen, hob ein wenig die Schultern. „Von Nuri Amena, aber … einfach nur Nuri reicht aus.“
„Musst du wissen“, er nickte, deutete eine Verbeugung an. „Nuri.“
Nuri lächelte noch immer, ein bisschen scheu, und nickte gleichsam.
(etwa 405. Tag, 1. Frühlingsmonat)
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